Ukraine meldet russischen Sturm auf Stahlwerk in Mariupol

Ukraine meldet russischen Sturm auf Stahlwerk in Mariupol
Das komplett zerstörte Stahlwerk Azovstal in Mariupol.

Kiew / Moskau / Berlin – Russische Truppen haben nach ukrainischen Angaben am Dienstag mit dem Sturm auf das seit Wochen belagerte Stahlwerk Azovstal in Mariupol begonnen. Ukrainische Medien berichteten dies unter Berufung auf ukrainische Kämpfer im Werk. In der Ukraine wächst die Sorge, dass die russische Offensive insgesamt bald ausgeweitet wird. In Deutschland versprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) der Ukraine weitere Hilfe, erteilte einer Kiew-Reise aber eine Absage. Die EU arbeitete an Plänen für ein Öl-Embargo gegen Russland.

Es war Tag 68 nach dem Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine. Die südukrainische Stadt Mariupol ist weitgehend zerstört und unter russischer Kontrolle. Im Stahlwerk haben sich jedoch ukrainische Kämpfer verschanzt, zudem sollen dort noch etwa 200 Zivilisten ausharren. Am Wochenende waren über 120 Zivilisten herausgelangt. Eine weitere geplante Evakuierungsaktion am Montag scheiterte.

Dann zitierte am Dienstag die Zeitung «Ukrajinska Prawda» den Vizekommandeur des ukrainischen Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar, mit den Worten: «Die ganze Nacht haben sie uns aus der Luft bombardiert (…) und jetzt wird Azovstal gestürmt.» Bei den jüngsten russischen Angriffen seien auch zwei Zivilisten getötet worden.

Von russischer Seite gab es zunächst keine offizielle Bestätigung. Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete aber unter Berufung auf das Verteidigungsministerium, auf dem Werksgelände verschanzte Asow-Kämpfer hätten eine Feuerpause genutzt, um an ihre Schiesspositionen zurückzukehren. Diese würden nun mit Artillerie und aus der Luft attackiert. Insgesamt sollen in Mariupol immer noch 100 000 von ursprünglich mehr als 400’000 Einwohnern sein.

Ausweitung des Kriegs?
Der russische Präsident Wladimir Putin könnte nach Spekulationen im US-Sender CNN und mehreren ukrainischen Medien bereits in wenigen Tagen in Russland den Kriegszustand verhängen und eine Generalmobilmachung anordnen. Auch der Chef der ukrainischen Militäraufklärung, Kyrylo Budanow, sprach von russischen Vorbereitungen auf eine offene Mobilisierung von Soldaten und Reservisten. Belege dafür gibt es nicht. Bislang spricht Russland offiziell nur von einer «Spezial-Operation» in der Ukraine.

Der Kreml reagierte vorerst nicht auf die Gerüchte. Nun blicken viele Menschen mit Spannung auf Putins Rede zur traditionellen Militärparade am 9. Mai in Moskau, mit der Russland jedes Jahr an den Sieg über Hitler-Deutschland 1945 erinnert. Beobachter halten eine Intensivierung der Gefechte für möglich, weil die russischen Truppen bei ihrer Offensive in der Ostukraine nur stockend vorankommen.

Als eines ihrer Ziele nennt die russische Führung die angebliche «Entnazifizierung» der Ukraine. Dies sorgt auch deshalb für Empörung, weil der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jüdischer Abstammung ist. Äusserungen des russischen Aussenministers Sergej Lawrow in dem Zusammenhang hatten heftige Kritik in Israel ausgelöst. Moskau legte daraufhin nach: Die Regierung in Jerusalem unterstütze «das Neonazi-Regime in Kiew», erklärte das Aussenministerium.

Scholz will nicht nach Kiew
Deutschland wird die Ukraine nach Ankündigung von Bundeskanzler Scholz weiter militärisch und wirtschaftlich unterstützen. Im ZDF erklärte der SPD-Politiker am Montagabend zum Ziel: «Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine darf nicht verlieren.»

Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben in den ersten acht Kriegswochen Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von mindestens 191,9 Millionen Euro in die Ukraine geliefert. Scholz betonte, dies habe dazu beigetragen, «dass die ukrainische Armee, die wirklich sehr erfolgreich agiert, jetzt so lange durchhalten kann gegen einen so übermächtigen Gegner».

Innenpolitisch schlug aber vor allem Wellen, dass der Kanzler vorerst nicht in die ukrainische Hauptstadt Kiew reisen will. Er begründete dies damit, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von der ukrainischen Führung ausgeladen wurde. Stattdessen reiste Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) nach Kiew, um dort unter anderen Regierungschef Denys Schmyhal und Bürgermeister Vitali Klitschko zu treffen.

Mehr als 400’000 Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland
Scholz beriet derweil in Meseberg mit dem Bundeskabinett die Ukraine-Politik. Zur Klausurtagung kamen auch Regierungschefinnen Finnlands und Schwedens, Sanna Marin und Magdalena Andersson, deren Länder wegen des Ukraine-Kriegs einen raschen Nato-Beitritt erwägen. Scholz sagte ihnen dafür Unterstützung zu.

In Deutschland sind inzwischen mehr als 400’000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine angekommen, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Bei ihnen handelt es sich hauptsächlich um ukrainische Staatsbürger. Die meisten von ihnen sind Frauen, Kinder und Alte.

Weitere EU-Russlandsanktionen in Vorbereitung
Bürger und Unternehmen in Deutschland müssen sich zudem in den nächsten Monaten als Kriegsfolge auf einen weiteren Anstieg der Energiepreise einstellen. Die EU-Kommission bereitet nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Vorschlag für weiteres Sanktionspaket gegen Russland vor – «inklusive dem Ausstieg vom russischem Öl». Details könnte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europaparlament vorstellen.

Habeck sagte am Montagabend in Brüssel: «Wie hart die Embargo-Bedingungen definiert werden, da wird sicherlich noch ein bisschen beraten werden.» Es brauche noch ein paar Tage, damit die Mitgliedstaaten über den Vorschlag der Kommission abstimmen könnten.

Der Anteil russischen Öls am deutschen Ölverbrauch ist Habeck zufolge seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine binnen von 35 auf 12 Prozent gesunken. Die verbliebene Menge fliesst fast vollständig an die PCK-Raffinerie in Schwedt, die vom russischen Konzern Rosneft betrieben wird. (awp/mc/ps)

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