Zeitenwende bei VW: Patriach Piëch tritt ab

Zeitenwende bei VW: Patriach Piëch tritt ab

 Machtkampf verloren: Ferdinand Piëch, ehemaliger VW-Chefaufseher.

Wolfsburg – Mit einem Rücktritt von VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch ist der beispiellose Machtkampf bei Volkswagen zu Ende gegangen. Eine jahrzehntelange Ära bei Europas grösstem Autokonzern geht so zu Ende. Der 78-jährige Piëch trat am Samstag überraschend mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück, wie VW mitteilte. Begründet wurde dies mit einem zerrütteten Verhältnis zu den anderen Mitgliedern des innersten VW-Machtzirkels – dem Betriebsrat, dem Land Niedersachsen und der Familie Porsche.

Piëch war vor zwei Wochen von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn abgerückt. Dies hatte eine Führungskrise ausgelöst, die auch zu einem Konflikt zwischen den Familien Porsche und Piëch führte. Die beiden Familien halten die Stimmenmehrheit an VW. Der frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber übernimmt im Aufsichtsrat kommissarisch den Vorsitz. Auch Piëchs Ehefrau Ursula gibt ihr Mandat im Aufsichtsrat ab.

«Vertrauen nicht mehr gegeben»
«Die Mitglieder des Präsidiums haben einvernehmlich festgestellt, dass vor dem Hintergrund der vergangenen Wochen das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendige wechselseitige Vertrauen nicht mehr gegeben ist», hiess es in einer Erklärung des sechsköpfigen VW-Aufsichtsratspräsidiums nach einem Krisentreffen am Samstag in Braunschweig.

Der Rückzug Piëchs bedeutet eine tiefe Zäsur bei Volkswagen. Piëch, der Enkel des legendären Autokonstrukteurs Ferdinand Porsche, war von 1993 bis 2002 VW-Chef und überwachte den Konzern anschliessend als Aufsichtsratschef. Er galt lange Zeit als das VW-Machtzentrum und hatte zahlreiche Konflikte für sich entschieden.

«Diskussion war schädlich für VW»
Nach der Demontage seines langjährigen Wegbegleiters Winterkorn aber stand Piëch zunehmend auf verlorenem Posten. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und auch Piëch-Cousin und VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche stärkten Winterkorn den Rücken.

«Die Diskussion der vergangenen zwei Wochen ist schädlich gewesen für Volkswagen», sagte Weil am Samstag in Hannover. Das Land Niedersachsen ist VW-Grossaktionär. Das Präsidium des Aufsichtsrates habe deshalb die «notwendige Klarheit» schaffen müssen. Der frühere IG Metall-Chef Huber sprach von einem Vertrauensverlust zwischen Piëch und dem Rest des Präsidiums, «der sich in den letzten Tagen als nicht mehr lösbar erwiesen hat».

Pïech hat internen Kampf verloren
Piëch hatte vor zwei Wochen ein internes Ringen um die Zukunft der VW-Spitze öffentlich gemacht, indem er dem «Spiegel» sagte, er sei «auf Distanz» zu Winterkorn. Piëchs Kritik stand auch vor dem Hintergrund der Frage, wie VW seine Probleme etwa im angeschlagenen US-Geschäft oder bei der renditeschwachen Kernmarke VW lösen will. Bis zu der Attacke war der 67-jährige Winterkorn als Piëch-Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrates gehandelt worden. Mit der Demontage durch Piëch stand plötzlich ein Fragezeichen vor Winterkorns Zukunft.

Das VW-Aufsichtsratspräsidium aber hatte Winterkorn vor einer Woche den Rücken gestärkt. Winterkorn sei der «bestmögliche» Vorstandschef und solle nächstes Frühjahr eine weitere Vertragsverlängerung erhalten. Sein aktueller Vertrag läuft bis Ende 2016. Das war offensichtlich eine krachende Niederlage für Piëch, der in dem sechsköpfigen Präsidium nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur isoliert vor einer Mehrheit von 5:1 gegen ihn stand.

Krisentreffen vor Rücktritt
Am vergangenen Donnerstag dann meldeten die dpa, der NDR und die Tageszeitung «Die Welt» übereinstimmend, dass Piëch versuche, den Beschluss des Sextetts zu unterwandern. Demnach arbeitete er hinter den Kulissen weiter an der Ablösung Winterkorns, der nach Piëchs Willen noch vor der Hauptversammlung am 5. Mai abtreten sollte. Als mögliche Nachfolger habe Piëch Porsche-Chef Matthias Müller oder Skoda-Chef Winfried Vahland in der Hinterhand. Wenige Stunden später dementierte Piëch dies und liess mitteilen: «Wir haben uns letzte Woche ausgesprochen. Und uns auf eine Zusammenarbeit geeinigt. Ich betreibe die Ablösung von Martin Winterkorn nicht.»

Piëchs Rücktritt war am Samstagnachmittag ein erneutes Krisentreffen der Aufsichtsratsspitze vorausgegangen. Das Gremium versammelte sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Braunschweig am Flughafen. Am Ende der mehrstündigen Beratungen stand fest, dass Piëch gehen wird.

Zeit für Nachfolge lassen
Der Sprecher der Familie Porsche, Wolfgang Porsche, sagte: «Wir haben volles Vertrauen in die Unternehmensführung der Volkswagen AG und bedauern die Entwicklung der letzten Tage.» Porsche dankte Piëch «für die Jahrzehnte seines aussergewöhnlichen und höchst erfolgreichen Einsatzes». Die Porsches halten über die Porsche-Holding PSE zusammen mit dem Piëch-Familienzweig gut 50 Prozent der Stimmrechte bei Volkswagen. Wolfgang Porsche ist der Chef im PSE-Aufsichtsrat.

Bei der Suche nach einem Nachfolger für Piëch an der Spitze des Aufsichtsrates will sich das Gremium Zeit lassen. «Der Aufsichtsrat ist arbeitsfähig, das Management ist voll funktionsfähig», sagte Weil. Es gebe keinen Grund zur Eile – Ziel sei es, dass das Gremium einen einstimmigen Vorschlag unterbreite. Ob Winterkorn dabei eine Rolle spiele, wollten weder Weil noch Huber kommentieren. «Wir werden dazu keine Aussagen machen. Wir wollen keine Personaldebatte mit einer anderen ablösen», betonte Weil.

Suche nach neuer Machtbalance
Branchenexperten sehen den Autokonzern nach dem Rücktritt Piëchs vor grossen Herausforderungen. «Eine neue Machtbalance muss gefunden werden», sagte Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, am Sonntag der dpa. «Der Konzern muss sich mittelfristig strukturell neu aufstellen und dezentraler organisiert werden.» Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen sagte, «strahlender Gewinner» des Machtkampfs sei die Allianz aus dem Arbeitnehmerflügel sowie dem Land Niedersachsen. Dieser Allianz gehe vor allem um die Arbeitsplätze im «Hochlohnland Deutschland». Ob VW damit langfristig aber der Gewinnerseite stehe, sei ungewiss. (awp/mc/upd/pg)

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