«Tickende Zeitbombe»: Leitzinsen treiben Hypotheken in England an

«Tickende Zeitbombe»: Leitzinsen treiben Hypotheken in England an
Grossbritanniens Notenbankgouverneur Andrew Bailey. (Foto: Bank of England)

London – Experten sprechen von einer «tickenden Zeitbombe»: Wegen rasant steigender Zinsen für Hypotheken müssen Immobilienbesitzer in Grossbritannien unbezahlbare Kosten fürchten. Denn die Bank of England erhöhte am Donnerstag ihren Leitzins deutlich von 4,5 auf 5 Prozent. Die 13. Anhebung in Folge sei unausweichlich, hatte der Ökonom Suren Thiru vom Institute of Chartered Accountants in England and Wales bereits zuvor mit Blick auf die hartnäckig hohe Inflation gesagt. Doch ein solcher Schritt bedeutet für Eigenheimbesitzer, die Hypotheken mit variablem Zinssatz bedienen müssen, höhere Zahlungen.

In Grossbritannien werden Immobilien meistens variabel finanziert. Hingegen sind in Deutschland Kredite mit 10 oder 15 Jahren Zinsbindung üblich.

Bereits jetzt liegt der Leitzins in Grossbritannien auf dem höchsten Niveau seit der Finanzkrise 2008. Der Straffungsprozess von fast null Prozent Ende 2021 auf derzeit 5 Prozent ist einer der schärfsten, den die britische Wirtschaft je zu verkraften hatte. Hintergrund ist der starke Anstieg der Inflation, der vor allem auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zurückgeht.

Ein Zinsanstieg hat konkrete Folgen. Die Hypothekenrückzahlungen für einen durchschnittlichen Haushalt, der eine Umschuldung vornimmt, würden um 2900 Pfund (3375 Euro) pro Jahr zulegen, rechnete die Denkfabrik Resolution Foundation vor. Die Erhöhung treffe bis 2026 etwa 7,5 Millionen Haushalte. Der Thinktank Institute for Fiscal Studies (IFS) warnte, wegen Zinserhöhungen könnten 1,4 Millionen Hypothekeninhaber mindestens ein Fünftel ihres verfügbaren Einkommens verlieren. Eine YouGov-Umfrage für die Schuldenhilfe Stepchange ergab, dass schon jetzt fast die Hälfte der Hypothekeninhaber Probleme mit Kreditverpflichtungen und Rechnungen hat.

Die Zahl der Immobilienbesitzer, die eine Hypothek bedienen müssen, ist seit 1989 von 40 auf 30 Prozent gefallen. Ältere Menschen haben ihre Hypotheken abgezahlt. Zudem kaufen weniger Jüngere ein Eigenheim, hohe Kosten verwehren ihnen den Sprung auf die «Immobilien-Leiter». Nach wie vor aber ist der Wunsch nach Eigentum unter Britinnen und Briten weit verbreitet. Gemietet wird in aller Regel nur für eine begrenzte Zahl von Jahren, auch weil Mieter im Vergleich zu Deutschland deutlich weniger Rechte haben.

«Harten oder weicher politischer Druck» auf Banken gefordert
Der prominente Verbraucherschützer Martin Lewis forderte «harten oder weichen politischen Druck» auf die Banken. Mit Premierminister Rishi Sunak habe er besprochen, dass Banken ihre Margen erhöhten, sagte Lewis dem Sender ITV. «Das heisst, sie erhöhen Hypotheken, aber nicht die Sparzinsen, so dass sie mehr Geld verdienen.» Falls die Leitzinsen jahrelang weiter steigen – Resolution erwartet eine Anhebung auf 6 Prozent bis Mitte 2024 -, müssten viele Menschen ihre Finanzen auf den Kopf stellen. «Das wird ein Alptraum», sagte Lewis.

Von der Regierung dürfen Verbraucher aber keine Extra-Hilfe erwarten. Sunak räumte zwar ein, die Inflation setze vor allem Familien stark zu. Er habe aber bereits «entschieden» gehandelt, sagte er mit Verweis auf bestehende Hilfen etwa bei Energierechnungen. Der konservative Regierungschef hat versprochen, die Inflation zu halbieren. Er argumentiert, staatliche Eingriffe würden die Verbraucherpreise nur weiter antreiben. «Die Zinsen steigen, weil die Inflation zu hoch ist», sagte Sunak am Donnerstag und kündigte an, er werde seinen Kurs beibehalten. Die oppositionelle Labour-Partei wirft den Tories hingegen «wirtschaftlichen Vandalismus» vor.

Sorgen bereitet den Eigentümern zudem, dass die Häuserpreise zuletzt deutlich gefallen sind. Im April kostete eine Immobilie im Durchschnitt 286 000 Pfund. Das waren 7000 Pfund weniger als noch zu Hochzeiten im September 2022, wie das Statistikamt ONS mitteilte.

Starke Schwankungen bei Immobilienpreisen
Die Immobilienpreise in Grossbritannien schwanken einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge viel stärker als in Deutschland. «Der deutsche Wohnungsmarkt ist resilient gegenüber plötzlichen Wertschwankungen, eine konservative Immobilienfinanzierung mit langer Zinsbindung und hohe Transaktionskosten beruhigen den Transaktionsmarkt», sagte IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer. Deutsche Wohnimmobilien seien auch wertstabiler als in Frankreich und den Niederlanden. Jedoch gelten die Kaufnebenkosten für Grundbucheintrag, Makler und Notar in Deutschland im internationalen Vergleich als hoch.

Gerade in Zeiten der Niedrigzinsen bis in das vergangene Jahr hinein sicherten sich viele Bundesbürger langfristig attraktive Kreditkonditionen. Das hält die Belastung für Kreditnehmer gering: Die Zahl der Zwangsversteigerungen in Deutschland sinkt nach Analysen des Fachverlags Argetra seit Jahren. Expertenwarnungen vor wieder steigenden Notverkäufen haben sich bislang nicht bewahrheitet.

Mit den stark gestiegenen Kreditzinsen sind die Immobilienpreise aber auch in Deutschland ins Rutschen geraten. Im Schlussquartal 2022 gaben sie im Schnitt um 3,6 Prozent zum Vorjahreszeitraum nach – laut Statistischem Bundesamt der stärkste Rückgang seit 16 Jahren. (awp/mc/ps)

Bank of England

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