Matthias Roeser, Leiter Schweiz von BearingPoint, im Interview

Matthias Roeser, Leiter Schweiz von BearingPoint, im Interview
Matthias Roeser, Schweiz-Chef von BearingPoint

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Roeser, BearingPoint hat im Jahr 2019 einen Rekordumsatz von 780 Millionen Euro erzielt (plus 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Reflektiert das auch die Situation in der Schweiz und welche Themenbereiche sorgten in der Schweiz für das grösste Wachstum?

Matthias Roeser: Ja, das deckt sich mit dem Wachstum der Schweiz. Berücksichtigt man den Einzeleffekt eines auslaufenden Grossprojekts, liegt unser Wachstum sogar darüber. Ich sehe aktuell drei grosse Themenbereiche, die sich besonders stark entwickeln: die ERP Transformationswelle initiiert durch die Innovations-Impulse der SAP, die Digitalisierung der Front-to-back Prozesse der Finanzinstitute und das an Fahrt gewinnende Thema Building Information Modelling (BIM).

«In der Schweiz suchen wir vor allem Profile in den Bereichen SAP Innovation, Business-Digitalisierung sowie Datenintelligenz, in jedem Fall mit fokussierter Industrie-Erfahrung.» Matthias Roeser, Leiter Schweiz von BearingPoint

Auch bei den Mitarbeitern wurde im letzten Jahr kräftig aufgestockt (weltweit 1’400 neue Mitarbeitende). Wie wird sich das auf die Booking-Situation im laufenden Jahr auswirken, welche Profile sind in der Schweiz vor allem gesucht?

Aus meiner Sicht ist für die Booking-Situation weniger das Mitarbeiterwachstum entscheidend, sondern die Erschliessung oder Stärkung neuer Themen basierend auf Investitionen in diesen Schlüsselbereichen und dann die damit verbundene Mitarbeiterentwicklung. In der Schweiz suchen wir vor allem Profile in den Bereichen SAP Innovation, Business-Digitalisierung (Prozess-Digitalisierung geht nicht weit genug) sowie Datenintelligenz, in jedem Fall mit fokussierter Industrie-Erfahrung.

Aktuell hat das Coronavirus die Wirtschaft signifikant eingebremst. Welche Auswirkungen erwarten Sie für das Schweizer Geschäft im Jahr 2020, welche konkreten Auswirkungen haben die bundesrätlichen Beschlüsse für den Arbeitsalltag bei BearingPoint?

Die Auswirkungen lassen sich aktuell nur schwer abschätzen. Schaut man aktuell auf die Situation in China (sind uns voraus), so könnte man bei weiter konsequenter Umsetzung zielführender Massnahmen von vier schwachen Monaten sprechen – also signifikanten, aber limitierten Auswirkungen. Ich denke aber, dass die Tragweite dieser Krisensituation viel weiter geht, als wir uns heute vorstellen. Folgende drei Bereiche beschäftigen mich am meisten:

  • Haben wir unsere systemkritischen Services vernachlässigt und die notwendige Resilienz verloren (siehe regulatorische Auswirkungen der Finanzkrise)? Und werden kommende und zwingend notwendige Optimierungsinitiativen das Preisgefüge nachhaltig verändern?
  • Hatten wir die einmalige Chance, in einem Grosslaborversuch zu lernen was ressourcenschonendes Arbeiten bedeutet und machen wir etwas daraus?
  • Was geschieht nach der Krise mit den schwächsten in der Kette? Ich befürchte, dass neben den klassischen Verlierern auch unser Startup-Eco-System einen Rückschlag erleiden wird.

Der Arbeitsalltag bei BearingPoint hat sich verändert. Wir haben zu 100% auf «Remote Work» umgestellt (in allen Bereichen, ausser minimaler Office-Besetzung) und die Interaktion mit Kunden erfolgt fast ausschliesslich über digitale Kanäle. Insgesamt zahlt sich konsequentes und in alle Richtungen transparentes Handeln aus.

Sie beraten Unternehmen darin, Entwicklungen wie die Digitalisierung zu mehr Wachstum und Innovation zu nutzen. Wo sehen Sie hier in der Schweiz die grössten Potentiale, wo stehen wir im internationalen Vergleich? 

Das grösste Potential steckt sicherlich in der Digitalisierung der Geschäftsmodelle, z.B. der Anreicherung des Bestandsgeschäfts durch plattformbasiertes Geschäft. Die Schweiz war in der Entwicklung neuer innovativer und digitaler Ansätze immer an vorderster Front, soweit ich das wahrgenommen habe. Ich denke da an den Aufbau des Online-Bankings, der Mobile-Infrastruktur und Services etc.

«Wir haben zu 100% auf «Remote Work» umgestellt (in allen Bereichen, ausser minimaler Office-Besetzung) und die Interaktion mit Kunden erfolgt fast ausschliesslich über digitale Kanäle.»

Ich sehe im Bereich plattform-basierte Geschäftsmodelle eher eine Zögerlichkeit, die überwunden werden muss. Auch der Bund kann hier fördernd unterstützen. Mit der SwissID und dem Digital Trust Label stehen wir vor einem grossen Schritt, der weitere Potentiale in diesem Bereich eröffnen wird. Aktuell müssen wir Sorge tragen, dass uns unser Startup-Ecosystem erhalten bleibt. Es ist in der Interkation mit Forschung, Wirtschaft und Politik einzigartig und kann, wenn intakt, im Hochfahren nach der Krise den entscheidenden Anschub geben.

Nach Jahren der Globalisierung gibt es nun erste Gegentendenzen zu mehr Nationalismus/Patriotismus, mehr Unabhängigkeit von weit entfernten Lieferanten, kürzeren Produktionswegen und grössere Fokussierung auf den Heimmarkt. Welche Strategien sind aus Ihrer Sicht am erfolgversprechendsten?

Die Globalisierung an sich wird sich aus meiner persönlichen Sicht nicht umkehren, wohl aber werden Lieferketten resilienter zu gestalten sein. Zudem müssen systemische Risiken auf nationaler Ebene konsequenter adressiert werden. Wenn Sie heute genau hinsehen, profitieren Schweizer Unternehmen bereits vom Wiederanfahren der Wirtschaft und des Konsums in China. Unternehmen mit reinem Fokus auf lokale Märkte sind aktuell klar benachteiligt. In der Strategiedefinition muss in Zukunft das Thema Risikodiversifizierung deutlich ernster genommen werden. Wer hatte in der Vergangenheit berücksichtigt, dass Grenzen einmal geschlossen werden würden? Wer ist auf einen Cyber-Shutdown Schweiz vorbereitet?

Vermehrt erwarten Bankkundinnen Anlagen, welche auch einen positiven Effekt haben (Impact Investing). Wie gut sind die Schweizer Banken auf dieses Bedürfnis vorbereitet und wie verbreitet ist dieses Bedürfnis?

Das Bedürfnis vor der Krise war sehr gross. Wir sprachen von einem Hype und haben unser Beratungsangebot in diesem Bereich gezielt ausgebaut. Allerdings sind die Angebote der Banken den Kunden nicht transparent genug (sehen Sie auch unsere neue Sustainable Finance Studie dazu) und es gäbe einiges an Entwicklungspotential auf Produktseite. Bedingt durch die Krise muss ich sagen, dass wir mit einer verzögerten Entwicklung rechnen (> 1 Jahr), dann aber mit noch weiter steigender Bedeutung.

«In der Strategiedefinition muss in Zukunft das Thema Risikodiversifizierung deutlich ernster genommen werden.»

Nach einer ersten Hype-Phase ist es um das Thema Blockchain etwas ruhiger geworden. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die strategische Bedeutung des Themas für Schweizer Unternehmen, wo gibt es schon relevante Referenzprojekte?

Aus meiner Sicht haben wir die Hype-Zeit gerade hinter uns gelassen. Ich rechne damit, dass im Budgetierungs-Zyklus für 2021 einige grössere Investitionen zur Aktivierung des Potentials hinter dieser Technologie angestossen werden. Ich verfolge mit grossem Interesse das Eco-System von Prof. Dr. Fabian Schär an der Universität Basel. Seine Blockchain Challenge ist ein Spiegelbild des aktuellen Entwicklungsstands und macht Referenzprojekte greifbar. Unser eigenes bestes Referenzprojekt ist sicherlich der sehr erfolgreiche Verkauf unseres Schweizer Blockchain-Startups Elevence (Optimierung von FX-Transaktionen) an die Digital Asset Holding im Jahr 2016. Seither haben wir viel dazugelernt.

Immer mehr Softwareangebote aus der Cloud haben für Unternehmen den Vorteil, dass sie, falls sie eine gewisse Standardisierung akzeptieren, schnell neue Chancen ohne langwierige IT-Planung wahrnehmen können. Wie sieht es aber mit den auch in Zukunft benötigten IT-Kompetenzen aus, wenn immer mehr Unternehmen die eigenen IT-Abteilung stark reduzieren oder ganz auflösen?

Wenn wir den heutigen Entwicklungsstand als statisch betrachten würden, dann wäre die erweiterte Nutzung von Cloud-Services sicherlich mit einem deutlichen Abbau eigener, zum Teil unternehmenskritischer Kompetenzen verbunden (Cloud = neue Art Outsourcing). Wir sehen aktuell allerdings eine massive Zunahme in den Anforderungen an neue, stark vernetzte IT-Lösungen und daran gekoppelt eine zunehmende Komplexität. Unternehmen sind heute gefordert in IT-Kompetenzen im Bereich der sogenannten Cloud-Native Architekturen und Lösungen zu investieren. Cloud-Plattformen bieten schon heute sehr umfangreiche Baukästen an Lösungskomponenten und Services an, die es nutzbar zu machen gilt.

«Wir sehen aktuell allerdings eine massive Zunahme in den Anforderungen an neue, stark vernetzte IT-Lösungen und daran gekoppelt eine zunehmende Komplexität.»

Wir betreten in der Nutzung dieser Plattformen eine komplett neue Dimension von Wertschöpfung. Die Cloud-Anbieter fokussieren auf die Weiterentwicklung ihrer Plattformen – die Unternehmens-IT muss die Business-Aktivierung der Plattform-Komponenten und Services in die Hand nehmen. 

In Ihrer Strategie 2025 wollen Sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen, jedes Jahr besser sein als der Markt und in den Kernbereichen zu den drei führenden Akteuren gehören. Wo stehen Sie hier in der Umsetzung?

Wir haben die Grundlagen für eine erfolgreiche Umsetzung bereits geschaffen und sind auf gutem Weg die für 2025 gesteckten Ziele zu erreichen. Die Umsetzung selbst wird sicherlich die geforderte Zeit beanspruchen, zeigt aber bereits erste Erfolge. So arbeiten wir bereits seit über einem Jahr an neuen Konzepten zur Optimierung unseres eigenen Arbeitsumfelds – neue Trainingsumgebung, neue Arbeitsmittel, neue Kooperationsformen in weltweiten Communities usw.

Was die Entwicklung der Kernbereiche betrifft, kommen wir ebenfalls gut voran. Ich möchte da vor allem zwei Bereiche herausstreichen, die für uns in der Schweiz sehr relevant sind: die Aktivierung vom Digital Twin Konzepten im Industrieumfeld und die Operations 4.0 Konzepte zur massiven Gesamtoptimierung von Grossbankenumgebungen. In beiden Bereichen profitieren wir massgeblich von Vorarbeiten unserer internationalen Kollegen. Die Covid-19 Situation wird nun mit Sicherheit Anpassungen an der Strategie 2025 erfordern. Manche Dinge werden sehr viel schneller umgesetzt werden, andere sich verzögern und Neues muss geschaffen werden. 

Welche absehbaren Entwicklungen haben Ihrer Ansicht nach das Potential, unser Leben in nächster Zukunft fundamental zu prägen?

Wir haben interessanterweise gerade eine umfangreiche Studie zum Thema «Flexible Workforce Management» für einen der grössten Arbeitgeber der Schweiz abgeschlossen. Die Studie wurde noch vor Kenntnis der Covid-19 Pandemie gestartet und hat nun massiv an Bedeutung gewonnen.

«Absehbar ist auch, dass wir Digitalisierungsinitiativen konsequenter angehen und deutlich mehr in Resilienz der Wertschöpfungsketten investieren werden.»

Grundthema ist, welche Arbeitsmodelle zukünftig neue Potentiale bieten und kommende Herausforderungen adressieren helfen. Denken Sie an die Gig Economy Konzepte und Flexibilisierungs-Optionen im Bereich Remote Working, wie wir sie heute alle erleben. Ich glaube, dass die nun massiv beschleunigte Entwicklung neuer Arbeitsformen das nächste Jahrzehnt prägen werden. Absehbar ist auch, dass wir Digitalisierungsinitiativen konsequenter angehen und deutlich mehr in Resilienz der Wertschöpfungsketten investieren werden.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Ich wünsche mir, dass die aktuell sehr stark geforderten staatlichen und Gesundheitsorganisationen und vor allem die sehr engagierten Menschen dahinter, schnell die Erfolge ihres vorbildlichen Handelns ernten können.

Ich wünsche mir auch, dass wir gemeinsam (Bevölkerung, Staat und Wirtschaft) die Krise als Chance nutzen.


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