Carsten Schloter, CEO Swisscom

Carsten Schloter, CEO Swisscom

Carsten Schloter, CEO Swisscom. (Foto: Nici Jost)

Interview von Lukas Hässig für das SMG Magazin «Management»

Sie haben 3 Kinder zwischen 7 und 13. Sind Sie dort auch der Chef, oder pflegen Sie das Laisser-faire?

Carsten Schloter: Bei Kindern geht es immer um die Frage, wie man sie so lenkt, dass sie einerseits selbst Neues entdecken, ohne sich andererseits damit zu überfordern. Es braucht das Spielerische und die Disziplin, den Freiraum und die Kontrolle – machen lassen und «pushen».

«Selber gestalten und sich selbst einbringen, das sind die entscheidenden Punkte. Jeder möchte ein Stück seines Ichs im Job verwirklichen und so das Unternehmen mitgestalten.» Carsten Schloter, CEO Swisscom

Führen Sie so die 20 000 Swisscom-Mitarbeiter?

Da gehts um anderes. Selber gestalten und sich selbst einbringen, das sind die entscheidenden Punkte. Jeder möchte ein Stück seines Ichs im Job verwirklichen und so das Unternehmen mitgestalten. Wer nur Befehlsempfänger ist, findet keine Erfüllung in der Arbeit. Deshalb bieten wir grosse Freiräume, die aber nicht zum Spielen gedacht sind.

Autonomie ja, Vergnügen nein?

Doch, Spass ist zentral, das gehört zu uns Menschen. Und es ist ja gerade das Menschliche, das Unternehmen und ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht.

Was ist für Sie das Menschliche im Business?

Man redet nicht nur über Herausforderungen, über Zahlen, über Analytisches, über «Hard facts». Sondern der Mensch kann auch mal die harte Schale ablegen und es normal finden, dass man über sich selbst und andere spricht. Dass man lacht und Freude zeigt. Es ist eine Frage des Vorlebens. Wie spüren einen die Menschen? Ist das einer, bei dem nur Resultate zählen? Oder hat es bei ihm Raum für die anderen Dinge des Lebens, ein Lachen, etwas Herzliches? Für mich ist je länger, desto klarer: Die eigene Lebenshygiene ist für jede Führungsperson entscheidend.

Sie haben von überall her Druck, von Aktionären, der Technologiefront, neuen Konkurrenten, der Öffentlichkeit. Sind Sie wirklich so locker, wie Sie gerade zu verstehen geben?

Dafür braucht es einen Reifeprozess. Als ich mit 29 zum ersten Mal in einer Geschäftsleitung sass, war ich angespannt. Auch als man mir 2006 die Swisscom-Leitung übertrug, gab ich den Druck weiter. Dann merkte ich, wie kontraproduktiv es war, zu viel zu wollen und alles zu kontrollieren. Sie können sich noch so enervieren und Purzelbäume schlagen: Innerhalb der Organisation ändert das überhaupt nichts.

Schloters Führungsphilosophie: Kommt Zeit, kommt Rat?

Zeit für Distanz, Zeit für dicke Haut. Das führt unweigerlich zur Frage: Wie viel Gelassenheit darf es sein? Dass Ihnen plötzlich alles egal ist, kann ja nicht das Ziel sein.

«Wir haben es in neuen Bereichen an die Spitze gebracht, ganz im Unterschied zu anderen Ex-Monopolfirmen der Telekom-Industrie. So wurden wir die Nummer 1 im TV-Markt und die Nummer 2 im IT-Markt.»

Wann lassen Sie bewusst los?

Wenn ich am Sonntag lese, dass der iPad wegen eines technischen Problems in unserem Netz nicht funktioniert, kann ich alle Verantwortlichen per Mail aufschrecken. Aha, der Schloter traut uns nicht zu, dass wir das Problem meistern, würden die sich sagen und sich tagelang den Kopf zerbrechen, die richtigen Antworten auf meine eventuellen Fragen parat zu haben. Schloters potenzieller Kontrollgang wird zum beherrschenden Thema für die ganze Hierarchiekaskade.

Als Alternative legen Sie die Hände in den Schoss?

Ich vertraue. Darauf, dass die Leute der Sache von sich aus nachgehen. Erst wenn nach 10 Tagen nichts gegangen ist, steige ich in die Hosen.

Früher waren Sie der Kontrollfreak?

Eindeutig. Um nicht mehr in diese Falle zu treten, muss man sich selbst kennenlernen. Wir haben einen Transformationsprozess fürs Management, der ausschliesslich auf Feedback aufbaut. Jeder Chef auf jeder Stufe setzt sich auf den «Hot chair», mit dem Rücken zum Team, und muss sich anhören, was die Leute gut und schlecht finden; wortlos, nicht einmal mit der Mimik darf er seine Meinung kundtun. Feedback entgegennehmen heisst zuhören und lernen, wie man ankommt.

Klingt esoterisch.

Ist es aber nicht. Wenn man abends in den Spiegel schaut und sich fragt, wie viel des vorhandenen menschlichen Potenzials in Sachen Kreativität und Kraft sämtlicher Mitarbeitenden man – übersetzt auf die Erreichung der Unternehmensziele – denn eigentlich effektiv nutzt, dann ist das Resultat ernüchternd. 40 Prozent? 45 Prozent? Umgekehrt liegt gerade darin das Spannende für jeden Manager. Man hat einen riesigen Hebel in der Hand, und der liegt eben im Menschlichen.

Spielen wir einmal «Hot chair». Sie, Carsten Schloter, könnten sich bitte umdrehen, und Sie, Josef Huber (der langjährige Swisscom-Medienchef), geben Ihrem Chef ehrliches Feedback.

Nicht Feedback, sondern sagen, was dich am meisten an mir stört.

Josef Huber: Ich glaube, Carsten, und das steht vielleicht etwas im Kontrast zu dem, was du bisher gesagt hast: Du bist schon sehr dominant in der Organisation. (Schloter, der die Augen geschlossen hält, nickt vehement.)

Hoppla. Eigentlich wollten Sie Ihr Menschsein hervorstreichen, und nun kommt Ihr Herr Huber, der als langjähriger Medien- chef so etwas wie das Gewissen der Swisscom verkörpert, und sagt ziemlich genau das Gegenteil.

Schloter (spricht jetzt noch langsamer und betont jedes Wort): Ja, ich bin de facto sehr dominant. Das bin ich. Aber nicht, weil ich auf Macht spiele, sondern es hat eben mit dieser Wirkung zu tun. Das liegt an vielem: wie ich mich auf Sitzungen vorbereite, wie präsent ich dort bin, wie ich mich in Entscheidungen einbringe.

Das letzte Wort haben Sie?

Sagen wir es so: Obwohl ich mich im Vergleich zu früher zurücknehme, bin ich immer noch stark in den Köpfen. Das führt eben dazu, dass nach wie vor ständig gesagt wird: «Carsten will», «Carsten sagt», «Carsten dies», «Carsten das». Oft stimmt es nicht, aber man spielt damit.

»Sie können sich enervieren und Purzelbäume schlagen: In der Organisation ändert das überhaupt nichts.»

Woher kommt diese Macht? Sie sind nicht so gross, wie Sie auf Fotos wirken. Und doch schauen alle zu Ihnen auf. Halt ein «Natural born leader»?

(schweigt lange.) Ich habe ein extrem hohes Energieniveau. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Das wurde mir geschenkt. Und es wird immer «schlimmer». Das artikuliert sich in der Präsenz, in der Tiefe, die ich in vielen Themen habe, und in der Art und Weise, wie ich mich einbringe. Das kann eine extreme Belastung für mein Umfeld sein, sowohl im Beruf wie auch im Privaten.

Zu schnell, zu viel, zu dominant?

Die Dominanz ist eine Konsequenz daraus. Es gibt diesen Test für Führungspersonen. Dort bin ich überhaupt nicht der Rote, also der Machtmensch, als den mich viele sehen. Viel mehr bin ich das dominante Blau. Also einer, der inspiriert, fördert, motiviert, optimistisch ist. Nur: Wegen meines Energieniveaus kommen alle diese Eigenschaften als dominant herüber.

Niemand versteht Sie richtig?

Eigentlich sind diese Farben noch spannend. Es gibt die Grünen, die sind konservative, vorsichtige Führungstypen. Spannend an den Blauen ist: Von den Roten werden Sie als Grüne wahrgenommen, von den Grünen als Rote.

Offenbar sind viele in der Swisscom farbenblind. Als echter Blauer wären Sie vielleicht besser Chef bei einer Art Google geworden als bei einer Ex-Monopolistin mit viel Beamtentum.

Halt, das Wort Beamtentum lasse ich nicht durch. Ich kam viel herum, war in Frankreich, in Deutschland. Das Engagement der Mitarbeitenden, wie ich es bei der Swisscom erlebe, mit dieser Leidenschaft, das fand ich noch in keinem anderen Unternehmen. Dafür liebe ich die Swisscom, dafür liebe ich die Mitarbeiter.

Beamtentum wegen der Herkunft. Die alte Telecom PTT gehörte zu Bundesbern.

Die Swisscom heute noch als Beamtenstube zu bezeichnen, ist deplatziert. In den letzten 12 Jahren hat sich diese Firma von Grund auf erneuert. Damals stammte fast der ganze Umsatz aus der Telefonie, 2012 kommen noch etwa 15 Prozent von dort. Der ganze Rest sind Dienstleistungen, die völlig neu geschaffen worden sind.

«Die Anforderungen an die Infrastruktur steigen und steigen, da werden Sicherheit, Leistung und Verfügbarkeit immer wichtiger.»

Die Swisscom bleibt ein Telekom-Moloch, sie dominiert den Markt.

OK. Nur: Das ist nicht die Folge unserer Dominanz aus Monopolzeiten. Wir haben es in neuen Bereichen an die Spitze gebracht, ganz im Unterschied zu anderen Ex-Monopolfirmen der Telekom-Industrie. So wurden wir die Nummer 1 im TV-Markt und die Nummer 2 im IT-Markt. Das zeigt, welch unheimliche innere Kraft in der Swisscom steckt.

Im Handy-Geschäft gingen Sie als Monopolistin an den Start und blieben faktisch eine Monopolistin.

Auch da: In Europa fielen einige Ex-Monopolisten nach der Öffnung vom Sockel. Wir nicht. Dafür braucht es strategischen Weitblick. Bereits 2002 glaubten wir ans Datengeschäft und investierten entsprechend. Das war eine gigantische Wette. Vodafone, die damals 25 Prozent an unserer Mobilsparte hatten, fanden das viel zu aggressiv. Wir aber waren überzeugt, dass eine neue Technologie erst dann abhebt, wenn sie flächendeckend vorhanden ist.

Sie hielten sich Orange und Sunrise vom Leibe, dafür rücken Ihnen jetzt Google und Apple auf den Pelz.

Jedes Mal, wenn wir unsere Netze weiter aufrüsten, entstehen Chancen für neue Dienste. Einst konnten nur wir Telefonie auf unserem Netz anbieten, irgendwann konnte dann jeder Internetanbieter Telefonie anbieten. Das Gleiche passiert derzeit mit dem Fernsehen. Das Fundament unseres Geschäftes wird das Netz und die Infrastruktur bleiben, auf der Dienste-Ebene werden wir nur selektiv Angebote selbst gestalten; selektiv, weil wir schlicht nicht alles machen können. Welches sind die Dienste, die nah an der Infrastruktur sind und die wir besser anbieten können als Google oder andere?

Welche?

Swissness und Sicherheit. Es wird Kunden geben, die ihre Daten physisch und qualitativ hochstehend in der Schweiz halten wollen. Gerade die Banken könnten das anstreben. Aber unabhängig davon bietet der Netzzugang zunehmend Möglichkeiten zur Differenzierung. Viele meinen, das sei eine Commodity. Falsch. Die Anforderungen an die Infrastruktur steigen und steigen, da werden Sicherheit, Leistung und Verfügbarkeit immer wichtiger.

Apropos: Die Schweiz ist in der Bankgeheimnis-Krise ausser Tritt geraten. Was ist los mit ihr?

Alle meinen, wir hätten ein Problem. Ich sehe es genau umgekehrt. Unsere Nachbarn versinken in Schulden, wir können investieren. Jetzt. Wenn sich Europa dereinst auffängt – und das wird passieren –, müssen wir bereit sein.

«Eigentlich wäre ich gerne noch stärker an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik aktiv.»

Wo müssen wir investieren?

In die Infrastruktur im weitesten Sinn. Dafür braucht es einen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft. Viele Unternehmen streiten ihre volkswirtschaftliche Verantwortung ab. Da sagt die Politik zu Recht: Die sind unverantwortlich, die zügeln wir. Das ist politische Realität, die zu respektieren ist.

Wären Sie gerne Politiker?

Eigentlich wäre ich gerne noch stärker an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik aktiv. Es braucht einen Dialog, geprägt von gegenseitiger Achtung, sonst stirbt der Dialog. Dann bekriegt man sich mit dem Resultat, dass alle verlieren.

Carsten Schloter
48, stiess 2000 zur Swisscom, wo er Mitglied der Konzernleitung wurde. Zuvor war er bei Mercedes Benz und in der Telekomindustrie in Frankreich und Deutschland. Bei der Swisscom verdiente sich Schloter seine Sporen in der erfolgreichen Handy-Sparte ab. 2006 übernahm er von Vorgänger Jens Alder das CEO-Steuer. Schloter hat Betriebswirtschaft studiert. Er ist getrennt und hat 3 Kinder. Diese sind jedes zweite Wochenende beim Spitzenmanager. «Dann läuft bei mir businessmässig nichts», sagt Schloter.

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