Wissenschaftler entdecken neue Schwachstelle des antarktischen Eisschildes

Wissenschaftler entdecken neue Schwachstelle des antarktischen Eisschildes

Schelfeiskante in der Nähe der Halley-Station, Antarktis. (Foto: Ralph Timmermann, Alfred-Wegener-Institut)

Bremerhaven – Das Filchner-Ronne-Schelfeis im antarktischen Weddellmeer wird noch in diesem Jahrhundert rapide zu schmelzen beginnen und als Barriere für nachrutschendes Inlandeis wegfallen. Diese Vorhersagen treffen Klimaforscher des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft in der kommenden Ausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins „Nature“.

Sie widerlegen damit die weit verbreitete Annahme, das Schelfeis des Weddellmeeres bliebe aufgrund der Randlage des Meeres von den unmittelbaren Einflüssen der Erderwärmung verschont.

Die Forschungsergebnisse der Klima-Modellierer vom Alfred-Wegener-Institut dürften die Fachwelt überraschen. Gingen die meisten Experten doch bisher davon aus, dass die Folgen der Erderwärmung für die Antarktis vor allem im Amundsenmeer und damit in der Westantarktis zu spüren seien. „Das Weddellmeer hatte niemand so richtig auf der Rechnung, weil alle glaubten, seine Wassermassen seien im Gegensatz zum Amundsenmeer kalt genug, um dem Schelfeis nichts anhaben zu können. Wir aber zeigen, dass die warmen Wassermassen des Weddellmeeres in den kommenden Jahrzehnten dem Filchner-Ronne-Schelfeis mächtig zusetzen werden“, sagt Dr. Hartmut Hellmer, Ozeanograf am Alfred-Wegener-Institut und Erstautor der Studie.

Mögliche Kettenreaktion
Mit Hilfe verschiedener Modellberechnungen konnten er und seine Kollegen Dr. Frank Kauker, Dr. Ralph Timmermann und Dr. Jürgen Determann sowie Dr. Jamie Rae vom britischen Met Office Hadley Centre zeigen, dass es im Zuge des Temperaturanstieges über dem Weddellmeer innerhalb der nächsten sechs Jahrzehnte zu einer Kettenreaktion kommen kann, an deren Ende vermutlich große Inlandeis-Massen in den Ozean abrutschen können.

Eis wird dünner und damit brüchiger und mobiler
Ausgelöst wird diese Kettenreaktion von steigenden Lufttemperaturen über dem südöstlichen Weddellmeer. „Unsere Modelle zeigen, dass die wärmere Luft dazu führen wird, dass das heute noch solide Meereis im Weddellmeer in wenigen Jahrzehnten dünner und damit brüchiger und mobiler wird“, sagt Frank Kauker. Wenn dies geschehe, werden sich grundlegende Transportprozesse verändern. „Es führt dazu, dass eine hydrographische Front im Weddellmeer aufbricht, die bis jetzt verhindert, dass warmes Wasser unter das Schelfeis gelangt. Nach unseren Berechnungen aber wird sich diese schützende Barriere bis zum Ende dieses Jahrhunderts auflösen“, erklärt Hartmut Hellmer.

Der Einstrom wärmeren Wassers unter das Filchner-Ronne-Schelfeis lässt das Eis von unten schmelzen. „Die grössten Schmelzraten erwarten wir nahe der sogenannten Aufsetzlinie. So nennt man jene Zone, in der das Schelfeis auf dem Meeresboden aufsetzt und in den Gletscher übergeht. An dieser Stelle schmilzt das Filchner-Ronne-Schelfeis heute um etwa 5 Meter pro Jahr. Zur nächsten Jahrhundertwende werden die Schmelzraten auf bis zu 50 Meter pro Jahr ansteigen“, sagt Jürgen Determann.

Wie reagiert das Inlandeis?
Wie im Falle einer solchen Megaschmelze des Schelfeises das dahinter gelagerte Inlandeis reagieren wird, untersucht Hellmers Kollege Jürgen Determann derzeit. Eine Vermutung liegt jedoch nahe: „Schelfeise sind für das nachgelagerte Inlandeis wie ein Korken in der Flasche. Sie bremsen die Eisströme, weil sie in den Buchten überall anecken und zum Beispiel auf Inseln aufliegen. Schmelzen jedoch die Schelfeise von unten, werden sie so dünn, dass die bremsenden Flächen immer geringer werden und sich das dahinterliegende Eis in Bewegung setzt“, sagte Hartmut Hellmer.

„Sollten die erhöhten Schmelzraten komplett durch nachfliessendes Inlandeis kompensiert werden, entspräche dieser Massenverlust einem zusätzlichen Meeresspiegelanstieg von 4,4 Millimeter pro Jahr“, ergänzt Jürgen Determann. Nach neuen, auf Satellitendaten basierenden Abschätzungen, die Anfang Februar 2012 ebenfalls in Nature veröffentlicht wurden, betrug der durch Gletscher- und Eisschelfschmelzen bedingte Meeresspiegelanstieg in den Jahren 2003 bis 2010 etwa 1,5 Millimeter pro Jahr. Dazu addiert werden zudem etwa 1,7 Millimeter, die der Meeresspiegel aufgrund der thermischen Ausdehnung der Ozeane pro Jahr ansteigt. (Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung/mc/pg)

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