Botschafter Raphael Nägeli, Chef der Abteilung Asien/Pazifik im EDA, im Interview

Botschafter Raphael Nägeli, Chef der Abteilung Asien/Pazifik im EDA, im Interview
Botschafter Raphael Nägeli, Chef der Abteilung Asien/Pazifik im Eidgenössischen Depar­tement für auswärtige Angelegenheiten. (Foto: zvg)

Interview: Mario Walser (erschienen im Procure Swiss Magazin)

Herr Botschafter, was genau ist die «neue Seidenstrasse»?

Unter der offiziellen Bezeichnung «One Belt, One Road» (OBOR) beziehungsweise «Belt and Road Initiative» (BRI) bündelt die Volksrepublik China seit 2013 Investitionen in Infrastruk­turprojekte. Ziel ist der Auf- und Aus­bau interkontinentaler Handels- und Infrastrukturnetze zwischen China und über 60 Ländern Afrikas, Asiens und Europas. Chinesische Staatsbetriebe sind dabei die grössten Investo­ren.

Gibt es genauere Zahlen zum Umfang der BRI?

Die Angaben hierzu variieren stark. Manche Quellen sprechen von 7000 Infrastrukturprojekten in 119 Ländern, was rund 65 Prozent der Weltbevölkerung tangieren würde. Für die Verwirklichung der BRI sind hohe In­vestitionen aus verschiedenen Kapital­quellen nötig. Gemäss der Konjunk­turforschungsstelle der ETH (KOF) haben 125 Staaten ein «Memorandum of Understanding» (MoU) mit China unterzeichnet, was ein grosses Interes­se an wirtschaftlichem Austausch mit der Volksrepublik China signalisiert.

Dient dies hauptsächlich den Inter­essen der Volksrepublik China?

Handel und verbesserte Infrastruktur kommen grundsätzlich allen Seiten zugute. Es ist jedoch kein Geheimnis, dass China mit der BRI zunächst den eher rückständigen westchinesischen Regionen neue Impulse verleihen sowie eigenen Staatsbetrieben neue Märkte im Ausland erschliessen will. Die BRI ist eine Art «Label» für eine Vielzahl von Einzelprojekten, ganz im Sinn der von Präsident Xi angestrebten Wiederbelebung der chinesischen Na­tion. Für China sicherlich auch ein pro­bates Mittel, um seine geopolitischen Ambitionen mit wirtschaftlicher Inter­dependenz und Soft Power zu unter­mauern. Tatsächlich kann die BRI aber auch einen Beitrag zur Stärkung des Wohlstandes entlang der diversen Handelsrouten leisten. Ob dies gelingt und ob auch Europa und die Schweiz im gleichen Ausmass profitieren kön­nen, hängt stark von den konkreten Rahmenbedingungen ab: Bestehen gleiche Bedingungen für westliche und chinesische Firmen? Kommen interna­tionale Normen und Standards zur Anwendung, etwa zu Fragen des Um­welt-, Sozial- und Arbeitsrechts? Wer­den Transparenz in Auftragsvergabe und Rechtssicherheit garantiert? Auf diesen Punkten wird die Schweiz insis­tieren.

«Es ist kein Geheimnis, dass China mit «One Belt, One Road» zunächst den eher rückständigen westchinesischen Regionen neue Impulse verleihen sowie eigenen Staatsbetrieben neue Märkte im Ausland erschliessen will.»
Raphael Nägeli, Chef der Abteilung Asien/Pazifik im EDA

Welche Verbindungen lassen sich zur historischen Seidenstrasse herstellen?

Die antike Seidenstrasse war ein loses Netzwerk von Verbindungen zwischen Ost und West, durch das sich ein wirt­schaftlicher, kultureller, politischer und religiöser Austausch ergab. Der Begriff ist allerdings erst im 19. Jahr­hundert entstanden. Auch die moder­ne Seidenstrasse hat die Förderung des Handels und der Konnektivität zum Ziel. Der Begriff «neue Seidenstrasse» ist marketingtechnisch eine gut ge­wählte Umschreibung. So soll vermit­telt werden, dass die BRI an die alten Handelsrouten anknüpft. Beispielswei­se an Marco Polos Seidenstrasse im Norden und die maritimen Expedi­tionsrouten des Admirals Zheng He im Süden. Die BRI umfasst geografisch aber einen weit grösseren Raum als die früher genutzten Handelsrouten.

Welche Befürchtungen hegen die USA unter der Administration Trump?

Die USA und die Volksrepublik China verkörpern unterschiedliche Wertesysteme. Unter der Administration Trump haben sich die USA zusätzlich aus diversen internationalen Abkom­men zurückgezogen. So auch aus dem geplanten Handelsabkommen «Trans-Pacific-Partnership» (TPP) und aus den Pariser Klimaverträgen. Das hat ganz sicher ein Vakuum hinterlas­sen, in das China gestossen ist. Die USA wollen auch mit Blick auf den aktuellen Handelskrieg Abhängigkeiten von China vermindern. Inwiefern das zu dauerhaften Verwerfungen führen wird, ist schwer absehbar. Das Vertrauen der traditionellen US-Allianzpart­ner wie beispielsweise Japan, Südkorea und Australien in die aktuelle US-Wirtschaftspolitik scheint aber zu schwinden, deshalb wollen sich diese Länder möglicherweise neu und wohl auch unabhängiger orientieren.

Besteht die Gefahr einer geo­politischen Neuordnung?

Unabhängig von der BRI ist das wirt­schaftliche und politische Gewicht Asiens in den letzten 40 Jahren be­trächtlich gewachsen. In der Region, die sich zwischen Afghanistan, Japan und Australien erstreckt, leben 4,5 Milliarden Menschen in 39 Staaten. Diese produzierten 2019 über 42 Prozent des weltweiten Bruttoinlandpro­duktes. Ein Grossteil davon entfällt auf die G-20-Staaten China, Japan, Indien, Indonesien, Südkorea und Australien. Gleichzeitig nimmt der Anteil der USA und der EU ab. Es ist klar, dass diese aufstrebenden Länder auch eine grös­sere Rolle in der Weltpolitik fordern: Die grossen globalen Herausforderun­gen – etwa Klimawandel, Entwicklung oder Migration – lassen sich bereits heute kaum ohne Einbezug dieser Län­der meistern.

Und wie sieht es mit den Handels­beziehungen zwischen der Schweiz und China aus?

Die Schweiz gehörte 1950 zu den ers­ten Ländern, welche die Volksrepublik China anerkannten. Und sie war das erste kontinentaleuropäische Land, das mit China einen Freihandelsver­trag abschloss. Doch die wirtschaftlichen Gewichte haben sich gewaltig ver­schoben: Noch 1980 entsprach die Wirtschaftsleistung Chinas gerade ein­mal 40 Prozent derjenigen der Schweiz. Heute ist das chinesische BIP jedoch 20 Mal grösser als das schweizerische. China ist der wichtigste Handelspart­ner der Schweiz hinter der EU und den USA.

«Die weit entfernt liegende Schweiz hat bei den Chinesen ein gutes Image, sie steht für Qualität, Zuverlässigkeit und Innovation.»

Welches Image hat die Schweiz bei den Chinesen?

Die weit entfernt liegende Schweiz hat bei den Chinesen ein gutes Image, sie steht für Qualität, Zuverlässigkeit und Innovation. Als Präsident Xi 2017 letztmals auf Staatsbesuch war, wurden unter anderem zehn bilaterale Vereinbarungen in den Bereichen Kultur, Zoll und Energie unterzeichnet. Und wir tun gut daran, auch weiterhin die intensive bilaterale Beziehung mit China zu pflegen und unsere Interessen durch eine kohärente Aussenpolitik in der Region Asien-Pazifik bestmöglich zu wahren. Vergangenes Jahr wurde der damalige Bundespräsident Ueli Maurer von Präsident Xi zu einem Staatsbesuch eingeladen. In diesem Rahmen wurde auch ein Memorandum of Un­derstanding (MoU) bezüglich der BRI unterzeichnet.

Wie sieht es in Sachen Menschenrechten aus?

Die Schweiz besteht auf einer festen Verankerung von rechtsbasierten Normen und Werten. Die Förderung der Menschenrechte ist ein verfassungsmässiges Ziel unserer Aussenpolitik. So werden in einem konstanten bilateralen und vertrauensvollen Rahmen Gespräche geführt. Schwerpunktthemen sind das Justiz- und Strafvollzugssystem sowie die Minderheitenrechte. Das ermöglicht eine offene und kritische Auseinandersetzung. Menschenrechte sind kein Luxus: Als mittelständische exportorientierte Wirtschaft haben wir ein vitales Interesse an verlässlichen internationalen Regeln.

Wie wichtig ist die BRI heute für Schweizer Unternehmen?

Die Schweizer Unternehmen haben die Möglichkeit, sich konkret an Projekten zu beteiligen. Etwa als Zulieferer oder Dienstleister in der ganzen Breite der Schweizer (Export-)Wirtschaft, wie das auch bei anderen Grossprojekten schon gehandhabt wird. Im Rahmen der BRI soll jedoch die Zusammenarbeit in Drittmärkten, auf die sich die Schweiz mit China letztes Jahr verständigt hat, die Möglichkeiten zum Austausch von Informationen verbessern. Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, dass die Zusammenarbeit unternehmensgeleitet und marktbasiert, konform mit internationalen Praktiken und Normen erfolgen soll. Offene und nicht diskriminierende Beschaffungs­verfahren wurden dabei im Artikel 2 des MoU explizit aufgeführt. Das MoU ist übrigens online verfügbar.

Welche Vorteile ergeben sich daraus?

Schweizer Unternehmen können in ihren Aktivitäten von verbesserten Infra­strukturen in Drittländern entlang der BRI profitieren. Beispielsweise, indem der Zugang zu diesen erleichtert wird und die Geschäftsprozesse effizienter abgewickelt werden können.

Wie und wo ist die «offizielle Schweiz» präsent?

Die Schweiz unterhält mit allen 39 Staaten der Region Asien-Pazifik diplomatische Beziehungen. Sie ist durch 17 Botschaften, sechs Generalkonsulate, fünf Kooperationsbüros der Direk­tion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), drei Swissnex-Standorte (Netzwerk im Bereich Bildung, Forschung und Innovation) sowie sieben Business Hubs vertreten. Daneben bestehen weitere direkte Kontakte des Parlaments, der Kantone und der Städte, der Wirtschaft sowie akademischer Institutionen. Im EDA bündelt die Ab­teilung Asien und Pazifik (AAP) die schweizerischen Interessen und führt auf politischer Ebene die Fäden zusammen.

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