Alle überlebenden Hamas-Geiseln nach 738 Tagen frei

Alle überlebenden Hamas-Geiseln nach 738 Tagen frei
Israelischer Militärkonvoi mit den ersten sieben freigelassenen Geiseln auf dem Weg zur Re'im-Militärbasis im Süden Israels.

Jerusalem / Gaza / Scharm el Scheich – Nach 738 Tagen in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen sind alle überlebenden Geiseln wieder frei. Die islamistische Terrorgruppe übergab die letzten verbliebenen 20 Geiseln am Vormittag dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Anschliessend wurden sie nach übereinstimmenden Medienberichten nach Israel gebracht. Darunter sind auch vier Deutsch-Israelis. Im Gegenzug hat Israel zugesagt, etwa 2.000 palästinensische Häftlinge aus dem Gefängnis entlassen.

Der Austausch gehört zu den Vereinbarungen, mit denen der Gaza-Krieg beendet werden soll, der am 7. Oktober 2023 mit einem Massaker der Hamas in Israel begann. Der Friedensplan kam unter wesentlicher Vermittlung der USA zustande. Zur Unterzeichnung im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich wurde auch US-Präsident Donald Trump erwartet. Zuvor war Trump von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für einen Auftritt im israelischen Parlament empfangen worden.

Grosse Zeremonie in Scharm el Scheich
Zu der Zeremonie reisten auch zahlreiche andere Staats- und Regierungschefs nach Ägypten, darunter Bundeskanzler Friedrich Merz. Auf Grundlage der Vereinbarungen gilt seit Freitag in dem weitgehend zerstörten Gazastreifen eine Waffenruhe. In den nächsten Wochen und Monaten geht es nun darum, daraus einen dauerhaften Frieden zu machen. Nach all den Kriegen und Konflikten im Nahen Osten gibt es grosse Skepsis, ob das gelingt.

Die letzten 20 Geiseln wurden von der Hamas in zwei Gruppen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) übergeben. Dabei sahen sich auch die deutsch-israelischen Zwillinge Gali und Ziv Berman erstmals seit zwei Jahren wieder. Die israelische Armee veröffentlichte ein Bild, das ihr Wiedersehen dokumentiert. Zu den Vereinbarungen gehört, dass die Hamas noch am Montag auch die Leichen von 28 Geiseln übergibt. Unklar war, ob dies im Lauf der vereinbarten Frist geschehen kann.

Trump: «Der Krieg ist zu Ende»
Auslöser des Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen vor zwei Jahren nahe der Grenze zum Gazastreifen verübten. Auf israelischer Seite wurden etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 nach Gaza verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde kamen dabei mehr als 67.000 Menschen ums Leben.

Trump wurde zum Auftakt seines Kurzbesuchs im Nahen Osten auf dem Flughafen von Israels Ministerpräsident Netanjahu empfangen. Anschliessend waren Treffen mit den Angehörigen von bisherigen Geiseln und eine Rede vor der Knesset geplant, dem israelischen Parlament. Ungeachtet der noch ausstehenden weiteren Friedensverhandlungen erklärte der US-Präsident den Gaza-Krieg bereits für beendet. «Der Krieg ist zu Ende», sagte der Republikaner an Bord des Präsidentenflugzeugs Air Force One.

Die US-Nachrichtenseite Axios zitierte Trump zudem mit den Worten, das Abkommen «könnte die grösste Sache sein, in die ich jemals involviert war». Trump hatte die Einigung durch Druck auf Netanjahu sowie auf die Hamas vermittelt – unterstützt von Katar, Ägypten und der Türkei. Viele Fragen im Konflikt zwischen Israel und Hamas wie auch in der Region sind aber ungelöst. Auch die Zukunft des Gazastreifens ist völlig offen.

Israel sagt Freilassung von 2.000 Palästinensern zu
Auf dem «Platz der Geiseln» im Zentrum der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv wurde die Übergabe von Tausenden Menschen verfolgt. Nach den ersten Berichten brach grosser Jubel aus. Nach der Freilassung wurden die Geiseln in ein israelisches Militärlager am Rande des Gazastreifens gebracht. Dort sollte es – abgeschirmt von den Medien – ein erstes Wiedersehen mit Angehörigen geben. Anschliessend sollten die bisherigen Geiseln zur weiteren Behandlung in Krankenhäuser geflogen werden.

Im Gegenzug hat Israel die Entlassung von etwa 2.000 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen versprochen – darunter auch etwa 250, die zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren. Der prominente palästinensische Politiker Marwan Barghuti soll allerdings in Haft bleiben.

Netanjahu mahnt: «Noch grosse Sicherheitsherausforderungen»
Die israelische Armee hat sich mit Beginn der Waffenruhe auf eine vereinbarte Linie zurückgezogen. Die Armee behält aber immer noch die Kontrolle über etwa die Hälfte des von Israel abgeriegelten Küstenstreifens. Die Geiseln wurden unter grausamen Bedingungen festgehalten. Zuvor freigelassene Geiseln hatten von Folter und schweren Misshandlungen berichtet. In von Terrororganisationen veröffentlichten Videos waren stark abgemagerte Geiseln zu sehen.

Israels Ministerpräsident Netanjahu mahnte am Vorabend der Übergabe, der Kampf sei noch nicht vorbei. «Es liegen noch grosse Sicherheitsherausforderungen vor uns.» Einige Feinde versuchten, sich zu erholen, um erneut anzugreifen. Der Tag werde neben der Freude über die Rückkehr der entführten Geiseln aber auch von Trauer über «die Freilassung der Mörder» geprägt sein, fügte er mit Blick auf die freizulassenden palästinensischen Häftlinge hinzu.

Netanjahu soll nach Medienberichten bei der Zeremonie in Scharm el Scheich nun doch dabei sein. Ursprünglich hatte es geheissen, er werde nicht nach Ägypten reisen. Die Hamas bleibt der Zeremonie fern.

Lage im Gazastreifen verzweifelt
Nach zwei Jahren Krieg ist die Lage für die Palästinenser in dem von Israel abgeriegelten Gazastreifen verzweifelt. Hunderttausende Menschen müssen sich in einer zu weiten Teilen zerstörten, vermutlich von Blindgängern übersäten Trümmerlandschaft zurechtfinden, in der sie nur durch dauerhafte Hilfe von aussen überleben können.

Seit Beginn der Waffenruhe hat Israel die Einfuhr von mehr Hilfsgütern in das Gebiet erlaubt: Täglich sollen rund 600 Lastwagen einfahren. Das ist nach UN-Angaben die Mindestmenge, um die Bevölkerung zumindest mit dem Nötigsten zu versorgen. Laut israelischen Sicherheitskreisen soll etwa auch die Reparatur von Wasserleitungen, Abwassersystemen und Bäckereien möglich sein.

Streitpunkte bleiben
Es ist jedoch nicht absehbar, ob das Abkommen zu einem längerfristigen Ende der Kämpfe in Gaza führen wird. Dre der grössten Streitpunkte bleiben die Entwaffnung der Hamas, die in Trumps Friedensplan vorgesehen ist, der komplette Abzug von Israels Armee aus dem Gebiet sowie die Zukunft des Gazastreifens. Nach einem vereinbarten Rückzug hält Israel weiterhin etwas mehr die Hälfte des Gazastreifens besetzt. Die Hamas spricht Israel zudem weiterhin das Existenzrecht ab. Netanjahu und seine rechtsextremen Regierungspartner wollen die Hamas restlos zerschlagen. (awp/mc/ps)

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