Aberdeen Kommentar zum 19. chinesischen Parteikongress

Aberdeen Kommentar zum 19. chinesischen Parteikongress
Von Paul Diggle, Senior Economist, Aberdeen Standard Investments. (Foto: Aberdeen)

Der 19. chinesische Parteikongress ist politisches Theater. Wer wissen will, wohin das Land steuert, muss anderswo nach Anhaltspunkten suchen.

Kommende Woche tritt Chinas Führung zum 19. Parteikongress zusammen. Alle fünf Jahre tagt das Plenum, das die Spitzenfunktionäre der Kommunistischen Partei ernennt und die wirtschaftlichen und politischen Prioritäten formuliert.

Viele Beobachter glauben, dass dieser Kongress einen wichtigen Wendepunkt in der chinesischen Politik markieren wird. Das wird er nicht. Präsident Xi Jinping wird einige politische Ämter besetzen, um seine Macht als Parteichef zu konsolidieren. Tatsache ist jedoch: Der Kongress ist nur politisches Theater. Der künftige Kurs des Landes wird anderswo abgesteckt.

Der Anziehungskraft des Parteikongresses mag niemanden verwundern, scheint er doch seltene Einblicke in die inneren Mechanismen des undurchsichtigen politischen Systems in China zu gewähren. Gleichwohl ist der Kongress kein politisches Diskussionsforum, sondern in erster Linie eine Inszenierung der Kommunistischen Partei. Wer darauf hofft, dass hier mutige und potenziell revolutionäre Reformen der verkrusteten Strukturen in den chinesischen Staatsunternehmen angeschoben werden oder die aggressive Zügelung des enormen Kreditwachstums angekündigt wird, der sollte sich auf eine Enttäuschung gefasst machen.

Konkrete politische Veränderungen sind eher von der zentralen Wirtschaftsarbeitskonferenz im Dezember, dem Nationalen Volkskongress im März oder dem dritten Plenum im kommenden Jahr zu erwarten. Das sind die Gremien, in denen um politische Details gerungen wird. Hier wird man voraussichtlich neue Reformschritte beschliessen, die jedoch sehr behutsam und gemässigt ausfallen werden.

Offizielle Wachstumsdaten geschönt?
Wer verstehen will, wohin sich China entwickelt, muss die Wirtschaft genauer unter die Lupe nehmen. Die offiziellen Wachstumsdaten des Landes werden weithin angezweifelt. Dass sie die Zielvorgaben immer haargenau erfüllen, ist vielen nicht ganz geheuer. Der aktuelle Richtwert von 6,5 % pro Jahr liegt über den plausiblen Schätzungen der langfristigen nachhaltigen Wachstumsrate und könnte (oder sollte vermutlich) gesenkt werden – vielleicht eher auf 6 %.

Unter anderem deshalb haben wir eine «Nowcast»-Prognose zum chinesischen Wachstum erstellt, die eine Vielzahl aktueller Datenreihen auswertet. Sie zeigt: Nach der Flaute von 2015 war der Wachstumstrend im vergangenen Jahr sehr robust. Zuletzt war China sogar der wichtigste Treiber des globalen Aufschwungs.

Neuerdings hat sich unser Nowcast-Wert allerdings abgeschwächt, wenn auch von einem sehr hohen Ausgangsniveau. Die viel beachteten Messgrössen der wirtschaftlichen Aktivität in China wie etwa Industrieproduktion, Anlageinvestitionen und Einzelhandelsumsätze scheinen ebenfalls nachzulassen.

Die politischen Entscheidungsträger haben die chinesische Wirtschaft in den letzten Jahren konsequent angekurbelt, sobald sie sich abkühlte – öfter als ihnen lieb war. Jetzt mehren sich die Zweifel an der Schuldenlast und finanziellen Stabilität des Landes. Messwerte wie der «Nowcast» werden viel darüber aussagen, inwieweit die Behörden bereit sind, die Wirtschaft sich selbst zu überlassen.

Stille geldpolitische Revolution
Im Auge behalten sollten die Investoren auch die chinesische Zentralbank (PBoC), bei welcher sich eine stille geldpolitische Revolution vollzieht. Bisher legte die PBoC anhand der Mindestreserven konkrete Kreditquoten für einzelne Banken sowie eine systemweite Kreditquote fest. Da die Wirtschaft in den vergangenen Jahren jedoch gereift ist, verfolgt die PBoC mittlerweile den eher orthodoxen Ansatz, das Wachstum und die Inflation durch festgelegte Zinssätze zu kontrollieren. Aufgrund des verhaltenen Inflationsdrucks wird die PBoC die Zinsen in den nächsten Jahren wahrscheinlich stabil halten.

Eine Zinssenkung zur Konjunkturförderung wäre jedoch ein Indiz dafür, dass sich die chinesische Führung wieder auf alte Zeiten besinnt, in denen jedes Mal nachgeholfen wurde, wenn das Wachstum nachliess. Die kürzliche Senkung der Mindestreservesätze für diejenigen Banken, die am häufigsten Kredite an kleine Unternehmen und den Agrarsektor vergeben, wirkt eher wie eine Massnahme zur Unterstützung des Reformprozesses als ein Versuch, dem Wachstum auf die Sprünge zu helfen.

Seit 25 Jahren ist China ein Land mit mittlerem Einkommen. Viele Länder kommen nicht über dieses Niveau hinaus, weil die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Löhne sinkt und das Wachstum nachlässt. Die nächsten fünf Jahre werden darüber entscheiden, ob sich China aus dieser «mittleren Einkommensfalle» befreien kann. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, auch wenn der demografische Wandel nicht gerade dazu hilft. Die politische Inszenierung des 19. Parteikongresses wird indes keinen Aufschluss darüber geben, wie Chinas politische Führung das bewerkstelligen wird. (Aberdeen/mc/ps)

 

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