Union Investment: Vorübergehende Entspannung im Iran-Konflikt

Union Investment: Vorübergehende Entspannung im Iran-Konflikt
Von Dr. Jörg Zeuner, Chefökonom und Leiter Research & Investment Strategy bei Union Investment. (Bild: UI)

Frankfurt – Seit der Aufkündigung des internationalen Atomabkommens durch die USA im Mai 2018 hatte sich das Verhältnis zwischen Washington und Teheran fortlaufend verschlechtert, unter anderem durch die Verhängung strikter Exportsanktionen für iranisches Erdöl. Immer wieder kam es in der Folge zu Attacken auf US-Einrichtungen oder Verbündete der Amerikaner in der Region. Dabei war eine direkte Beteiligung des Irans zwar nie nachzuweisen, denn die Angriffe wurden meist von lokalen Gruppen durchgeführt. Allerdings betreibt die iranische Regierung eine sehr aktive Aussenpolitik in der Region und unterstützt dabei verschiedene schiitische Milizen, zum Beispiel im Libanon oder im Jemen.

„Schiitischer Halbmond“ als strategisches Ziel
Strategisch verfolgt Teheran das Ziel, seine Stellung in der Region durch Stärkung alliierter Kräfte auszubauen, indem er seinen Einfluss in den Nachbarstaaten ausbaut – etwa durch Unterstützung schiitischer Bevölkerungsgruppen. Analysten sprechen in diesem Zusammenhang von dem Ziel der Schaffung eines „schiitischen Halbmonds“, der vom Iran über den Irak nach Syrien bis in den Libanon reicht. In all diesen Staaten leben grosse schiitische Minderheiten, genauso wie in Saudi-Arabien und dem Jemen.

Ein wichtiges Element dieser aktiven Aussenpolitik sind die Al-Quds-Brigaden, bislang unter dem Kommando von General Qasem Soleimani. Dabei handelt es sich um den paramilitärischen Auslandsarm der Revolutionsgarden, die gemeinsam mit der regulären Armee die Streitkräfte des Irans bilden und in der Vergangenheit die Interventionen des Irans im Jemen, Irak, Syrien und Afghanistan durchgeführt haben.

Zuspitzung im zweiten Halbjahr 2019
Mit seinem strategischen Ziel befindet sich der Iran im Konflikt mit den USA und deren Verbündeten. Diese Konstellation ist nicht neu. Allerdings hat sich die Lage in den vergangenen Monate fortlaufend zugespitzt. Im September 2019 wurde die grösste saudische Ölraffinerie durch einen Drohnenangriff schwer getroffen. Es kam zu erheblichen Produktionsausfällen. Riad machte von Teheran gesteuerte Gruppen für den Anschlag verantwortlich, der Iran wies die Vorwürfe zurück.

Im Dezember wurde dann der US-Stützpunkt im nordirakischen Kirkuk attackiert und ein amerikanischer Staatsbürger getötet. Auch hier wurden schiitische, vom Iran unterstützte Kräfte als Urheber vermutet. Die USA reagierten mit Vergeltungsschlägen auf örtliche Milizen. Und schliesslich weckte die Belagerung der US-Botschaft in der irakischen Hauptstadt Bagdad schlechte Erinnerungen an die Besetzung der Dependance in Teheran 1979. Während dieser iranischen Revolution waren 52 US-Bürger festgesetzt und ein Jahr lang als Geiseln genommen worden. Ein amerikanischer Befreiungsversuch scheiterte und kostete vermutlich Jimmy Carter die Präsidentschaft.

Vor diesem Hintergrund ist die Reaktion der USA vom 3. Januar zu sehen: US-Präsident Donald Trump ordnete den Luftschlag auf Qassem Soleimani am Flughafen Bagdad an.

Zwischenzeitliche Sorge vor massiver Eskalation unbegründet
In der Folge wurde eine massive Eskalation befürchtet, zumal der Iran Vergeltung ankündigte. Auch an den Kapitalmärkten wurde diese Möglichkeit mit Sorge betrachtet. Der Persische Golf ist weiter von enormer Bedeutung für die weltweite Versorgung mit Rohöl. Auch wenn der Iran selbst aufgrund der US-Sanktionen aktuell als Exporteur keine grosse Rolle mehr am Ölmarkt spielt, so hat der Konflikt dennoch das Potenzial für eine ernsthafte Störung der Weltwirtschaft. Allein im irakischen Ölhafen Basra werden täglich rund 3,5 Millionen Barrel Öl nach Übersee verschifft. Eine Blockade würde das Angebot empfindlich treffen. Käme es gar zu einer Sperrung der Strasse von Hormus, durch die rund 20 Prozent des globalen Ölangebots transportiert werden, wären die Folgen sogar noch deutlich gravierender.

OPEC-Produktion nach Ländern
(In Mio. Barrel / Tag)

Quelle: OPEC, Union Investment

Allerdings erwiesen sich diese Sorgen zunächst als unbegründet. In der Nacht von 7. Januar auf 8. Januar feuerte der Iran zwar mehr als ein Dutzend Raketen auf zwei US-Stützpunkte im Irak ab. Es gab dabei aber offenbar keine Verluste an Menschenleben, zumal der Iran den Angriff offensichtlich über inoffizielle Kanäle angekündigt hatte. Hinzu kam, dass beide Seiten sichtlich um verbale Deeskalation bemüht waren

Marktreaktion und -aussichten
An den Kapitalmärkten führten die Ereignisse zu einem starken Auf und Ab zum Jahresanfang. Der Ölpreis kletterte auf ein Niveau von zwischenzeitlich 70 US-Dollar je Barrel der Sorte Brent, während Gold die Marke von 1.600 US-Dollar je Unze übersprang. Gleichzeitig gaben die Notierungen an den Aktienmärkten nach, wenn auch weniger stark als man vielleicht vermuten könnte. Im Gegenzug waren die sicheren Häfen gesucht. Sowohl US-Treasuries als auch deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit verbuchten sinkende Renditen. Nachdem sich die Anzeichen für eine „gemässigte Eskalation“ jedoch erhärteten, beruhigten sich die Kapitalmärkte sehr schnell wieder. Nahezu alle Bewegungen der Vortage wurden wieder ausgepreist.

Historische Angebotsausfälle im Vergleich
(Wegfall in Prozent an der globalen Angebotsmenge)

Quelle: BCA Research, Internationale Energieagentur; Stand: 7. Januar 2020

Schliessung der Strasse von Hormus wäre grösster Ölschock
Die geopolitische Lage im Nahen Osten bleibt von Interessensgegensätzen geprägt. Eine beiderseitige „Politik der Nadelstiche“ ist damit auch künftig zu erwarten. Die Region bleibt also unsicher, und angesichts ihrer Bedeutung für die Ölversorgung der Weltwirtschaft stellt diese Situation ein Risiko für die Kapitalmärkte dar. Allerdings haben die Ereignisse auch gezeigt, dass beide Parteien kein Interesse an einer Ausweitung des Konflikts haben. Eine Sperrung der Strasse von Hormus oder ein Territorialkrieg sind damit sehr unwahrscheinlich. Für die Kapitalmärkte folgt daraus: So lange sich diese Lage nicht ändert, hat der Streit nicht das Potenzial für eine nachhaltige Trendwende zum Schlechteren. (Union Investment/mc/ps)

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