Dominic Senn, CEO machineMD, im Interview

Dominic Senn, CEO machineMD, im Interview
Dominic Senn, CEO machineMD. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Senn, machineMD entwickelt ein Medizinprodukt zur Frühdiagnose von neurologischen Erkrankungen inklusive Hirntumoren mittels neuro-ophthalmologischer Untersuchungen. Können Sie uns das Spezialgebiet der Neuro-Ophthalmologie zuerst etwas näherbringen?

Dominic Senn: Die Neuro-Ophthalmologie ist eine klinische Disziplin, die sich mit Erkrankungen des Gehirns befasst, die das Sehsystem betreffen. Da das visuelle System grosse Bereiche des Gehirns umfasst, können durch die Untersuchung der Augen- und Pupillenbewegungen sehr viele neurologische Krankheiten erkannt werden. Neuro-ophthalmologische Untersuchungen sind ein wesentlicher Bestandteil zur Beurteilung der Hirnfunktion und leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Diagnose und Therapie von Krankheiten wie Multipler Sklerose und Hirntumoren wie auch von seltenen, schwer zu diagnostizierenden Erkrankungen.

Die Früherkennung von neurologischen Erkrankungen ist ein zentrales Thema. Was ist in diesem Bereich heute möglich?

Bereits heute werden etwa 25 % der Patienten mit Multipler Sklerose und 50 % der Patienten mit Hirntumoren aufgrund von neuro-ophthalmologischen Symptomen diagnostiziert. Dieser Prozentsatz wird sich erhöhen, wenn die Diagnostik zuverlässiger wird, denn neuro-ophthalmologische Untersuchungen werden heute von spezialisierten Neuro-Ophthalmologen oder Orthoptisten manuell durchgeführt. Die Qualität der Untersuchung hängt entscheidend vom Ausbildungsstand des Untersuchers ab, die Diagnosen sind also subjektiv und leider sehr oft ungenau.

Eine Studie an drei neuro-ophthalmologischen Universitätskliniken in den USA in den Jahren 2019 bis 2020 zeigte, dass die Überweisungsdiagnose in 49 % der Fälle falsch war, wobei die häufigsten Ursachen für Diagnosefehler in der physischen Untersuchung lag. Ein zweites Problem sind die langen Wartezeiten – in den USA warten Patienten 200 Tage auf einen Termin beim Neuro-Ophthalmologen. Genau bei diesen Problemen setzt die Entwicklung von machineMD an: Das NeurOphthalmoscope oder kurz «neos» ist ein vollautomatisiertes Diagnosegerät, das quantitative, reproduzierbare Resultate liefert, die Untersuchungen vereinfacht und von 45 Minuten auf 10 Minuten verkürzt.

«»neos» ist ein vollautomatisiertes Diagnosegerät, das quantitative, reproduzierbare Resultate liefert, die Untersuchungen vereinfacht und von 45 Minuten auf 10 Minuten verkürzt.»
Dominic Senn, CEO machineMD

Können Sie uns die Funktionalität von «neos» näher erläutern?

Das Gerät misst Augen- und Pupillenbewegungen, die durch visuelle Reize ausgelöst werden und kann heute acht neuro-ophthalmologische Untersuchungen, einschliesslich Pupillenfunktion und Gesichtsfeldmessungen, durchführen. Die Untersuchung ist immer vollständig und quantitativ, zudem geht sie schnell und kann durch eine medizinische Praxisassistenz durchgeführt werden. Das hat den Vorteil, dass alle Patientinnen und Patienten mit dem gleichen Standard untersucht werden und die Resultate vergleichbarer sind. Die Untersuchungen, die das Gerät macht, gibt es alle heute schon und sie werden von den Krankenkassen erstattet – was für uns ein weiterer wichtiger Pluspunkt ist.

Auf welcher Forschungsgrundlage basiert das Gerät?

Die konkrete Umsatzung von neos basiert auf langjähriger Forschung im Labor von Prof. Dr. Mathias Abegg am Inselspital Bern. Gleichzeitig gibt es ein breite und gut etablierte akademische Literatur, die zeigt, dass Eyetracking im klinischen Rahmen erfolgreich zur Messung neurologischer Funktionen eingesetzt werden kann.

machineMD hat sich zuletzt in einer 50% überzeichneten von Investoren 3,2 Mio Franken gesichert. Was bedeutet das für das MedTech-Startup?

Das war ein grosser und wichtiger Erfolg für uns. Dank dieser Seed-Finanzierung können wir nun mit unserer Arbeit fortfahren und auch bereits an Weiterentwicklungen arbeiten.

Wie sehen denn die nächsten Schritte konkret aus?

Seit August haben wir einen funktionalen Prototyp. Dieser wird nun getestet und weiter verbessert. Die Entwicklung des finalen Prototyps sollte im ersten Halbjahr 2023 abgeschlossen sein. Auf dieser Grundlage werden wir die Zulassungen beantragen.

«Wir hoffen, dass wir Ende 2023 «neos« in der Schweiz und der EU – lancieren können.»

Wann rechnen Sie mit der Markteinführung?

Wir werden Mitte 2023 die CE-Zulassung beantragen. Wir hoffen, dass wir Ende 2023 «neos» in der Schweiz und der EU – lancieren können. Nach der FDA-Zulassung wird dann der Launch in den USA erfolgen.

Welche weiteren Entwicklungen könnten darüber hinaus dereinst von machineMD kommen?

Unser Ziel ist es, mit «neos» jeder Ärztin, jedem Optometristen und jeder Augenoptikerin überall auf der Welt die diagnostische Qualität von hochqualifizierten Spezialisten zur Verfügung zu stellen. Damit wollen wir auch Patientinnen und Patienten erreichen, die heute keinen Zugang zu Spezialisten haben. Weiter wollen wir durch die Sammlung standardisierter Daten die diagnostischen Möglichkeiten für die Früherkennung von Hirnerkrankungen ausbauen. Und wir denken heute bereits über eine Weiterentwicklung unseres Diagnosegeräts nach, mit der wir die Diagnose auf weitere Krankheiten ausweiten können.

«Der Sitem Startup Club ist nicht nur ein Ort, an dem MedTech-Startups Büroräume und eine lebendige Community und Coaching finden, sondern er verschafft uns auch Zugang zu einem exklusiven und aktiven Investorenclub.»

machineMD ist Mitglied des Sitem StartUp Clubs und im Sitem MedTech Hub angesiedelt. Wie wertvoll ist dieses MedTech-Ökosystem für Ihr Unternehmen?

Der Sitem Startup Club ist für uns sehr wichtig. Er ist nicht nur ein Ort, an dem MedTech-Startups Büroräume und eine lebendige Community und Coaching finden, sondern er verschafft uns auch Zugang zu einem exklusiven und aktiven Investorenclub. Für uns, wie auch für andere MedTech-Startups, ist ein solches umfassendes Förderangebot mit einer starken Finanzierungskomponente ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Dank des Sitem Startup Clubs konnten wir unseren Case vor dem Investorenclub des Sitem Startup Clubs (SSC) präsentieren und wurden vom Leiter des SSC, Dani Buser, bei der Investorensuche unterstützt. Der wichtigste Investor unserer Seed-Runde, die Guido Flury Stiftung, ist führendes Mitglied des SSC.

Bevor Sie 2020 Mitgründer und CEO von machineMD wurden, waren Sie für TWINT tätig, das mit mobilen Zahlungslösungen in einem ganz anderen Gebiet tätig ist. Was hat Sie an diesem Schritt gereizt?

Die MedTech Branche war zwar neu für mich, aber das Projekt machineMD hat mich von Anfang aus drei Gründen sehr begeistert. Erstens suchte ich nach einem Projekt, das eine positive Wirkung hat. Das hat machineMD ganz klar, da wir die Frühdiagnose von Gehirnerkrankungen radikal verbessern werden. Zweitens habe ich nach einem Projekt gesucht, das neuartige, aber bewährte Technologien zur Lösung eines bestehenden Problems nutzt. Drittens erkannte ich nach Gesprächen mit vielen Augenärzten und Neurologen, dass unser Projekt die Antwort auf einen Bedarf ist, der vielen Ärzten bereits bekannt ist. Zusammen mit der günstigen Erstattungssituation war mir klar, dass wir eine gute Chance haben, unsere Lösung in grossem Umfang an die relevanten Interessengruppen und unser Startup zum Fliegen zu bringen.

Herr Senn, besten Dank für das Interview.

machineMD
Sitem Startup Club
Guido Flury Stiftung

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