Union Investment: «Umfeld bleibt klar auf Wachstumsstimulation»

Union Investment: «Umfeld bleibt klar auf Wachstumsstimulation»
Jens Wilhelm, Mitglied des Vorstands der Union Asset Management Holding AG und Chief Investment Officer. (Foto: zvg)

Für das Börsenjahr 2020 bleibt das Kapitalmarktumfeld aussichtsreich. Jens Wilhelm, im Vorstand von Union Investment zuständig für das Portfoliomanagement, sieht gute Startbedingungen.

Von Markus Baumgartner

Herr Wilhelm, woher nehmen Sie den Optimismus für ein gutes Börsenjahr 2020?

Wilhelm: Das Jahr 2019 war stark durch Geo- und Geldpolitik geprägt. Die Märkte pendelten zwischen unterstützenden Zentralbankimpulsen und politischen bzw. geopolitischen Störfeuern. Beide Faktoren verlieren 2020 an Zugkraft. Die politischen Risiken beruhigen sich, während von der Geldpolitik wenig Überraschendes kommen wird. Damit gewinnt die Konjunktur am Kapitalmarkt an Bedeutung. Das Wachstum kühlt sich ab, für eine Beschleunigung wäre ein Fiskalimpuls nötig. Diese Mischung aus sinkenden geopolitischen Risiken, insgesamt weiter lockerer Geldpolitik und moderatem Wachstum bietet gute Startbedingungen für das Börsenjahr 2020. Es spricht daher viel für chancenorientierte Anlagen.

Wie schätzen Sie die Konjunkturperspektiven ein?

Das Wachstum dürfte 2020 sowohl in den USA als auch in der Eurozone an Fahrt verlieren. Wir rechnen bei Union Investment mit einem BIP-Zuwachs von 1,6 Prozent in den Vereinigten Staaten nach 2,3 Prozent im laufenden Jahr. Im Euroraum dürfte ein Wert von 0,8 Prozent, in Deutschland von 0,6 Prozent erzielt werden. Das ist nicht schön, aber auch keine Katastrophe. Die 2019 grassierenden Sorgen vor einem wirtschaftlichen Absturz waren also übertrieben.

Was sind die Gründe für den Wachstumsabschwung?

Auslöser ist vor allem der lahmende Welthandel, der nicht zuletzt die Exportnation Deutschland hart trifft. Dahinter steht letztlich der Handelsstreit zwischen Peking und Washington, der mittlerweile auch die US-amerikanische Volkswirtschaft in Mitleidenschaft zieht. Die Folgen des Handelsstreits machen vor niemandem Halt, auch nicht vor seinen Verursachern.

Wie wird es Ihrer Meinung nach zwischen den USA und China weitergehen?

Die jüngste Annäherung sehen wir positiv. Denn: Im anstehenden Wahljahr kann sich US-Präsident Trump weitere konjunkturelle Bremsspuren nicht leisten. Daher erwarten wir eine konziliantere US-Position. Gleichzeitig ist auch China, das mitten im wirtschaftlichen Umbauprozess steckt, auf ein günstiges aussenwirtschaftliches Klima angewiesen. Dies gilt umso mehr, als die chinesischen Wachstumsraten zuletzt hinter den Erwartungen zurückblieben. Eine Eskalation im Handelsstreit ist damit fürs erste vom Tisch.

Rechnen Sie mit einer grundsätzlichen Beilegung des Konflikts?

Leider nein, denn der Streit dreht sich um mehr als Zölle und Patente. Im Kern geht es um eine hegemoniale Auseinandersetzung zwischen zwei Supermächten. Dieser Gegensatz wird nicht verschwinden, auch nicht nach den US-Präsidentschaftswahlen im November 2020. Denn egal, wer danach im Oval Office Platz nimmt, der Interessenkonflikt zwischen den USA und China bleibt bestehen. Beruhigung ja, Beilegung nein – so kann man es zusammenfassen.

Gute Nachrichten für die Börsen also?

Insgesamt schon. Neben dem Handelsstreit dürfte sich die Lage auch beim Brexit entspannen. Da gleichzeitig auch auf anderen Feldern – Stichwort Italien – Verbesserungen zu verzeichnen waren, sollte sich das politische Umfeld für die Kapitalmärkte weiter beruhigen.

Wie wird es bei den Notenbanken in diesem Jahr weitergehen?

Von Seiten der Geldpolitik erwarten wir weiter Unterstützung, vor allem in den USA. Die Fed dürfte bei fortgesetzter Wachstumsabschwächung in der amerikanischen Volkswirtschaft mit zwei weiteren Zinssenkungen reagieren. Nach der jüngsten Lockerungsrunde aus Zinssenkung, Einführung von Staffelzinsen und Wiederaufnahme des Ankaufprogramms schätzen wir die Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank (EZB) hingegen als sehr begrenzt ein.

Was heisst das für die Kapitalmärkte?

Das geldpolitische Umfeld bleibt angesichts weiter geringer Inflationsraten klar auf Wachstumsstimulation ausgerichtet. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Zentralbanken weniger markttreibend als 2019 wirken sollten: Geschrumpfte Spielräume, ein abnehmender Grenznutzen und die flächendeckende Erwartung lockerer Geldpolitik an den Märkten dürften die Kurswirkung einschränken.

Damit bleibt auch 2020 das Negativzinsumfeld zementiert, oder?

Ja. Wir rechnen nicht mit nachhaltig steigenden Zinsen. Bei sicheren Papieren wie deutschen oder US-amerikanischen Staatsanleihen dürften die Renditen damit auf Jahressicht praktisch unverändert bleiben. In einem Umfeld lockerer Geldpolitik, eingedämmter geopolitischer Spannungen und schwachen Wachstums spricht daher viel für eine chancenorientierte Positionierung. Carry-Anlagen, etwa Unternehmensanleihen aus dem Investment-Grade-Bereich oder Staatsanleihen der Emerging Markets, sind attraktiv, da sie von den Veränderungen bei Geo- und Geldpolitik besonders profitieren.

Zählen Aktien weiter zu den Anlagefavoriten?

Ja, wenngleich hohe Bewertungen und geringeres BIP-Wachstum das Kurspotenzial begrenzen. Die Unternehmensgewinne fallen als Anschieber der Aktienmärkte nahezu weg. Wir liegen mit unseren Berechnungen deutlich unter den Konsensschätzungen der Analysten. Gleichzeitig besteht ein ruhigeres Umfeld und die damit verbundene Aussicht auf höhere Bewertungen. Aktien sind attraktiv, weil sie über Dividenden höhere laufende Erträge als andere Assetklassen generieren. Das wird sich im Jahresverlauf kurstreibend auswirken. Auf globaler Ebene sehen wir weiteres Aufwärtspotenzial. Auch Immobilien schätzen wir im Negativzinsumfeld als interessante Anlageklasse ein. Die Beschaffung renditeträchtiger und zugleich wertbeständiger Objekte wird allerdings immer schwieriger, muss man einschränkend sagen. Investoren sollten daher über neue Vehikel, Nutzungsarten und Anlagestile nachdenken.

Was sind also die Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Anlagen 2020?

Kurz gesagt: Selektion und Aktivität. Besondere Bedeutung dürfte angesichts generell eingeschränkter Ertragsperspektiven die sorgfältige Selektion erlangen. Das Muster ist bereits deutlich sichtbar bei Hochzinsanleihen: Gute Namen sind gefragt, schlechte Werte werden abverkauft. Diese Dispersion sollte in einem Umfeld schwächerer Makrotreiber noch zunehmen. Selektion und Aktivität sind Schlüsselfaktoren für den Anlageerfolg 2020. (Union Investment/mc/ps)

Zur Person
Jens Wilhelm ist seit 2008 Mitglied des Vorstands der Union Asset Management Holding AG. Als Chief Investment Officer verantwortet er das Portfoliomanagement, das Immobilienfondsgeschäft sowie das Segment IT-Infrastruktur.

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