Schweizer Arbeitnehmer zwischen Fehlverhalten und Courage

Schweizer Arbeitnehmer zwischen Fehlverhalten und Courage

Fehlverhalten am Arbeitsplatz: Am häufigsten wird zu viel fantasiert und geträumt oder eine zusätzliche oder längere Pause gemacht. (Foto: Jeanette Dietl – Fotolia.com)

Zürich – Jede zweite beschäftige Person in der Schweiz verstösst am Arbeitsplatz gelegentlich gegen die Regeln. Das geht aus dem HR-Barometer 2012 der Universität Zürich und der ETH Zürich hervor. Probleme am Arbeitsplatz frühzeitig anzusprechen hilft, Fehlverhalten zu vermeiden. Die Studie empfiehlt denn auch Arbeitgebern, durch Partizipationsmöglichkeiten und Vertrauensförderung die Courage der Beschäftigten zu stärken und sie nicht durch variable Lohnsysteme zum Schweigen zu verleiten.

Gemäss dem neuesten Schweizer Human-Relations-Barometer (HR-Barometer) der ETH Zürich und der Universität Zürich haben sich rund die Hälfte der Befragten mindestens einmal innerhalb des letzten Jahres geringfügig fehlverhalten. Am häufigsten wird zu viel fantasiert und geträumt, eine zusätzliche oder längere Pause gemacht oder man strengt sich bei der Arbeit zu wenig an, schreiben Prof. Gudela Grote von der ETH Zürich und Prof. Bruno Staffelbach von der Universität Zürich in der siebten Ausgabe des HR-Barometers. Insgesamt berichten 4 Prozent der Befragten von schwerwiegendem Fehlverhalten am Arbeitsplatz.

Vertrauliche Firmeninformationen nicht als solche behandelt
Jede vierte befragte Person gibt an, mindestens einmal innerhalb des letzten Jahres vertrauliche Firmeninformationen mit einer unberechtigten Person besprochen zu haben. Jede achte befragte Person hat mindestens einmal die Arbeit hinausgezögert, um Überstunden zu verbuchen, und jede fünfzigste Person hat innerhalb des letzten Jahres mindestens eine Quittung gefälscht, um mehr Geld zu bekommen.

In Vertrauenskultur investieren
Bezogen auf das Fehlverhalten am Arbeitsplatz lohnt sich die Investition in eine Vertrauenskultur doppelt, so die beiden Autoren. Einerseits verhalten sich Beschäftigte mit hohem Vertrauen in den Arbeitgeber deutlich korrekter. Andererseits trägt eine Vertrauenskultur dazu bei, dass Probleme offener angesprochen werden. Dies wiederum scheint ein Ventil für mögliches Fehlverhalten zu sein: Beschäftigte, die Probleme am Arbeitsplatz offen ansprechen können, berichten deutlich weniger häufig von Fehlverhalten.

Schweigen, um die Zusammenarbeit nicht zu gefährden
Die grosse Mehrheit der Beschäftigten in der Schweiz kann alles in allem gut mit ihrem Vorgesetzten über Probleme sprechen. Detailanalysen zeigen jedoch, dass es den Beschäftigten vergleichsweise schwer fällt, mangelnde Kompetenzen von anderen, Bedenken bezüglich der Firmenpolitik sowie Belästigung und Missbrauch gegenüber dem Arbeitgeber zu benennen. Über Lohnprobleme und Lohnungerechtigkeiten zu sprechen, bereitet den Beschäftigten die grösste Mühe. Geschwiegen wird vor allem, um die Zusammenarbeit mit anderen nicht zu gefährden oder auch aus einer resignierten Haltung heraus, weil das Ansprechen von Problemen nichts nützt.

Leistungsstarke Mitarbeiter sprechen Missstände eher an
Missstände am Arbeitsplatz werden vor allem von arbeitsmarktfähigen und leistungsstarken Beschäftigten angesprochen. Beschäftigte, welche sich in ihrer Position schwächer fühlen, trauen sich seltener, mit ihren Bedenken und Sorgen auf den Arbeitgeber zuzugehen. Auch auf Beschäftigte mit angeschlagener psychischer oder physischer Gesundheit ist besonders Acht zu geben. Sie neigen eher dazu, Probleme zu verschweigen. Herrscht im Unternehmen eine hohe Arbeitsplatzunsicherheit, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Verängstigte Beschäftigte schweigen lieber über Missstände.

Ob Beschäftigte Probleme melden oder verschweigen, kann vom Arbeitgeber beeinflusst werden: So erhöhen Mitspracherechte die Wahrscheinlichkeit, dass Missstände im Unternehmen gemeldet werden. Auch eine gute Führungsbeziehung sowie ein grundlegendes Vertrauen in den Arbeitgeber fördern das Ansprechen von Problemen. Lohnsysteme spielen ebenfalls eine zentrale Rolle: Variable Lohnanteile allerdings, welche direkt an die persönliche Leistung gebunden sind, verleiten Beschäftigte zum Schweigen, weil sie negative Konsequenzen fürchten.

Erste Warnzeichen
Die Trendentwicklungen aus den HR-Barometern der letzten Jahre zeigen, dass die Unsicherheit bezüglich Verlust des Arbeitsplatzes und hinsichtlich negativer Veränderungen an der jetzigen Arbeitsstelle leicht zugenommen hat. Zehn Prozent der Befragten fürchten in relativ starkem Mass und etwas mehr als 20 Prozent ansatzweise um ihren Arbeitsplatz. Wie im letzten Jahr fürchteten ganze 50 Prozent, dass ihre Arbeitsbelastung zunehmen könnte, und mehr als 20 Prozent der Befragten vermuten, dass ihre Einfluss- und Karrieremöglichkeiten abnehmen könnten. Gestiegen auf ebenfalls über 20 Prozent ist der Anteil derjenigen, die sich um Restrukturierungen, Lohnkürzungen und Beschäftigungsreduktionen sorgen.

Die eigene Arbeitstätigkeit wird weiterhin positiv erlebt. Vielfalt und Autonomie bei der Arbeit sind im Schnitt aber leicht gesunken. Die Bindung an das Unternehmen und die Arbeitszufriedenheit sind ebenfalls weiterhin hoch, doch auch hier zeigt sich eine Dynamik, die als Warnzeichen ernst genommen werden sollte: Die Zahl der «fixiert Unzufriedenen, also derjenigen Beschäftigten, die nicht zufrieden sind, die aber weder bereit sind ihre Ansprüche zu senken noch wissen, wie sie ihre Arbeitssituation verbessern können, hat über die Jahre stetig zugenommen. Auch wenn es immer noch weniger als 10 Prozent der Beschäftigten sind, die zu dieser Gruppe gehören, sollte diese Trendentwicklung kritisch beobachtet werden. Zudem hat die Zahl der resignativ Zufriedenen, also derer, die ihre Ansprüche angesichts einer nicht zufriedenstellenden Arbeitssituation gesenkt haben, ebenfalls stetig zugenommen, von unter 20 Prozent vor sechs Jahren auf fast 30 Prozent in diesem Jahr. (Universtität Zürich/mc/pg)

Zur Studie
Der Schweizer HR-Barometer erfasst, wie Beschäftigte in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Erhoben werden dazu Themen wie Karriereorientierungen, Personalentwicklung und Organisation des HRM, psychologischer Vertrag, Arbeitsflexibilisierung, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmarktfähigkeit. Die Studie wird von Prof. Gudela Grote, Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und von Prof. Bruno Staffelbach, Inhaber des Lehrstuhls Human Resource Management an der Universität Zürich, regelmässig herausgegeben. Die Grundlage des HR-Barometers 2012 bildet eine Befragung von 1483 Beschäftigten basierend auf dem Stichprobenregister des Bundesamtes für Statistik. Die Befragung fand zwischen Juni und August 2012 in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz statt. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Schwerpunktthema Fehlverhalten und Courage.

Download HR-Barometer 2012
www.hr-barometer.uzh.ch oder www.hr-barometer.ethz.ch.

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