Europas Top-Personalien: Chefs spielen auf Zeit

Europas Top-Personalien: Chefs spielen auf Zeit

David Cameron (l.) beim Treffen in Brüssel zusammen mit dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi. (Foto: EC Audiovisual Services)

Brüssel – Bei der Neubesetzung von EU-Spitzenämtern sind die europäischen Staats- und Regierungschefs uneins und spielen deshalb auf Zeit. Beim EU-Gipfel erteilten die 28 Staatenlenker ihrem Vorsitzenden Herman Van Rompuy den Auftrag, in den kommenden Wochen mit dem Parlament über die Nachfolge von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso zu verhandeln. Nach den vierstündigen Beratungen vermied Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Festlegung auf den konservativen Spitzenkandidaten und Europawahl-Sieger Jean-Claude Juncker (59).

«Ich habe Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidaten unterstützt. Das habe ich nach dem Wahltag nicht vergessen», sagte Merkel. Unter den Staats- und Regierungschefs werde es aber darüber noch Diskussionen geben. «Wir müssen dafür sorgen, dass wir im (Europäischen) Rat gut miteinander arbeiten können», sagte sie. Nächste Etappe im Postenpoker ist der kommende Gipfel am 26. und 27. Juni.

Cameron und Orban mit wenig Freude an Juncker
Der liberale luxemburgische Premier Xavier Bettel kritisierte die abwartende Haltung von Gipfelkollegen: «Wenn man sich auf einen Spitzenkandidaten geeinigt hat, dann muss man das auch respektieren. Ich habe Schwierigkeiten, draussen zu erklären, dass man sich jetzt nicht einig ist über das Wer, Was und Wo.» Er fügte aber hinzu: «Besser als heute eine Abstimmung mit Spaltung der 28 ist es, sich Zeit zu geben und dann das Resultat zu respektieren.» Als Gegner einer Juncker-Kandidatur gelten der britische Premier David Cameron und der nationalkonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban.

«Breite Mehrheit finden»
Die Konservativen wurden bei den Europawahlen am Sonntag die stärkste Kraft mit 213 Sitzen im Parlament. Die Sozialdemokraten landeten auf Platz zwei (191 Sitze). Juncker als Wahlgewinner kommt nicht automatisch zum Zug. Nach den Gesprächen mit dem Parlament wird Van Rompuy den «Chefs» einen Personalvorschlag machen. Das Parlament muss dann dem Kandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen.

Da Rechtspopulisten und Euro-Skeptiker gestärkt aus der Europawahl gingen, wird eine grosse Koalition in der Brüsseler Machtzentrale wahrscheinlicher. «Wir wissen, dass keine Parteiengruppe alleine eine Mehrheit hat. Das heisst, es wird darum gehen, eine breite Mehrheit zu finden», so Kanzlerin Merkel.

Mehrere wichtige Posten zu besetzen
Der EU-Kommissionschef ist nur einer von mehreren Spitzenposten auf EU-Ebene. Dazu gehören der EU-Ratsvorsitzende, der die EU-Gipfel leitet, der EU-Aussenbeauftragte und möglicherweise auch ein hauptamtlicher Chef der Euro-Finanzminister. Ein Paket müsste ausgewogen sein, etwa mit Blick auf Herkunft oder Geschlecht.

Cameron: «Zu gross, zu rechthaberisch und zu ergreifend»
Der Wahlgewinn der rechtsextremen Front National in Frankreich und der Erfolg der rechtspopulistischen UKIP in Grossbritannien sorgten für Unruhe bei dem Gipfel. «Wir brauchen eine Einstellung, die anerkennt, dass Brüssel zu gross, zu rechthaberisch und zu eingreifend geworden ist», meinte der britische Premier David Cameron. Der französische Staatschef François Hollande sagte: «Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren». Van Rompuy wird mit den Staatenlenkern über eine neue strategische Agenda der EU für die nächsten Jahren sprechen. Dabei gehe es vor allem um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Arbeitsplätze.

Russland soll mit neuer ukrainischer Führung zusammenarbeiten
Weiteres Thema des Abendessens war die Ukraine-Krise. Die Gipfelrunde forderte Russland zur Zusammenarbeit mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko auf. «Wir erwarten, dass die Russische Föderation mit dem neu gewählten und legitimen Präsidenten zusammenarbeitet, den Rückzug der Streitkräfte von der ukrainischen Grenze fortsetzt und ihren Einfluss auf die bewaffneten Separatisten nutzt, um die Lage in der Ukraine zu deeskalieren», heisst es in einer Erklärung.

In dem Papier wird Moskau nicht mit EU-Sanktionen gedroht. Die Staats- und Regierungschefs nahmen die «Vorbereitungen für mögliche gezielte Massnahmen» der EU lediglich zur Kenntnis. Merkel schloss allerdings weitere Sanktionen gegen Russland nicht aus, falls es zu einer neuen Destabilisierung im Osten der Ukraine komme. (awp/mc/pg)

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