Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Nur noch klein, nicht mehr oho?

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Nur noch klein, nicht mehr oho?
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff , Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

Hauptsächlich Griechenland war eigentlicher Auslöser der Eurokrise, die 2011 ausbrach und erst Ende 2012 beigelegt wurde, nicht zuletzt dank der geldpolitischen Manipulation der Märkte, die zumindest die Zinsen für Griechenland in eher tragbare Bereiche zurückführte. Am Höhepunkt der Krise um die Eurozone hatten die Griechen vorübergehend über 30% Zins für zehnjährige Staatsanleihen zu entrichten.

Mitte 2013 sanken die Zinsen unter die 10% Marke, und näherten sich im Sommer des letzten Jahres sogar wiederholt der 5%-Marke. Griechenland schien im Urteil der Märkte das Schlimmste hinter sich zu haben. Bis zum Dezember 2014, als die Präsidentschaftswahlen in Griechenland scheiterten und auf Grund dessen spätestens einen Monat danach – wie in der griechischen Verfassung vorgesehen – das Parlament neu gewählt werden musste. Der von diesem designierte Ministerpräsident Alexis Tsipras sorgt seitdem mit seinem äusserst unkonventionellen und umtriebigen Finanzminister Yanis Varoufakis für gehörige Unruhe in der Eurozone.

Restliche Zahlungsverpflichtungen des griechischen Staates 2015, in Mio. EUR:

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Es ist nicht nur das erste Mal in der Geschichte eines entwickelten kapitalistischen Landes, dass die Wurzeln einer demokratisch gewählten Regierung in der radikalen Linken zu finden sind. Erstmals sammeln auch die Griechen selbst Erfahrungen mit einer Linksregierung. Und leider macht es immer mehr den Anschein, dass die griechische Regierung noch immer von Idealen träumt und der Realität einfach nicht ins Auge sehen möchte. Dabei verlieren die Gläubiger mehr und mehr die Geduld mit Griechenland, das immer um neuen Aufschub bittet und die fälligen Reformpakete für das Land unzureichend konkretisiert. Den Worten folgten bislang kaum Taten. Diese Politik Griechenlands hat durchaus fatalistische Züge. Selbst die deutsche Bundesbank warnt mittlerweile vor einem Bankrott Griechenlands. Doch die Märkte lässt auch dies ziemlich kalt. Man wird den Gedanken nicht los, dass sie Griechenland förmlich abgeschrieben haben. Indizien für dieses Szenario finden sich in der Nichtansteckungshypothese. Die griechischen Zinsen haben im Gegensatz zur Eurokrise 2011/12 isoliert angezogen, die Renditedifferenz zu italienischen, spanischen oder portugiesischen Staatsanleihen hat sich entsprechend deutlich ausgeweitet. Die Märkte scheinen fast schon mit einer Eurozone ohne Griechenland zu liebäugeln. Die Eurozone scheint ihnen heute stabil genug, um einen Grexit weg-zustecken. Auch dieses Verhalten birgt gewisse fatalistische Züge in sich.

Pleite absehbar, Folgen höchstens annähernd
Die Märkte stellen nicht mehr die Frage ob, sondern wann Griechenland pleite ist. Dem Land steht das Wasser förmlich bis zum Hals, denn mit jeder fälligen Rückzahlungstranche wird der Spielraum der Regierung in Athen kleiner. Schon bei der jüngsten termingerechten Rückzahlung standen Löhne und Renten auf dem Spiel. Und es stehen noch gewaltige Tranchen im Juni und Juli an. Griechenland durchlebt wahrlich einen Schicksalssommer mit ungewissem Ausgang. Es ist noch nicht ganz vom Tisch, dass sich Griechenland mit seinen Euro-Partnern und dem IWF vor dem Auslaufen des zweiten Rettungspakets Ende Juni noch rechtzeitig auf ein Reformprogramm einigt. Die letzte Tranche aus dem zweiten Rettungspaket würde dann mit zeitlicher Verzögerung ausgezahlt. Athen bekäme anschliessend unter Auflagen ein drittes Hilfspaket im Volumen von 30 bis 50 Milliarden Euro und die Wirtschaft könnte so langsam wieder auf den Erholungspfad zurückfinden.

Pleite mit Rettungscharakter oder Parallelwährung
Kommt es zwischen der EU und Griechenland hingegen zu keiner Einigung auf ein Reformprogramm, wäre eine Pleite mit Rettungsanker ein denkbares Szenario. Athen könnte zwar seine Schulden gegenüber dem IWF und der EZB nicht mehr bedienen, die Griechen wären also pleite. Die EZB würde den griechischen Bankensektor aber nicht sofort in die Insolvenz schicken, sondern die Notfallversorgung für griechische Banken «mit nachhaltigem Geschäftskonzept und nur vorübergehenden Liquiditätsproblemen» aufrecht erhalten. Kapitalverkehrskontrollen würden eingeführt. Die EZB würde Griechenland eine  Frist setzen, in der es sich mit seinen Geldgebern über eine Schuldenrestrukturierung einigen müsste. Wenn dies gelingt, könnte allmählich Vertrauen zurückkehren.

Schuldscheine
Bei einer Zahlungsunfähigkeit ohne Verhandlungslösung könnte die Regierung Staatsangestellte und andere inländische Gläubiger bzw. Geldempfänger mit Schuldscheinen entlohnen, die nur im Inland als Zahlungsmittel gelten. Die neuen Schuldscheine könnten gegen Euro getauscht werden und umgekehrt, wobei das Austauschverhältnis überwacht und von der griechischen Notenbank verändert werden könnte. Um einem Ansturm auf die Kreditinstitute Griechenlands und einem Umtausch von „schlechtem in gutes Geld“ vorzubeugen, müssten Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden. Die EZB würde die Liquiditätsversorgung für die griechischen Banken einstellen. Griechenland wäre so temporär zumindest nicht mehr vollständiges Mitglied der Währungsunion. Aus diesem temporären Ausstieg würde ein permanenter werden, wenn die Wirtschaft nicht rasch wieder auf die Beine kommt und die Regierung Reformerfolge erzeugen und Vertrauen zurückgewinnen kann – auch und vor allem in Europa.

Ausstieg aus der Währungsunion?
Die griechische Bevölkerung könnte sich in einer Volksbefragung aber auch mehrheitlich gegen die Erfüllung der von den Geldgebern geforderten Reformauflagen aussprechen und somit einem Austritt aus der Währungsunion zustimmen, wobei eine Verhandlungslösung zumindest für einen Verbleib in der EU offen bliebe. Sofort nach der Entscheidung würden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt und der inländische Zahlungsverkehr auf die neue Drachme umgestellt, die massiv abwerten und die Wirtschaft erneut in eine tiefe Rezession fallen liesse. Ob die Wirtschaft mittelfristig von der Abwertung der „neuen Drachme“ profitieren kann, hängt aber auch in einem solchen Szenario von nachhaltigen Wirtschaftsreformen und dem Verhalten der Tarifpartner ab. Diese müssten ihre Lohnforderungen zur Kompensation hoher Inflation mässigen, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.

Griechischer Sommer
Es sind natürlich noch andere Möglichkeiten denkbar. Aber allein die Bandbreite der vier oben zitierten Szenarien deutet an, dass die Finanzmärkte die Griechenlandfrage vielleicht doch zu sehr auf die leichte Schulter nehmen, in dem sie die Pleite mehr oder weniger antizipiert haben. Mit der konkreten Bewältigung einer Staatspleite haben sich die Märkte aber noch nicht intensiv genug befasst, das birgt negative Überraschungselemente. Stressfrei wird die griechische Tragödie auf keinen Fall enden, dessen sollten sich die Anleger bewusst sein. Ein griechischer Sommer ist in der Regel heiss, doch auch den allzu sorglosen Märkten droht ein Temperaturanstieg, wenn sie sich bald schon konkreter mit einem Grexit auseinandersetzen müssen. Und in Brüssel sowie Frankfurt dürften auch einige ins Schwitzen kommen. Dann ist Griechenland vielleicht doch nicht zu klein und erst recht oho. (Raiffeisen/mc/ps)

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