RobecoSAM: Soziale Fragen in der Lieferkette der Lebensmittel- und Agrarindustrie

RobecoSAM: Soziale Fragen in der Lieferkette der Lebensmittel- und Agrarindustrie

Peter van der Werf, Engagement Specialist RobecoSAM Governance & Active Ownership. (Foto: RobecoSAM)

Zürich – Lieferkettenskandale durch Menschenrechtsverletzungen und schlechte Arbeitsbedingungen können Lebensmittelhersteller und Supermärkte rasch einholen und gravierende negative Folgen für ihren Unternehmenswert haben. Als Anleger erwarten wir von den Unternehmen, in die wir investieren, dass sie auf derartige Risiken hinreichend vorbereitet sind. Engagement Specialist Peter van der Werf beschreibt das neue Engagement-Programm von RobecoSAM Governance & Active Ownership zu sozialen Fragen in der Lebensmittel- und Agrarindustrie.

Direkte Relevanz für Anleger-Unternehmen werden für soziale Missstände in ihren Lieferketten zunehmend zur Rechenschaft gezogen. Die Lieferkette der Lebensmittelindustrie umfasst unterschiedliche Akteure mit jeweils eigenen Rollen. Unternehmen am Anfang der Lieferkette wie Produzenten und Händler sind auf die Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort sowie die Zulassung durch die lokalen Behörden angewiesen. Nachhaltige Geschäftspraktiken sind eine unerlässliche Voraussetzung für ihre sogenannte «License to Operate» – die «gesellschaftliche Betriebslizenz». Produzenten, die Konsumenten direkt bedienen oder eine Marke haben, die es zu schützen gilt, müssen einen guten Überblick über die Produktionsprozesse haben, um die Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette sicherzustellen. Darüber hinaus kann die zunehmende Verknappung von Land und Wasser zur Bewässerung zu Angebotsschwankungen und höheren Preisen führen. Diese stellen ein unmittelbares Risiko für die Nahrungsmittelhersteller dar, da sie die höheren Preise nicht immer an die Verbraucher weiterreichen können. Olam International, ein grosser Rohstoffproduzent und Kakaohändler, berichtet zum Beispiel, dass die Kakaonachfrage um 3% pro Jahr steigt, während das Angebot kontinuierlich zurückgeht, weil immer weniger Agrarbetriebe Kakao produzieren.

Zehn Rohstoffe und 18 Unternehmen
Wir haben zehn wichtige Agrarrohstoffe ausgewählt, deren Produktion, Verarbeitung und Vermarktung mit sozialen Risiken verbunden ist: Palmöl, Soja, Kakao, Kaffee, Tee, Zucker, Baumwolle, Haselnüsse, Gerstenmalz und Milchprodukte. Auf dieser Grundlage werden wir einen Engagement-Dialog mit 18 Lebensmittel- & Agrarunternehmen führen, darunter Carrefour, Wilmar und Nestlé. Im Mittelpunkt werden die für ihre jeweilige Geschäftstätigkeit wichtigsten Rohstoffe stehen. Im Rahmen unseres Engagement-Programms werden wir uns zudem gemeinsam mit anderen Investoren für die gemeinschaftlichen Engagement-Projekte der Prinzipien für verantwortliches Investieren (PRI) der UN einsetzen. Im Fokus stehen hier die Arbeitsbedingungen und Wasserrisiken entlang der Agrar-Lieferkette.

«Die zunehmende Verknappung von Land und Wasser zur Bewässerung kann zu Angebotsschwankungen und höheren Preisen führen. Das ist ein unmittelbares Risiko für die Lebensmittelhersteller.»
Peter van der Werf, Engagement Specialist RobecoSAM Governance & Active Ownership

Fünf Engagement-Ziele
Wir haben fünf wichtige soziale Themen von besonderer Relevanz für die Lieferkette der Nahrungsmittel- und Agrarindustrie identifiziert: Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, nachhaltige landwirtschaftliche Produktion, Zahlung eines existenzsichernden Lohns und Stärkung von Kleinbauern. Im Anschluss haben wir für jedes dieser Themen konkrete Ziele für Lebensmittelhersteller und Agrarunternehmen formuliert. In den nächsten drei Jahren werden wir einen Engagement-Dialog mit den 18 ausgewählten Unternehmen führen und ihre Fortschritte in diesen fünf Bereichen überwachen.

Menschenrechte achten
Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie eine Menschenrechtsrichtlinie formulieren. Anhand gezielter Bewertungen sollen sie Produktionsbereiche identifizieren, die anfällig für potenzielle Menschenrechtsverletzungen sind, welche ihre Reputation und Geschäftstätigkeit gefährden können. Beispielsweise wissen wir von Olam International, einem der diversifiziertesten börsennotierten Plantagen-Betreiber, dass das Unternehmen in Kürze eine Plantagen-Richtlinie zur Sicherstellung traditioneller Landrechte indigener Gruppen veröffentlichen wird.

Einhaltung von Arbeitsrichtlinien
Die International Labor Organization (ILO) bezeichnet die Landwirtschaft als eines der gefährlichsten Berufsfelder. Ein Drittel der weltweiten Arbeitnehmer ist in der Landwirtschaft tätig, die meisten davon in Entwicklungs- und Schwellenländern 1. Wir erwarten von den Unternehmen, in die wir investieren, dass sie die ILO-Konventionen zur Abschaffung der Kinderarbeit und Beseitigung von Zwangsarbeit, zum Verbot der Diskriminierung, zur Vereinigungsfreiheit und zum Recht auf Kollektivverhandlungen einhalten. Mit Hilfe eines Verhaltenskodex für Lieferanten können Unternehmen für ein angemessenes Arbeitsumfeld für ihre eigenen Beschäftigten und die Beschäftigten ihrer Lieferanten sorgen. Wilmar zum Beispiel hat eine Richtlinie eingeführt, welche die eigenen Palmöllieferanten dazu verpflichtet, auf die Abholzung und Brandrodung von Waldflächen mit hohem Kohlenstoffbestand und torfhaltigen Böden zu verzichten und die Rechte der Landbesitzer und der indigenen Bevölkerung zu respektieren.

Nachhaltige Agrarproduktion
Die Landwirtschaft kann einschneidende Auswirkungen auf die Biodiversität haben und zum Klimawandel beitragen. Ein grosser Sorgenfaktor ist die Abforstung, vor allem in tropischen Ländern, deren Regenwälder einen grossen Teil der weltweiten Artenvielfalt beheimaten, enorme Mengen an Kohlenstoff binden und eine wichtige Rolle in Ökosystemdienstleistungen von globaler Bedeutung spielen. Die Soja- und Palmölproduktion sowie die Viehzucht gelten als hauptverantwortlich für die grossflächige Abforstung. Unternehmen, die in diesen Rohstoffketten tätig sind, müssen solide Richtlinien zur Bekämpfung der Abforstung und Begrenzung der negativen Auswirkungen auf die Wasserreserven vorweisen können. Darüber hinaus müssen sie ihre Transparenz durch eine Berichterstattung im Einklang mit den CDP Water und CDP Forest Reporting Standards verbessern. Carrefour ist ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, das zur Förderung einer nachhaltigen Agrarproduktion beiträgt. Die französische Supermarktkette hat eine Richtlinie für eine verantwortungsbewusste Beschaffung implementiert. Danach bevorzugt das Unternehmen Lieferanten und Produkte, welche die Biodiversität respektieren, und verpflichtet sich zum Einkauf von Palmöl und Soja aus nachhaltiger Produktion.

Existenzsichernde Löhne an Stelle von Mindestlöhnen
Arbeitnehmer müssen einen existenzsichernden Lohn erhalten, mit dem sie ihre Lebenshaltungskosten decken können. Im Bereich der Rohstoffproduktion erhalten viele Kleinbauern keinen festen Lohn, sondern erzielen ihr Einkommen aus dem Verkauf von Agrarprodukten. Um ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, müssen die Kleinbauern einen fairen Preis für ihre Produkte erhalten. Das wiederum erhöht die Stabilität der Arbeitsplätze und der Versorgungsbasis. Von den Unternehmen, in die wie investieren, erwarten wir, dass sie eine Richtlinie entwickeln, die ein existenzsicherndes Einkommen für ihre eigenen Beschäftigten festschreibt, und diese Problematik auch im Gespräch mit ihren Lieferanten adressieren. Unsere Risikobewertung für Nestlé zum Beispiel hat ergeben, dass das Unternehmen seine Produkte aus mehreren Hochrisikoländern bezieht, wo eine Garantie für existenzsichernde Löhne zur Stabilität der Versorgungsbasis beitragen würde. Wir werden gemeinsam mit dem Unternehmen Möglichkeiten für Partnerschaften mit Kleinbauern und die Entwicklung einer Richtlinie zu existenzsichernden Löhnen beleuchten.

Stärkung der Kleinbauern
Rund drei Viertel der ärmsten Menschen der Welt sind in den ländlichen Regionen der Entwicklungs- und Schwellenländer beheimatet und leben von der Landwirtschaft 2. Als Kleinbauern sind sie in globale und lokale Produktionsnetzwerke eingebunden. Trotz ihres wichtigen Beitrags zur weltweiten Lebensmittelproduktion bilden die Kleinbauern die grösste Gruppe der unterernährten Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern 3. Sie sehen sich zunehmend mit der Degeneration der natürlichen Ressourcen konfrontiert, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen, sowie mit einem Rückgang an geeigneten Anbauflächen und steigenden Produktionsmittelpreisen. Wir halten eine nachhaltige Intensivierung der Produktivität der Kleinbauern für eine entscheidende Voraussetzung, um die Herausforderungen der globalen Lebensmittelproduktion zu bewältigen – zum Beispiel die Versorgungssicherheit. Unilever zum Beispiel hat eine «Livelihood for Smallholder Farmers’ Richtlinie, um Kleinbauern zu helfen, ihre Ernteerträge zu steigern und so letztlich ihre Lebenssituation zu verbessern. (RobecoSAM/mc/ps)

1 http://www.ilo.org/global/publications/books/WCMS_159457/lang–en/index.htm (accessed 1 December 2014)
2 IFAD (2011) Rural Poverty Report 2011 (Rome: IFAD)
3 IFAD (2011) Environment and natural resource management policy: Resilient livelihoods through the sustainable use of natural assets (Rome: IFAD)

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