US-Konzerne hängen Europas Top-Unternehmen ab

US-Konzerne hängen Europas Top-Unternehmen ab
(Bild: Les Cunliffe - Fotolia.com)

(Les Cunliffe – Fotolia.com)

Zürich – Europas Topkonzerne fallen im Wettbewerb mit ihren US-Pendants immer weiter zurück: Im ersten Halbjahr dieses Jahres stagnierten die Umsätze der 300 grössten europäischen Unternehmen (–0,1 Prozent), darunter 23 Schweizer Konzerne (ebenfalls –0,1 Prozent), während die 300 umsatzstärksten US-Firmen ihren Gesamtumsatz um 5 Prozent steigern konnten. Und während die Amerikaner beim operativen Gewinn (EBIT) um satte 5 Prozent zulegten, gelang den europäischen Unternehmen nur ein Plus von 2 Prozent (Schweizer Unternehmen 1 Prozent).

Zudem haben die US-Unternehmen in den meisten Branchen die Nase vorn – mit stärkerem Umsatzwachstum und höheren Margen. Einzig in der Autobranche kann Europa den USA Paroli bieten und sowohl eine höhere Marge als auch ein stärkeres Umsatzwachstum vorweisen.

Shell und BP die umsatzstärksten europäischen Unternehmen
Die umsatzstärksten Unternehmen sind in Europa wie im Vorjahr die Energieriesen Royal Dutch Shell und BP, gefolgt von Volkswagen auf Rang 3 und Glencore Xstrata auf 4 (gegenüber Platz 5 im 1. Halbjahr 2013). Bei den US-Unternehmen schiebt sich der Handelskonzern Wal-Mart vom zweiten auf den ersten Platz, gefolgt von Exxon Mobil und Chevron.

Apple schreibt mit 22,7 Mrd Euro den höchsten Gewinn
Den höchsten Gewinn aller 600 untersuchten Unternehmen fuhr im ersten Halbjahr Apple ein: Der Technologiekonzern erwirtschaftete einen operativen Gewinn von umgerechnet 22,7 Milliarden Euro. In Europa führen Öl- und Bergbaukonzerne das Gewinnranking an.

Das sind Ergebnisse einer Studie von EY, für die Bilanzzahlen der jeweils 300 umsatzstärksten börsennotierten Unternehmen in Europa und den USA (ohne Banken und Versicherungen) im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2014 analysiert wurden.

Russische Öl- und Gasgesellschaften profitieren vom stark gesunkenen Rubel
Dass die europäischen Konzerne im Vergleich nicht noch schlechter abschneiden, verdanken sie ausgerechnet den russischen Grosskonzernen, die beim Umsatz um 18 Prozent, beim Gewinn sogar um 37 Prozent zulegten. Rechnet man die Zahlen der 20 russischen Topkonzerne im europäischen Top-300-Ranking heraus, ergeben sich für die europäischen Unternehmen ein Umsatzrückgang um knapp 1 Prozent und ein leichter Gewinnrückgang um 0,02 Prozent. Der Grund für das gute Abschneiden der russischen Unternehmen: Die mehrheitlich im Öl- und Gasgeschäft tätigen russischen Topkonzerne profitierten vom stark gesunkenen Rubel-Kurs, der die zumeist in Dollar erwirtschafteten Auslandsumsätze bei der Umrechnung in Rubel aufwertet.

Profitabilität leicht gestiegen
Immerhin: Nach Jahren rückläufiger Gewinnmargen stieg die Profitabilität der europäischen Unternehmen leicht von 9,2 auf 9,4 Prozent. Die Marge der US-Konzerne liegt mit 12,1 Prozent allerdings weiterhin deutlich darüber.

Dass die europäischen Unternehmen ihre Profitabilität steigern konnten, wertet Markus Thomas Schweizer, Managing Partner des Bereichs Advisory bei EY Deutschland, Schweiz und Österreich, durchaus als positives Zeichen und als Ergebnis der zum Teil massiven Kostensenkungsprogramme, denen sich viele europäische Konzerne unterzogen haben. Er betont aber: „Viele europäische Unternehmen haben nach wie vor ein Margenproblem. Und der Abstand zu den deutlich profitableren US-Unternehmen ist in einigen Branchen inzwischen beunruhigend gross.“

US-Konzerne schreiben massiv höhere Gewinne
Wie weit Europäer und Amerikaner beim Gewinn voneinander entfernt liegen, zeigt folgender Vergleich: Der Gesamtgewinn der 300 grössten europäischen Unternehmen lag im ersten Halbjahr bei 324 Milliarden Euro – die Konkurrenz aus den USA erwirtschaftete einen kumulierten Gewinn von umgerechnet 438 Milliarden Euro – bei vergleichbar hohem Umsatz. Die US-Top-Konzerne überflügelten die europäische Konkurrenz beim Gewinn also um 114 Milliarden Euro. Das entspricht dem addierten Bruttoinlandsprodukt von Ungarn und Zypern.

Zudem schreiben deutlich mehr europäische als amerikanische Topunternehmen rote Zahlen: In den USA machten nur vier Unternehmen im ersten Halbjahr Verluste im operativen Geschäft, in Europa waren es 20.

US-Wirtschaft profitiert von guten Rahmenbedingungen
In den USA verzeichneten fast acht von zehn Konzernen (79 Prozent) im ersten Halbjahr steigende Umsätze. In Europa hingegen hielten sich die jeweiligen Anteile der Unternehmen mit einem Umsatzanstieg (52 Prozent) und einem Gewinnrückgang (48 Prozent) etwa die Waage.

„Der Abstand zwischen den US-Unternehmen und den europäischen Konzernen wird immer grösser“, fasst Schweizer zusammen. Er betont allerdings, dass die US-Wirtschaft derzeit von deutlich günstigeren Rahmenbedingungen profitiere: „Die gute Konjunkturentwicklung auf dem Heimatmarkt, deutlich niedrigere Energiekosten, extrem günstige Finanzierungskosten und eine niedrigere Arbeitslosigkeit – den USA geht es zurzeit wirtschaftlich einfach deutlich besser als Europa. Zudem sind für die meisten US-Unternehmen die aktuellen politischen Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten und der Ukraine weit weg – anders als für die europäischen Konzerne.“

Ukrainekrise belastet – Unsicherheit wächst
Belastend wirkten sich für die Unternehmen im Euroraum der hohe Eurokurs und die nach wie vor schwächelnde Konjunktur in Europa aus. Und auch das Russlandgeschäft hat sich vielfach schwach entwickelt, was durch die Abwertung des Rubels um 8 Prozent (Durchschnittswert) noch verstärkt wurde. Die negativen Effekte der Ukrainekrise und der politischen Spannungen mit Russland dürften sich aber im ersten Halbjahr insgesamt nur geringfügig in den Bilanzen der europäischen Unternehmen niedergeschlagen haben, so Schweizer: „Russland ist für die meisten Topkonzerne nur ein Markt unter vielen. Die Einbussen in dieser Region konnten zumeist durch die relativ gute Entwicklung in anderen Märkten mehr als ausgeglichen werden.“

In der zweiten Jahreshälfte dürfte der Ukraineeffekt aber deutlich stärker spürbar sein, erwartet Schweizer: „Es herrscht grosse Unsicherheit in Bezug auf die weitere Entwicklung des Konflikts mit Russland. Das kostet Vertrauen und bremst Investitionen.“ Derzeit spreche wenig für eine Beilegung des Konflikts – im Gegenteil: „Die aktuelle Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen verheisst für die europäische Wirtschaft nichts Gutes.“

Schweizer geht daher nicht davon aus, dass sich die Situation in Europa im weiteren Jahresverlauf verbessern wird: „Der Gegenwind wird stärker. Die Unternehmen sollten sich für eine Durststrecke wappnen.“ Viel spreche dafür, dass die US-Unternehmen auch im zweiten Halbjahr die Nase vorn haben werden.

USA bauen Vorherrschaft in der digitalen Wirtschaft aus
Die bessere Performance der US-Konzerne hänge einerseits mit dem prosperierenden Heimatmarkt, billigem Geld und billiger Energie zusammen, so Schweizer. Andererseits betont er aber auch, dass die US-Wirtschaft derzeit moderner und zukunftsfähiger aufgestellt sei: „In Europa gibt die ‚Old Economy‘ den Ton an, also Industrie- und Rohstoffkonzerne. In den USA hingegen entwickelt sich die IT-Branche zur neuen Leitbranche – und legt dabei eine bemerkenswerte Dynamik an den Tag.“

So können sich 30 IT-Unternehmen in der Liste der 300 umsatzstärksten US-Unternehmen platzieren. In Europa finden sich gerade einmal 12 IT-Unternehmen unter den 300 umsatzstärksten Konzernen, von Schweizer Seite immerhin drei Vertreter: TE Connectivity, Swisscom und ALSO Holding. Und unter den 20 gewinnstärksten US-Unternehmen sind 6 IT-Konzerne – in Europa kein einziger. Dafür zählen in Europa 9 Öl- und Gaskonzerne zu den 20 gewinnstärksten Unternehmen, in den USA sind es nur drei. Schweizer: „Die USA haben derzeit gerade in stark innovativen Branchen eindeutig die Nase vorn.“ Bezeichnend sei, dass mit Apple ein Technologieunternehmen sowohl das US- als auch das Gesamtgewinnranking aller untersuchten Unternehmen anführe, während Europas gewinnstärkstes Unternehmen der norwegische Ölkonzern Statoil sei.

Zunehmender Standortnachteil
Die Dominanz der USA im IT-Bereich werde zunehmend zu einem massiven Standortnachteil Europas, warnt Schweizer: „Die Digitalisierung wird nicht nur den Alltag der Menschen, sondern auch viele Branchen revolutionieren. Wir stehen erst am Anfang einer umwälzenden Entwicklung – und die USA haben hier eindeutig die bessere Startposition als Europa, weil dort die entscheidenden Player beheimatet sind. Wir müssen aufpassen, dass die europäische Wirtschaft von der digitalen Revolution nicht auf dem falschen Fuss erwischt wird.“ (EY/mc/pg)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert