EU-Kommission leitet Verfahren gegen Ungarn ein

EU-Kommission leitet Verfahren gegen Ungarn ein

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Strassburg – In einer beispiellosen Machtprobe stellt die EU-Kommission Ungarn wegen seiner umstrittenen neuen Verfassung an den Pranger. Die Brüsseler Behörde eröffnet gleich drei Schnellverfahren wegen Verletzung der EU-Verträge gegen das Land. Diese können in letzter Konsequenz zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und auch Geldstrafen führen.

«Ungarn ist ein Schlüsselmitglied der europäischen Familie. Wir wollen, dass nicht länger auch nur der Schatten eines Zweifels am Respekt für europäische Prinzipien und Werte über dem Land schwebt», sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso . Er kündigte Gespräche mit Ungarns Premier Viktor Orban an. Orban reist dazu am kommenden Dienstag nach Brüssel, wie sein Sprecher in Budapest bekanntgab.

Zweifel an Unabhängigkeit der Zentralbank
Grund für die Verfahren sind Zweifel an der Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank, der Justiz sowie der Datenschutzbehörde. Die Gesetze setzen die neue ungarische Verfassung um, die bereits bei ihrer Verabschiedung vor einem Jahr heftig umstritten war. So soll unter anderem das Ruhestandsalter für Richter zeitweise von 70 auf 62 Jahre heruntergesetzt werden. Die EU-Kommission erwägt ein weiteres Verfahren gegen Ungarn, weil sie eine Machtkonzentration auf einem zentralen Posten der ungarischen Justizbehörde befürchtet.

Rasches Handeln erwartet
EU-Justizkommissarin Viviane Reding teilte mit, sie erwarte nun rasches Handeln von Budapest. «Nur tatsächliche Änderungen der fraglichen Gesetzgebung oder ihre sofortige Aussetzung werden den rechtlichen Bedenken der Kommission Rechnung tragen», sagte sie.

Besonders eckt Orban mit der neuen Gesetzgebung zur ungarischen Zentralbank an. Brüssel befürchtet, die Regierung könne zu viel Einfluss auf die laut EU-Recht unabhängige Institution gewinnen.

Finanzieller Druck von EU und IWF
Um Änderungen zu erzwingen, üben EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) finanziellen Druck aus: Solange keine Änderungen am neuen ungarischen Zentralbankgesetz in Aussicht stehen, wollen die internationalen Geldgeber die Gespräche über dringend benötigte Hilfskredite für Ungarn nicht weiterführen – eine Position, die EU-Währungskommissar Olli Rehn nach der Entscheidung der EU-Kommission noch einmal bekräftigte. Er wird mit dem ungarischen Minister Tamas Fellegi am Freitag zu einem schon länger angekündigten informellen Treffen in Brüssel zusammenkommen.

Verfahren vor europäischem Gerichtshof droht
Ungarn hat nur einen Monat Zeit, auf den Beschwerdebrief aus Brüssel zu reagieren – üblich bei solchen Verfahren sind zwei Monate. Danach kann die EU-Kommission eine Änderung der Gesetze verlangen. Kommt Ungarn den Forderungen nicht nach, kommt es zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und möglicherweise zu Geldstrafen. EU-Währungskommissar Rehn hatte Ungarn im laufenden Defizitverfahren bereits mit Streichung von EU-Fördergeldern im kommenden Jahr gedroht. (awp/mc/pg)

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