«Why Lead» Nicole Heimann im Gespräch mit Alfred Widmer

«Why Lead» Nicole Heimann im Gespräch mit Alfred Widmer
Alfred Widmer, CEO der AXA-ARAG Schweiz

Als Alfred Widmer, CEO der AXA-ARAG Schweiz, 2016 die Führungsposition übernahm, war er nicht wirklich auf den Job vorbereitet. Tatsächlich empfand er die ersten Tage in seiner neuen Rolle wie «einen Sprung ins kalte Wasser». Dass er heute noch auf dem Chefsessel sitzt, verdankt er unter anderem seiner ausgeprägten Selbstreflexion und Empathie.

Von Nicole Heimann

Seine neue Position als CEO war eine Herausforderung. Doch er stellte die richtigen Fragen, versetzte sich in die Lage seiner mittlerweile 200 Mitarbeiter und hatte eine klare Vision. Nur so gelang es ihm, die Firma auch durch stürmische Zeiten zu navigieren. Wie bei vielen Führungskräften heutzutage, war auch Alfred Widmers Weg an die Unternehmensspitze alles andere als geradlinig.

Eine Reise mit vielen Etappen
Widmer wuchs mit einem Schweizer Vater und einer spanischen Mutter auf. Er verbrachte viel Zeit in beiden Ländern und lernte dabei, die Dinge immer wieder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Das hat ihn bis heute stark geprägt. «Es mag seltsam klingen, aber ich habe schon immer auf eine zweite und dritte Perspektive geachtet. Es gibt immer mehr als nur eine Sichtweise auf die Dinge», so Widmer.

Als Kind träumte er davon, Bauer zu werden. Er verbrachte die Sommer in Spanien und half seinem Großvater, die Kühe auf die Weide zu treiben. Dann, im Alter von ungefähr 8 Jahren, fasste er den Plan, Pilot zu werden. Er las Bücher über die Swissair und wollte alles über Flugzeuge und Flughäfen wissen. Doch auch dieser Kindheitstraum sollte nicht in Erfüllung gehen. Sein multinationaler Hintergrund, seine Offenheit und seine Neugier verhalfen ihm jedoch dazu, sich später für andere Berufe und Kulturen zu begeistern.

Widmer studierte Politikwissenschaft, Zeitgeschichte und Internationale Beziehungen in Freiburg, Barcelona und London. Vor allem die Finanzmetropole London weckte sein Interesse. Hier besuchte er Workshops von Investmentbanken und Strategieberatungsunternehmen und kam erstmals mit der Businesswelt in Kontakt. Es dauerte nicht allzu lange, und Widmer wurde eine Stelle als Strategieberater angeboten. «Ich dachte zuerst, ich würde tolle Projekte in der Automobilindustrie betreuen, zum Beispiel für Porsche oder BMW», erinnert er sich. Doch das sei nicht passiert. Stattdessen sollte er eine internationale Versicherungsgesellschaft beraten. Die anfängliche Sorge, dies könne womöglich langweilig werden, schlug schnell in Begeisterung um.

Widmer hält seinen eher zufälligen Einstieg in die Versicherungswelt für nicht ungewöhnlich. «Wenn man mit Führungspersonen aus der Versicherungsbranche spricht, sagen fast alle, dass sie eher zufällig in dieser Industrie gelandet sind», so der 40-jährige Leader. Seine Karriere erlaubte ihm schließlich, fünf Jahre lang in verschiedenen Ländern zu arbeiten: Zuerst in der Schweiz, später dann in Spanien und Marokko, bevor er schließlich wieder nach London zurückkehrte. Erst nach diesen abwechslungs- und lehrreichen Jahren zog es ihn wieder in die Schweiz zurück. Und, wie so oft, war auch hier ein glücklicher Zufall im Spiel. «Ich saß in einem Starbucks in London und sagte mir, dass ich gerne zurück in die Schweiz gehen würde», erinnert sich Widmer. «Genau in diesem Moment rief mich jemand von der AXA an und fragte, ob ich an dieser Position interessiert sei.»

Inzwischen ist Widmer seit zwei Jahren CEO der AXA-ARAG Schweiz. Heute weiß er, wie wichtig Versicherungen für die Weltwirtschaft sind: «Ohne Versicherungen würde es viele existierende Volkswirtschaften nicht geben. Dies gilt auch besonders für die Schweiz. Ohne die großen Schweizer Versicherungsunternehmen, die alle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet worden sind, wäre die Schweizer Wirtschaft nicht so stark.» Was Widmer an der Versicherungsbranche besonders fasziniert, ist nicht nur ihre technisch-analytische sondern auch ihre gesellschaftliche Seite.

«Talk the talk, walk the walk»
Die Rolle des CEO auszufüllen, war für Widmer anfangs keine leichte Aufgabe. Er fühlte sich nicht wirklich vorbereitet und erkannte, dass es erst einmal darum gehen würde, Erfahrungen zu sammeln und zu lernen. «Zu Beginn überblickt man nur 20 bis 30 Prozent dessen, was tatsächlich vor sich geht. Die anderen 70 Prozent findet man in den folgenden Monaten heraus», erklärt er. Langsam aber sicher fühlte sich der junge CEO «auf einer Reise mit einer klaren Richtung». Gemeinsam mit dem Vorstand und dem Führungsteam entwickelte er eine Vision, die es den Mitarbeitenden ermöglichte, sich zu entwickeln und zu entfalten.

Rückblickend empfindet Widmer seine Zeit als COO in Marokko als die lehrreichste. Der Druck, die vielen Aufgaben, die Tatsache, dass er eine Transformation leiten musste sowie der kulturelle Kontext gaben ihm das Gefühl, ein «Feuerwehrmann» zu sein. Genau diese Erfahrungen seien es jedoch gewesen, die ihn am besten auf die Rolle des CEO vorbereitet haben.

Heute folgt Widmer vor allem zwei Führungsgrundsätzen. Den einen nennt er: «Talk the talk, walk the walk.» Nur wenn es gelänge, mit gutem Beispiel voranzugehen und sein Wort zu halten, könne man Mitarbeiter glaubwürdig führen, so Widmer. Sein zweiter Führungsgrundsatz ist es, stets Klartext zu reden. Dies ganz besonders in schwierigen Situationen, in denen Probleme im Führungsteam erkannt, angesprochen und gelöst werden müssten.

Die konsequente Umsetzung dieser Prinzipien hat positive Spuren hinterlassen. Als Widmer bei der AXA-ARAG anfing, war das Unternehmen traditionell hierarchisch strukturiert. Der neue CEO merkte, dass viele Mitarbeiter sich davor scheuten, offen über ihre Anliegen zu sprechen oder Fehler zu machen. So war es eine seiner ersten und wichtigsten Aufgaben, die vorherrschende Kultur durch ein Klima des Vertrauens und des Miteinanders zu ersetzen. «Das Beste, das man tun kann, ist seinen Mitarbeitenden Freiräume zu gewähren», betont er. Schliesslich sei der Mitarbeitende auf seinem Gebiet Experte. «Als Geschäftsführer weiß man zum Beispiel nicht, wie man einen Schadenfall bestmöglich bearbeitet», so Widmer. Da vertraue er lieber auf die Kompetenzen seiner Mitarbeitenden, anstatt ihnen seine Sicht der Dinge aufzudrängen oder alles kontrollieren zu wollen. Durch diese Mentalität der Freiheit und Wertschätzung habe er eine Unternehmenskultur aufgebaut, die es seinen Teams ermöglicht, täglich motiviert und positiv an die Arbeit zu gehen.

«Andere zu motivieren gibt einem viel zurück.»
Während des Studiums arbeitete Widmer als Praktikant bei einem Schweizer TV-Sender, wo ihm bereits nach einigen Monaten die Leitung des Nachrichten-Teams angeboten wurde. Natürlich habe es ihm an der nötigen Führungserfahrung gemangelt, erinnert sich Widmer. Mit der Zeit aber habe er aus Fehlern gelernt und stets versucht, intuitiv zu reflektieren, was gut war und was er hätte besser machen können – eine wichtige Erfahrung für den damals 20-jährigen Mann.

Heute geht es Widmer vor allem darum, «Dinge umzusetzen, Mitarbeitende voran zu bringen und etwas Sinnvolles zu erschaffen». Dies möchte er auf einer Basis von Selbstverantwortung, Anerkennung und Vertrauen erreichen. Ausserdem ist ihm in seiner Rolle als CEO wichtig, die Verantwortung zu übernehmen – in guten wie in schlechten Zeiten.

Er hat eine Leidenschaft dafür entwickelt, seinen Mitarbeitenden möglichst viel Handlungsspielraum zu gewähren und einen positiven Spirit in einer ehemals hierarchischen und eher starren Umgebung zu fördern. «Wenn man Menschen dazu befähigen kann, auf ihre eigene Weise etwas Besonderes zu erschaffen, dann gibt das einem viel zurück», beschreibt Widmer seine persönliche Motivation.

Inzwischen sind die Gewässer, durch die der CEO die Firma navigiert, nicht mehr ganz so stürmisch. Dennoch hat er sich den Geist eines «Feuerwehrmannes» bewahrt und steht Unerwartetem gelassen gegenüber. Er müsse heute nicht mehr immer genau wissen, wo er in den nächsten zwei bis drei Jahren sein werde, so Widmer. «Ich bin viel ausgeglichener als früher und kann gut mit dieser Unsicherheit leben.» Der neugierige Geist des 8-Jährigen hat ihn wohl nie verlassen.

«Why Lead» (Warum Führen) ist Teil einer Porträtserie von Nicole Heimann. Sie sammelt darin wichtige Erkenntnisse inspirierender Führungskräfte aus der ganzen Welt und verknüpft so auf anschauliche Weise die Theorie mit der Praxis. Die vollständige Porträtsammlung wird in einem demnächst erscheinenden Buch mit dem Titel «Why Lead» veröffentlicht.

Über Nicole Heimann & Partners AG
Nicole Heimann & Partners AG hat sich exklusiv auf das professionelle Coaching von High Level, High Performance Individuen und Teams spezialisiert mit dem Ziel authentische Leadership Alliances in Unternehmen zu etablieren.  In ihrem Buch «How to develop the Authentic Leader in you» zeigt Nicole Heimann den Wert von authentischer Leadership in unserer Wirtschaft. Die Einnahmen des Buches gehen direkt an die die Bullens Heimann & Friends Stiftung.

www.nicoleheimann.com

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