Selenskyj macht Druck vor Nato-Gipfel

Selenskyj macht Druck vor Nato-Gipfel
Wolodymyr Selenskyj, ukrainischer Präsident. (Bild: president.gov.ua)

Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den anstehenden Nato-Gipfel im litauischen Vilnius als entscheidend für die künftige Sicherheit Europas bezeichnet. «Noch eine Woche bis zu einem Schlüsselmoment für unsere gemeinsame Sicherheit in Europa», sagte er am Mittwoch in seiner täglichen Videoansprache. Kiew dringt seit Monaten darauf, dass die Militärallianz das von Russland angegriffene Land aufnimmt.

«Wir arbeiten so weit wie möglich mit unseren Partnern zusammen, damit unsere gemeinsame Sicherheit in Vilnius gewinnt», sagte Selenskyj. Es hänge aber alles von den Partnern ab, sagte er mit Blick auf eine Aufnahme seines Landes ins Bündnis. Erst am Dienstag hatte Selenskyj auch noch einmal mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg telefoniert, dessen Amtszeit gerade verlängert wurde.

Aussenausschuss-Chef Roth: Teile der Ukraine in Nato aufnehmen
Zumindest teilweise wird Kiew Entgegenkommen signalisiert: Vor dem Nato-Gipfel nächste Woche plädiert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Michael Roth, dafür, die vertraglichen Grundlagen für eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine etwas weiter auszulegen. «Das heisst, ich würde einen perfekten Frieden nicht zur Bedingung einer Aufnahme machen», sagte der SPD-Politiker der Wochenzeitung «Die Zeit».

Roth schlug vor, etwa zu sagen: «Diejenigen Teile der Ukraine, die unter zuverlässiger Kontrolle der demokratischen Kiewer Regierung stehen, sollten schnellstmöglich zum Nato-Gebiet gehören.» Für diese gelte dann auch die Beistandspflicht nach Artikel 5, sagte er weiter. Für andere Gebiete der Ukraine würde diese Beistandspflicht noch nicht gelten, die Ukraine würde aber als ganzes Land aufgenommen. Man müsse «doch irgendwie aus dem furchtbaren Dilemma heraus, die Nato-Mitgliedschaft womöglich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben zu müssen», so Roth.

Gegenseitige Vorwürfe um AKW Saporischschja
Sorgen bereitet derweil weiter die Lage um das von russischen Kräften besetzte Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine. Beide Kriegsparteien werfen sich geplante Anschläge auf die Nuklearanlage vor. Vorwürfe aus Kiew vom Dienstag, wonach die Russen Sprengsätze an den Dächern von Reaktorblöcken angebracht haben sollen, erwiderte Moskau einen Tag später: «Die Gefahr einer Sabotage vonseiten des Kiewer Regimes ist gross, was von den Folgen her katastrophal sein kann», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

AKW-Betreiber in Saporischschja: Zunächst kein nukleares Desaster
Der Chef des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom hält angesichts von Vorwürfen möglicher Angriffe oder Sabotageakte am AKW Saporischschja eine Atomkatastrophe zum derzeitigen Zeitpunkt für ausgeschlossen, nicht aber einen kleineren atomaren Zwischenfall. Sollten Sprengsätze auf der Anlage im Süden der Ukraine gezündet werden, so «müssten wir zunächst nicht mit einem nuklearen Desaster rechnen, sondern mit einem technischen Desaster», sagte Enerhoatom-Leiter Petro Kotin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag).

Ohne die Anlage wieder hochzufahren, sei es den Russen nicht möglich, eine grosse nukleare Katastrophe zu verursachen, so Kotin. Alle sechs Reaktoren sind seit vergangenem September heruntergefahren. Zugleich warnte Kotin vor den Folgen einer Sprengung von Brennelementen, die in der Anlage zwischengelagert seien. «Das würde zu radioaktiver Verseuchung führen», sagte er. Da die Anlage seit September nicht mehr in Betrieb sei, sei die Strahlung des Brennstoffs aber nicht mehr so stark. Deswegen seien derzeit auch keine Evakuierungsmassnahmen nötig.

IAEA fordert mehr Zugang für Inspektionen im AKW Saporischschja
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) fordert von den russischen Besatzungstruppen erweiterten Zugang für seine in Saporischschja stationierten Beobachter. Die IAEA-Experten hätten in den vergangenen Tagen und Wochen Teile der Anlage inspiziert – darunter Abschnitte des grossen Kühlbeckens – und auch regelmässige Rundgänge durch das Kernkraftwerk gemacht, teilte die IAEA am Mittwoch mit. Dabei seien bisher keine sichtbaren Hinweise auf Minen oder Sprengstoffe festgestellt worden, sagte IAEA-Direktor Rafael Grossi. Die Experten hätten nun zusätzlichen Zugang beantragt, um zu prüfen, ob sich daran etwas geändert habe. Insbesondere sei der Zugang zu den Dächern der Reaktoreinheiten 3 und 4 sowie zu Teilen der Turbinenhallen und einigen Teilen des Kühlsystems der Anlage von entscheidender Bedeutung, fügte Grossi hinzu.

Selenskyj: Hätte mir früheren Beginn der Gegenoffensive gewünscht
Präsident Selenskyj hätte sich einen «sehr viel früheren» Beginn der Gegenoffensive zur Rückeroberung besetzter Gebiete gewünscht. Dafür, dass es anders kam, machte er zwar nicht direkt die westlichen Unterstützer seines Landes verantwortlich. In einem CNN-Interview sagte er aber, den USA und den europäischen Partnern habe er mitgeteilt, «dass wir unsere Gegenoffensive gerne früher starten wollen und dass wir all die Waffen und das Material dafür brauchen». Seine Truppen benötigten von den USA etwa Raketen mit grösserer Reichweite, um russische Ziele weit hinter der Frontlinie angreifen zu können. Zudem gebe es Engpässe bei der Ausrüstung mit Artillerie.

Britische Botschaft in Moskau rät zur Ausreise aus Russland
Die britische Botschaft in Moskau hat derweil alle Landsleute zur Ausreise aus Russland aufgefordert. «Die Invasion (in der Ukraine) bedeutet, dass die Lage hier in Russland unberechenbar ist», sagte Botschafterin Deborah Bronnert in einer Videobotschaft, die am Mittwochabend auf dem Telegram-Kanal der diplomatischen Vertretung veröffentlicht wurde. Wenn der Aufenthalt in Russland nicht zwingend erforderlich sei, rate sie, das Land zu verlassen.

Was am Donnerstag wichtig wird
Die Ukraine setzt ihre Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete fort. Angespannt bleibt die Lage um das AKW Saporischschja. In Brüssel gibt es derweil Vermittlungsgespräche zur Blockade des schwedischen Nato-Beitritts durch die Türkei, die mit ihrer Haltung für Spannungen im Bündnis sorgt. (awp/mc/ps)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert