Paul Achleitner, Deutsche Bank: «Regulierung ist die gesellschaftliche Reaktion auf ein empfundenes Versagen der Märkte»

Paul Achleitner, Deutsche Bank: «Regulierung ist die gesellschaftliche Reaktion auf ein empfundenes Versagen der Märkte»
Paul Achleitner, Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank

Vaduz – Paul Achleitner spricht am Finance Forum Liechtenstein am 27. März 2019 zum Thema „Disruption in der Bankenbranche“. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank ist überzeugt, dass neue Anbieter die Finanzbranche umkrempeln werden. Dies verlangt ein neues Selbstverständnis der Banken.

Interview: Patrick Stahl

Herr Dr. Achleitner, Sie führen eine der grössten Banken Europas durch eine turbulente Zeit. Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Funktion?

Da spielen natürlich viele Dinge eine Rolle. Was sich hervorheben lässt, sind die gestiegenen Anforderungen an Aufsichtsräte in den letzten Jahren. Das fängt an beim Zeitaufwand, betrifft aber auch die mit dem Amt verbundene Haftung sowie die Qualifikationen, die man mitbringen muss. Die zusätzliche Regulierung für Banken ist sicherlich die grösste Veränderung für Aufsichtsratsvorsitzende wie mich, das wirkt sich auf meine gesamte Arbeit aus.

Zahlreiche Grossbanken leiden noch immer unter den Spätfolgen der Finanzkrise vor zehn Jahren. Welche persönlichen Schlüsse ziehen Sie aus dieser Zeit?

In der Tat haben viele regulatorische Themen, mit der sich die Finanzbranche heute beschäftigt, ihren Ursprung in dieser Zeit. Ich habe in den vergangenen 10 Jahren erst so richtig verstanden, was Regulierung eigentlich ist: Sie ist die gesellschaftliche Reaktion auf ein empfundenes Versagen der Märkte. Die Ursachen von Krisen sind aber immer hochkomplex. Es ist umso wichtiger, dass wir keine voreiligen Schlüsse ziehen und unsere Energie nicht ausschliesslich darauf verwenden, den Schuldigen zu suchen. Es sollte immer darum gehen, sinnvolle Regeln für die Zukunft aufzustellen.

Ist das europäische Bankensystem heute tatsächlich besser vor Krisen gewappnet oder trügt der Schein?

Der Schein trügt nicht, die Banken sind eindeutig sicherer geworden. Seit der Finanzkrise ist enorm in die Stabilität des Systems investiert worden. Das zeigt sich vor allem in wesentlich höheren Kapitalquoten und deutlich umfassenderen und strengeren Kontrollen. Die neue Herausforderung für Banken ist vielmehr, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu finden. Das wird angesichts der hohen Kapitalanforderungen in Kombination mit der Dauertiefzinsphase immer schwieriger – gerade für Institute, die mit Wettbewerbern konkurrieren, die in ihrem Heimatmarkt ein freundlicheres Zinsumfeld vorfinden.

Was müsste sich bezüglich Gesetzgebung, Aufsicht und Unternehmenskultur noch ändern, damit das Finanzsystem besser vor künftigen Krisen geschützt ist?

Das heutige Marktumfeld, in denen viele neue Wettbewerber auftreten, verlangt ein grundsätzlich anderes Selbstverständnis bei den Banken. Agile, nicht-hierarchische Organisationsstrukturen sind notwendig, um mit FinTechs und Technologiekonzernen Schritt zu halten. Die Regulierer sollten diese Transformation nicht behindern, sondern viel mehr mit modernen Aufsichtsmethoden unterstützen.

Die aktuellen Herausforderungen scheinen vielfältig zu sein. Welche Trends werden ihrer Ansicht nach die künftige Wirtschaftsordnung am stärksten beeinflussen?

Das ist ganz klar die Plattformökonomie, die schon einige Branchen aus den Angeln gehoben hat und die jetzt mit voller Kraft die Finanzbranche ins Visier nimmt. Wer die Amazons, Airbnbs und Ubers der Finanzbranche sein werden, bleibt abzuwarten – die Ausgangsposition der klassischen Banken ist da besser, als viele glauben, weil sie schon heute Zugang zu Millionen von Kunden haben. Klar ist, dass neue Geschäftsmodelle aufkommen und den Markt unwiederbringlich verändern werden.

Technologische Innovationen wie Blockchain oder künstliche Intelligenz scheinen das Potenzial zu haben, die Finanzindustrie auf den Kopf zu stellen. Wie gross schätzen Sie die disruptive Kraft ein?

Was wir in den kommenden Jahren erleben werden übertrifft vermutlich unsere jetzige Vorstellungskraft. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die eigentliche Auswirkung von Elektrizität kam, als die Ingenieure, die Fabriken bauten, erkannten, dass sie sie nicht länger um eine zentrale Energiequelle herum bauen mussten, wie sie es im Zeitalter der Dampfmaschine gelernt hatten. Die Energie war plötzlich überall verfügbar – erst als man das zu nutzen verstand, stieg die Produktivität exponentiell. Ich bin überzeugt: Bei vielen digitalen Technologien nähern wir uns diesem Wendepunkt erst jetzt.

Paul Achleitner
ist seit Mai 2012 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bank AG. Achleitner studierte an der Universität St. Gallen (HSG), wo er promovierte, und der Harvard Business School. Nach vier Jahren bei der Managementberatung Bain & Co in Boston wechselte Achleitner 1988 zur Investmentbank Goldman Sachs & Co. Dort war er nach Stationen in New York und London von 1994 bis 1999 Resident Partner in Frankfurt. In den Jahren 2000 bis 2012 war Achleitner Finanzvorstand der Allianz SE.

 


Finance Forum Liechtenstein am 27. März 2019

Die fünfte Ausgabe des Finance Forum Liechtenstein findet am Mittwoch, 27. März 2019, ab 13.30 Uhr in Vaduz statt. Die führende Finanztagung steht unter dem Titel «Disruption in der Finanzbranche 2019» und bietet hochkarätige Referenten, interessante Workshops und attraktive Networking-Plattformen. Zu den Speakern gehören unter anderem Adrian Hasler, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein, Paul Achleitner, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, Beatrice Weder di Mauro, Wirtschaftswissenschaftlerin und UBS-Verwaltungsrätin, Jos Dijsselhof, CEO SIX, Stephan Sigrist, Gründer der Denkfabrik W.I.R.E., sowie Hirnforscher Lutz Jäncke. Auf dem Podium diskutieren S.D. Prinz Max von und zu Liechtenstein, CEO LGT Group, Markus Neuhaus, Verwaltungsratspräsident PwC Schweiz/Liechtenstein und Mario Frick, Verwaltungsratspräsident Bank Frick, gemeinsam mit Paul Achleitner über die Zukunft der Finanzplätze Schweiz und Liechtenstein. Im Fintech-Flash erklären Olga Feldmeier, CEO Smartvalor, und Florian Batliner-Staber, Co-Founder Own, warum sie eine Niederlassung in Liechtenstein gegründet haben. Die Tagung vernetzt rund 600 hochkarätige Entscheidungsträger der Finanzbranche.

Informationen und Anmeldungen unter www.finance-forum.li 


 

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