André Wyss, CEO Implenia, im Interview

André Wyss, CEO Implenia, im Interview
Implenia-CEO André Wyss. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Wyss, Implenia strebt für 2024 ein EBIT von rund 130 Millionen Franken an. Zu Jahresbeginn verzeichneten Sie einen hohen Auftragsbestand und in den letzten Monaten konnten verschiedene Grossaufträge gewonnen werden. Sind Sie auf Kurs, das EBIT-Ziel zu erreichen?

André Wyss: Ja, wir haben nach wie vor einen hohen Auftragsbestand an grossen komplexen Immobilien- und Infrastrukturprojekten. Dank unserem Value Assurance-Ansatz, dem Risiko-Management von Implenia, ist der Auftragsbestand auch von guter Qualität. Mit unserem umfassenden, integrierten Leistungsangebot entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie sektorenorientierter Spezialisierung – zum Beispiel in Gesundheit, Forschung, Verkehrs- und Energieinfrastruktur – sind wir hervorragend im Markt positioniert. Aus diesen Gründen sind wir sehr zuversichtlich, unser EBIT-Ziel für das Jahr 2024 erreichen zu können.

Sowohl für grosse Immobilienprojekte als auch für komplexe Infrastrukturprojekte besteht eine hohe Nachfrage. Was befeuert diese Entwicklung auch unter den aktuell herausfordernden, wirtschaftlichen Bedingungen?

Die Nachfrage wird stimuliert durch die Megatrends Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, Energiewende sowie Investitionen in neue oder modernisierte Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Die Leute ziehen eher in die Städte und wollen an gut erschlossenen Lagen leben. Zudem werden die Haushaltsgrössen immer kleiner. Daher nimmt die Wohnfläche pro Person zu. Bei der Verkehrsinfrastruktur besteht teilweise grosser Sanierungsbedarf, beispielsweise bei Autobahnbrücken in Deutschland. Ganz allgemein müssen Ballungszentren auch noch besser erschlossen werden. Letztlich bedingt auch die Umstellung auf nachhaltige Energieformen wie Wasserkraft, Sonne und Wind grosse Investitionen in entsprechende Infrastruktur.

Es fehlen Wohnungen an allen Ecken und Enden. In Deutschland dürften es Ende Jahr 600’000 sein, in der Schweiz 35’000. Avenir Suisse sieht in der «Wohnungsnot» ein vorwiegend urbanes Phänomen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, diese Einschätzung teile ich. Der Wohnungsmarkt in den urbanen, gut erschlossenen Zentren ist wesentlich angespannter als in der Peripherie. Grundsätzlich unterstütze ich daher die Verdichtung in den Zentren. Wenn man näher beieinander ist, sind die Mobilitäts- und Transportprobleme kleiner, was auch der Ökologie zugutekommt. Um die Situation zu entspannen, ist es wichtig auch ausserhalb der Ballungszentren attraktive, gut erschlossenen regionale Zentren zu fördern, die ein vielfältiges Leben mit Wohnen, Arbeit und Freizeit ermöglichen. Eine polyzentrische Siedlungsstruktur macht Klein- und Mittelstädte wieder zu interessanten Arbeitsorten mit attraktiver Versorgung und Freizeitqualität.

«Der Wohnungsmarkt in den urbanen, gut erschlossenen Zentren ist wesentlich angespannter als in der Peripherie. Grundsätzlich unterstütze ich daher die Verdichtung in den Zentren.»
André Wyss, CEO Implenia

Die Immobiliensparte von Implenia hat im ersten Quartal zwei Entwicklungsareale in Zürich-Seebach und Morges gekauft, wo neue Wohnungen und Eigentumswohnungen entstehen sollen. Sind für Implenia «nur» grosse Wohnprojekte an attraktiven urbanen Lagen interessant?

Gemäss unserer Strategie fokussieren wir auf grosse, komplexe Immobilienprojekte an attraktiven, zentralen Lagen. An diesen Lagen ist die Nachfrage gross und bei solchen Projekten können wir unser umfassendes Know-how und unsere langjährige Erfahrung optimal einbringen. Kleine Wohnbauten mit weniger als 50 Wohnungen lohnen sich für uns nicht. In diesem Bereich läuft aufgrund der grossen Konkurrenz, auch durch viele kleine und mittelständische, lokal angesiedelte Bauunternehmen, fast alles über den Preis. Grosse Areale und komplexe Infrastruktur zu planen und bauen, das kann dagegen nicht jeder.

«Kleine Wohnbauten mit weniger als 50 Wohnungen lohnen sich für uns nicht.»

Sie haben mehrfach erklärt, dass der Wohnungsbau bei Implenia nicht Priorität hat. Hat das nur mit dem von Ihnen 2019 initiierten Strategiewechsel zu tun oder sind die Prozesse im Wohnungsbau schlicht zu wenig attraktiv?

Wohnungsbau lohnt sich für uns bei grossen Projekten, also ganzen Überbauungen oder Arealentwicklungen mit einer gemischten Nutzung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Wie erwähnt, lassen sich mit kleineren Mehrfamilienhäusern weniger attraktive Margen erwirtschaften. Aus diesem Grund haben wir uns auch auf andere Bereiche des Hochbaus spezialisiert, für die spezifische Kompetenzen und Expertise notwendig sind. Das sind zum Beispiel Bauten für die Bereiche Gesundheit und Forschung oder Daten- und Logistikzentren.

Lange Bewilligungsverfahren, Lärmschutz, Denkmalschutz, Einsprachen – sehen Sie Lösungen, wie schneller, höher und verdichteter gebaut werden könnte?

Mit dem Blick aufs Ganze muss mit allen Anspruchsgruppen ein offener, partnerschaftlicher Dialog geführt werden: Politik, Verbände, Bevölkerung sowie auch Branchenkollegen und Investoren sind gefragt. Die Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Bau- und Zonenordnungen sollten angepasst werden, damit verdichtetes Bauen und Modernisieren in Zentren und in der Agglomeration möglich wird. Bewilligungsverfahren müssen erleichtert und beschleunigt werden, damit rascher geplant und gebaut werden kann. Mit vielen kleinen, konkreten und individuellen Massnahmen können die Akteure zudem darauf hinwirken, dass sich das Angebot an Wohnungen vergrössert. Zum Beispiel durch die Umnutzung von Büroflächen zu Wohnungen oder durch Arealentwicklungen mit zusätzlichem Ausnutzungspotenzial. Mit partizipativen Verfahren, die vor Ort alle Akteure von Anfang an einbinden, haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Ein Teil der Wohnungsnot wird der starken Zuwanderung zugeschrieben. Bei einer Begrenzung könnte es auch für Implenia schwieriger werden, Mitarbeitende zu finden. Wie sieht die Situation heute aus? Finden Sie die nötigen Fachkräfte mit Kompetenzen und Erfahrungen im Engineering und bei Grossprojekten?

Über unsere vier Divisionen hinweg bieten wir eine grosse Vielfalt von Berufsbildern an und es ist für uns oberste Priorität, die besten Talente zu rekrutieren. Das gelingt uns trotz Fachkräftemangel gut. Unsere spannenden Projekte in der Entwicklung, Planung, Realisierung und Bewirtschaftung von Immobilien und Infrastruktur ziehen top-qualifizierte Expertinnen und Experten an und wir können sie für Implenia gewinnen. Zudem haben erfahrene wie auch junge Fachleute bei uns hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten, können schnell Verantwortung übernehmen und sich mit jedem Projekt weiterentwickeln. So bilden wir unsere Fach- und Führungskräfte von morgen aus und weiter.

«Unsere spannenden Projekte in der Entwicklung, Planung, Realisierung und Bewirtschaftung von Immobilien und Infrastruktur ziehen top-qualifizierte Expertinnen und Experten an und wir können sie für Implenia gewinnen.»

Die grösste Recruiting Studie im deutschsprachigen Raum hat Implenia in der Branche Bau/Holz mit
«Gold» ausgezeichnet. Welche Methoden und Technologien nutzt Implenia, um effektiv und effizient Talente zu gewinnen?

Wir müssen auf allen Ebenen als Arbeitgeber attraktiv sein und die neusten Technologien fürs Recruiting nutzen, um geeignete Talente zu finden. Implenia geht dabei sehr integriert vor und erreicht das mit aktiver, datengestützter und gezielter Kommunikation, vor allem in den relevanten eigenen Kanälen und sozialen Medien. Das geht bis zur Direktansprache im Active Sourcing, wo wir die gesuchten Spezialistinnen und Spezialisten direkt ansprechen und ihnen die Mitarbeit in den grossen, komplexen Immobilien- und Infrastrukturprojekten anbieten. Schliesslich bringen wir unseren Mitarbeitenden auch viel Wertschätzung entgegen. Mit gezielter Fach- und Führungsweiterbildung, einem attraktiven Arbeitsumfeld, einer offenen Unternehmenskultur und Anlässen, die den Zusammenhalt und Austausch unter den Teams fördern.

Nicht zuletzt mit dem Ziel, das eher margenschwache Baugeschäft mit anderen und rentableren Geschäftsfeldern zu ergänzen, hat Implenia vor etwas mehr als einem Jahr den Immobilien-Dienstleister Wincasa übernommen. Welche Bilanz ziehen Sie zum heutigen Zeitpunkt?

Durch die Akquisition von Wincasa haben wir die Wertschöpfungskette im Bereich Nutzung von Immobilien erweitert. Wincasa bewirtschaftet umfassende Immobilienportfolios sowie Areale und Einkaufscenter. Zudem berät Wincasa zu nachhaltigen Lösungen und zu Modernisierung. So entsteht für unsere Kunden ein einmaliges, integriertes Leistungsangebot über den gesamten Lebenszyklus von Immobilien. Die Integration verlief erfolgreich und erreichte die gesetzten Ziele. Mit einem geplanten EBIT von ungefähr CHF 20 Mio. vor PPA-Abschreibungen wird Wincasa 2024 voraussichtlich bereits einen sehr guten Ergebnisbeitrag leisten. Um unser mittelfristiges Ziel einer EBIT-Marge auf Gruppenstufe von >4,5% zu erreichen, müssen wir Geschäftsfelder mit höheren Margen erschliessen. Die Akquisition von Wincasa ist ein gutes Beispiel dafür.

Sind ähnliche Zukäufe in naher Zukunft geplant?

Wir haben kontinuierlich Ausschau nach interessanten Akquisitionszielen und prüfen diese sorgfältig nach klar definierten Kriterien. Ziel ist es, unser Portfolio weiter zu stärken und profitabel zu wachsen – wenn sich dafür eine gute Gelegenheit bietet, die auch strategisch passt, dann auch anorganisch.

«Wir haben kontinuierlich Ausschau nach interessanten Akquisitionszielen und prüfen diese sorgfältig nach klar definierten Kriterien.»

Das Thema Nachhaltigkeit ist eines der Schlüsselthemen für die Baubranche. Seit Jahresbeginn arbeitet Implenia gemeinsam mit Empa und Eawag sowie weiteren Partnern an der Planung und dem Bau einer neuen NEST-Unit mit dem Namen «Beyond Zero». Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

In der «Beyond Zero»-Unit werden mehrheitlich CO2-reduzierte und CO2-negative Materialien verbaut und über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden und Infrastruktur getestet und erforscht. So zum Beispiel Wärmedämmstoffe und Zement, die das CO2 der Luft binden oder lehmbasierte Mauersteine, die nicht gebrannt werden müssen. Daraus resultieren wichtige Erkenntnisse für ein CO2-reduziertes Bauen und Betreiben von Gebäuden und Infrastruktur. Wir werden diese für Entwicklung, Planung und Bau in allen Divisionen nutzen, wie auch in der Bewirtschaftung durch Wincasa oder für das Immobilienportfolio von Ina Invest. Mit dieser Partnerschaft unterstreichen wir unser langjähriges Engagement als Branchenführer bezüglich Nachhaltigkeit.

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