Portugal: Neue Regierung und alte Ängste

Portugal: Neue Regierung und alte Ängste

Passos Coelho, Portugals neuer Ministerpräsident.

Lissabon – Den Rauswurf des unbeliebten Schuldemachers und Sozialisten José Sócrates feierten die Portugiesen allenfalls mit Selters. Denn im pleitebedrohten Euro-Staat glauben nach den vorgezogenen Parlamentswahlen die wenigsten, dass die neue konservative Regierung genügend Spielraum hat, um die Schulden abzubauen und gleichzeitig für eine bessere Zukunft im ärmsten Land Westeuropas zu sorgen. «Es gibt nichts zu feiern. Uns erwarten viel härtere Zeiten als bisher», warnte der Journalist José Eduardo Moniz.

Symptomatisch für die skeptische bis ängstliche Haltung der meisten Portugiesen war am Montag die Entwicklung an der Lissabonner Börse. Obwohl der Wahlsieger Pedro Passos Coelho und seine liberale Partei der Sozialdemokratie (PSD) sehr unternehmerfreundlich eingestellt sind, brach der Börsenindex PSI am Nachmittag um über ein Prozent ein. Zuvor hatte die unabhängige Zeitung «Público» ihre Leser gewarnt: «Der Alptraum geht weiter». Bei den Wahlen habe man nur darüber entschieden, wer «das superstrenge, von aussen auferlegte Sparprogramm exekutieren» darf.

Neue Regierung übernimmt ab Anfang Juli
In der Tat: Die neue Regierung unter dem gelernten Volkswirt und Hobby-Sänger Passos Coelho (46) wird wohl erst Anfang Juli die Amtsgeschäfte übernehmen. Und schon wenige Tage später muss sie jene Sparauflagen in Gang bringen, die EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) bei der Gewährung des 78-Milliarden-Euro-Hilfspakets gefordert haben. Dazu bedarf es einer starken Regierung mit absoluter Parlamentsmehrheit. Die will Passos, der nur 38,6 Prozent der Stimmen bekam, mit den Rechtskonservativen des Demokratischen und Sozialen Zentrums CDS bilden.

Erste Schwierigkeiten mit Koalitionsbildung
In der Frage der Koalitionsbildung gab es am Montag aber schon einen ersten Schreck. Obwohl CDS-Chef Paulo Portas «über alles» reden will, sprach sich die Nummer zwei der Partei, Artur Lima, gegen eine Koalitionsteilnahme aus. Aber selbst wenn die Koalition zustande kommen sollte: «Público» erinnerte daran, dass sich die Portugiesen mit der politischen Zusammenarbeit schwer tun: In 35 Demokratie-Jahren habe in Portugal noch nie eine Regierungskoalition aus zwei oder mehr Parteien eine komplette Amtszeit überlebt.

Rekordenthaltung von 41,2 Prozent
Weiterer Risikofaktor für die Zukunft Portugals: Bei den Wahlen wurde am Sonntag eine Rekordenthaltung von 41,2 Prozent registriert. Das bedeutet, das mindestens sieben von zehn Portugiesen die neue Regierung nicht gewählt haben. Sie leiteten daraus das Recht ab, bei den nun zu erwartenden drastischen Sparmassnahmen Nein zu sagen, rechnete der Schriftsteller Miguel Esteves Cardoso vor. Er steht der PSD nahe, die wirtschaftliche Lage bezeichnet er als «schmerzhaft und unlösbar».

Zuspitzung der sozialen Konflikte droht
Politologen wie Marina Costa Lobo warnen vor einer Zuspitzung der sozialen Konflikte. Sie fürchten, dass Passos Coelho zwischen den Forderungen der Gläubiger, die er bedingungslos erfüllen will, und den Protesten der immer unzufriedeneren Bürgern zerrieben werden könnte. «Die Rekordenthaltung zeigt, wie verärgert die Bürger sind», so Costa Lobo. Eine weitere Kostprobe gab es am Montag. Die Mitarbeiter der portugiesischen Bahn, der CP, gaben nach den Wahlen keine Ruhe und kündigten für Freitag einen weiteren Streik an.

«Die Lage ist dramatisch»
Ob es sich bei dem Triumph von Passos um einen Pyrrhussieg handelt, wird sich wohl schon in den nächsten Monaten zeigen. In Portugal hegt man grosse Zweifel daran, dass man den Gürtel nach den drastischen Sparanstrengungen der letzten 18 Monate noch zusätzlich wird enger schnallen können. Das Mindestgehalt liegt bei mageren 475 Euro, die Hilfsanträge an den Wohlfahrtsverband Caritas stiegen in diesem Jahr um 40 Prozent. Die Arbeitslosenrate erreichte das Rekordniveau von 12,5 Prozent. «Die Lage ist dramatisch. Immer mehr Menschen kommen in die Kirche und bitten um Geld für Wasser, Brot oder für die Stromrechnung. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit, mehr Ruhe», sagte dieser Tage der Erzbischof von Évora, José Alves. (awp/mc/ss)

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