Daniel Kalt, Chefökonom Schweiz UBS

Daniel Kalt, Chefökonom Schweiz UBS

Dr. Daniel Kalt, Chefökonom Schweiz UBS AG.

Von Christa W. Spoerle

Moneycab: Herr Dr Kalt, die Schweiz muss sich warm anziehen, glaubt man den wichtigsten Prognosen für die schweizerische Konjunktur. Was erwarten Sie für 2012?

Daniel Kalt: 2012 wird sicher ein anspruchsvolles Jahr. Neben der Frankenstärke wird die Exportwirtschaft zusätzlich noch mit einer Rezession im umliegenden Europa zu kämpfen haben und das kann für viele Betriebe existenzbedrohend werden. Auf der anderen Seite stellen wir auch fest, dass die Schweizer Binnenwirtschaft, insbesondere die Immobilien- und Bauwirtschaft immer noch auf Hochtouren laufen. 2012 wird sich also je nachdem in welcher Branche Sie tätig sind, sehr unterschiedliche anfühlen. Es wird der Schweiz somit etwa so ergehen wie dem Statistiker, der mit dem linken Fuss auf der heissen Herdplatte und dem rechten in einem Eimer mit Eis steht und feststellt: «Im Durchschnitt ist mir eigentlich recht wohl».

Wo orten Sie die grössten Unsicherheitsfaktoren für 2012?

Ganz klar im Zentrum wird weiterhin die ungelöste Schuldenkrise in der Eurozone sein. Leider haben es die europäischen Politiker bisher nicht geschafft, überzeugende Lösungen für die Krise zu entwickeln. Und dies wird wohl auch weiterhin so bleiben und die Finanzmärkte weiterhin in Atem halten. Dann ist sicherlich nicht zu unterschätzen, dass wir in einer Welt leben, in der sich enorme soziale Spannungspotenziale gebildet haben, die sich in einer Phase wirtschaftliche Abschwächung auch unverhofft entladen könnten.

Wie sieht ihr Worst-Case Szenario aus?

Die Eurozone wird anfangs Jahr durch eine ganz schwierige Phase gehen. Staaten wie auch Banken haben einen enormen Finanzierungsbedarf, zudem rechnen wir damit, dass Griechenland einen harten Schuldenschnitt nicht wird abwenden können. Wenn es in diesem Umfeld zu einem ungeordneten Auseinanderbrechen der Eurozone käme, wären wir wohl im «Worst-Case»-Szenario. Allerdings müsste dafür auch die EZB mehr oder weniger tatenlos zuschauen. Davon gehen wir nicht aus und messen diesem Katastrophenszenario deshalb eine weiterhin geringe Eintretenswahrscheinlichkeit bei.

«Schwer haben wird es der Tourismus sowie die typischen zyklischen Exportsektoren, also die Maschinen, Elektro- und Metallbranchen.»
Daniel Kalt, Chefökonom Schweiz UBS AG

Wie aber das Best-Case-Szenario?

Im besten Fall kommt es zu einer schnellen, überzeugenden Lösung der Euro-Krise. Wenn dies gelingen würde, könnte die enorme Unsicherheit, welche Investoren, Unternehmer und auch Konsumenten zur Zeit so stark zur Zurückhaltung veranlasst, endlich aus der Welt geschaffen werden und somit die wirtschaftliche Entwicklung deutlich besser herauskommen als wir das momentan erwarten.

Welche Branchen haben es 2012 schwer, welche leichter?

Schwer haben wird es der Tourismus sowie die typischen zyklischen Exportsektoren, also die Maschinen, Elektro- und Metallbranchen. Auch viele kleinere Zulieferer von Exporteuren aus diesen Branchen werden einen schweren Stand haben, denn je länger die Frankenstärke anhält, umso stärker wird der Druck werden, Vorleistungen oder Teile der Produktion aus den Absatzmärkten in der Eurozone oder im Dollarraum zu beziehen. Weiterhin solid läuft die Bauwirtschaft sowie die auf die Binnenwirtschaft ausgerichteten Dienstleistungssektoren.

Wie wird sich der private Konsum entwickeln?

Der Privatkonsum dürfte sich weiterhin positiv entwickeln, auch wenn sich die Situation am Arbeitsmarkt allmählich leicht verschlechtert und die Konsumentenstimmung sich eintrübt. Positiv wirken demgegenüber die anhaltend hohe Immigration, die tiefen Zinsen und die moderaten Reallohnzuwächse.

Die SNB hält erwartungsgemäss an ihrer expansiven Geldpolitik fest, wie lange noch?

Die SNB wird die Zinsen vermutlich bis 2013 praktisch bei Null belassen. Spannender ist allerdings die Frage, ob sie zur Verteidigung der EUR-CHF-Untergrenze früher oder später gezwungen wird, erneut massiv Euros aufzukaufen. Dies hängt natürlich stark vom weiteren Verlauf der Eurokrise ab. Wenn sich alles in Minne auflöst, könnte sie Glück haben und irgendwann die Untergrenze aufgeben. Dies wäre der erste Schritt in Richtung einer Normalisierung der Geldpolitik.

Die Inflationserwartungen sind sehr bescheiden, gibt es denn auch die Gefahr einer Deflation?

Wir messen zwar zurzeit leicht negative Teuerungsraten. Allerdings kann man das noch nicht als Deflation bezeichnen, denn es sind ja nur die Importpreise, welche momentan aufgrund der Frankenstärke sinken. Von einer Deflation spricht man erst, wenn die Preise auf breiter Front zu sinken beginnen. Längerfristig würde ich sogar meinen, ist angesichts der enormen Geldmengenausweitung Inflation das höhere Risiko als Deflation.

«Wenn die SNB die Franken-Untergrenze tatsächlich – sagen wir im Extremfall auf 1.40 – anhebt, ist die Drohung den Kurs noch weiter hoch zu stemmen nicht mehr glaubhaft.»

Als sichere Anlage und dank der tiefen Zinsen sind Immobilien gesucht. Wird eine Blase zu einem grösseren Risiko?

Die Entwicklung am Wohnimmobilienmarkt verfolgen wir momentan schon mit einigen Sorgenfalten. Unser regelmässig publizierter Immobilien-Blasenindex zeigt, dass wir gesamtschweizerisch einen Boom, aber noch keine flächendeckende Blase haben. Allerdings gibt es sicherlich einzelne Regionen, in denen wir Anzeichen für eine Blase haben, insbesondere am Genferseebecken sowie in einzelnen Regionen rund um den Zürichsee und in Zug, aber auch in einzelnen Tourismusdestinationen. Hier bestehen durchaus Preisrisiken.

Die meisten CEO’s könnten besser schlafen, wenn der Franken zum Euro bei 1,35-1,45 läge. Sie bezeichnen aber eine Anhebung der Eur/CHF Untergrenze von derzeit 1,20 CHF als riskant. Was sind ihre Hauptargumente?

Der SNB ist es gelungen, Attacken auf die Untergrenze von 1,20 zu verhindern, weil sie auf diesem Niveau sehr glaubhaft damit drohen kann, die Untergrenze jederzeit auf 1,30 oder noch höher anzuheben. Sollten Anleger also darauf wetten, dass die 1,20er-Grenze fällt, müssen sie jederzeit damit rechnen, auf ihren Positionen grosse Verluste einzufahren. Diese sehr ernst zu nehmende Drohung der SNB hält also potenzielle Käufer von Franken ab, sich gegen die SNB zu stellen und auf tiefere Kurse im EURCHF zu wetten. Wenn die SNB die Franken-Untergrenze tatsächlich – sagen wir im Extremfall auf 1.40 – anhebt, ist die Drohung den Kurs noch weiter hoch zu stemmen nicht mehr glaubhaft. Also werden die Märkte dann beginnen, gegen die SNB zu wetten und Positionen aufzubauen, die auf eine Aufwertung des Frankens abzielen. Genau dann wird die SNB ihre Ankündigung wahr machen und unlimitiert Euros aufkaufen müssen, um die zuvor erhöhte Kursuntergrenze zu verteidigen. Fazit: Lieber den Spatz (sprich: die 1,20) in der Hand, als die Taube auf dem Dach.

EU-Ratschef Hermann Van Rompuy  erklärte kürzlich, dass sich 2011 noch als Wunderjahr herausstellen könnte, weil nämlich der Aufbruch in eine politisch und wirtschaftlich stabilere Währungsunions gelungen sei. Was haben Sie da gedacht?

Ob es wohl sein kann, dass dieser Herr die Welt durch eine rosarote Brille anschaut. Fakt ist doch, dass der Euro nicht das geworden ist, was sich die Politiker von ihm erhofft hatten, nämlich das Krönchen auf der europäischen Einigung. Fakt ist, dass der Euro mittlerweile mehr wirtschaftliche, politische und letztlich sogar soziale Spannungen in Europa verursacht als er hilft, Europa zu einigen. Die Währungsunion ist damit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch gescheitert. Nur wer diese unterliegenden Ursachen der Krise erkennt, kann die richtigen Lösungsansätze entwickeln. Herr Van Rompuy ist mit seiner Analyse leider auf dem Holzweg.

«Diversifizieren Sie gut über verschiedene Anlageklassen hinweg. Konzentrieren Sie sich auf qualitativ solide Renditepapiere.»

Die USA können sich etwas hinter der Euro-Krise verstecken, wie lange noch?

2012 ist ein Wahljahr und solange sagen sich die Amerikaner «the show must go on». Bislang sind alle Versuche gescheitert, die enormen Defzite in den USA einzudämmen und es wird weiter «deficit spending» betrieben. Die Stunde der Wahrheit wird nach den Wahlen kommen und die Herausforderungen für die USA werden nicht kleiner sein als diejenigen in Europa.

Welche Länder können denn 2012 als Stütze der Weltkonjunktur in Frage kommen?

Die USA dürften – im Gegensatz zu Europa – ein Rezession abwenden können und somit zumindest ein moderates Wachstum verzeichnen. Vieles wird auch davon abhängen in welchem Ausmass die Schwellenländer dank fiskal- und geldpolitischer Stimulierung die konjunkturelle Talfahrt abfedern können. Solange China ein «soft landing» gelingt, können wohl die Schwellenländer ihren Wachstumsvorsprung auf die Industrieländer aufrecht erhalten.

Was raten Sie denn den Anlegern für 2012?

Diversifizieren Sie gut über verschiedene Anlageklassen hinweg. Konzentrieren Sie sich auf qualitativ solide Renditepapiere. Unternehmensanleihen bieten ein deutlich attraktiveres Rendite-/Risikoprofil als Anleihen von Industriestaaten. Im Aktienbereich bleiben wir weiterhin defensiv, bevorzugen Werte mit hohen Dividendenrenditen und vermeiden zyklische Sektoren sowie Finanzwerte, insbesondere in Europa. US- und UK-Aktien haben die besseren Aussichten als die kontinentaleuropäischen Märkte.

Zur Person
Daniel Kalt, Jahrgang 1969, ist Chefökonom Schweiz der UBS. Nach seinem Studium der Nationalökonomie an der Universität Zürich promovierte er an der Universität Bern. Bei der UBS ist er seit 1997 als Ökonom beschäftigt. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Zum Unternehmen

Die UBS ist eine weltweit tätige Universalbank. Sie bietet  weltweit Finanzdienstleistungen für Privat-, Firmen- und institutionelle Kunden an. Die drei globalen Kerngeschäfte sind Wealth Management, Global Asset Management und Investment Banking.  Sie beschäftigt weltweit mehr als 65’000 Personen. In den ersten 9 Monaten weist die UBS einen Reingewinn von 4’106 Mio CHF aus gegenüber 6’155 Mio 2010. Die Bank wird für das Geschäftsjahr 2011 die Ausschüttung einer Dividende von 0,10 CHF pro Aktie vorgeschlagen.

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