Frank Rehfeld, CEO von LEM, im Interview

Frank Rehfeld, CEO von LEM, im Interview
Frank Rehfeld, CEO LEM. (Foto: LEM)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Herr Rehfeld, regional gesehen ergaben sich für LEM in den letzten neun Monaten deutliche Unterschiede. China und die Region Americas wuchsen sehr deutlich, während in Europa das Umsatzniveau in etwa gehalten wurde. Wieso dieser grosse Unterschied?

Frank Rehfeld: LEM ist in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 22/23 um 9,5 Prozent gewachsen, ohne Wechselkurseffekt sogar um 12,5%. China und die Americas waren dabei die Wachstumslokomotiven: China mit 13% und die Americas mit 40% Wachstum. Unser Europageschäft blieb auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr, wuchs aber im dritten Quartal um neun Prozent. Zwei wesentliche Einflüsse haben unser Wachstum in Europa beeinflusst: Zum einen das fehlende Russlandgeschäft – LEM hat entschieden, ab 1. April 2022 in Russland keine Produkte mehr zu verkaufen – und der schwache Euro im Vergleich zum stärker werdenden Schweizer Franken.

Die Elektroauto-Welle scheint in den USA Fahrt aufzunehmen. Wie stark wird LEM davon profitieren?

Wir sind ausgesprochen froh, dass auch in den USA die Bedeutung von Nachhaltigkeit einen immer grösseren Stellenwert bekommt. Das wird sowohl Auswirkungen auf unser Renewable Energy-Geschäft, unser Energy Distribution-Geschäft und natürlich auch auf unser Automotive-Geschäft haben. Wir haben in all diesen Märkten in der Welt eine herausragende Marktposition beim Messen elektrischer Parameter. Deshalb verstärken wir unsere US-Organisation sowohl im Automotive- als auch in den anderen Bereichen und sehen heute schon sehr erfreuliche Auftragseingänge und fruchtbare Diskussionen mit vielen Kunden.

«Wir sind ausgesprochen froh, dass auch in den USA die Bedeutung von Nachhaltigkeit einen immer grösseren Stellenwert bekommt.»
Frank Rehfeld, CEO von LEM

Die Fokussierung auf Sensortechnik wird LEM über Jahre in den Wachstumsmärkten Automotive, erneuerbare Energien und Automatisierung etablieren. Ist eine line extension über Komponenten zur Strom- und Spannungsmessung hinaus denkbar?

2017 haben wir intensiv darüber nachgedacht, wie wir als Komponentenlieferant weiter wachsen können. Komponentenlieferanten werden typischerweise mit jährlich sinkenden Durchschnittserlösen pro Komponente konfrontiert, so dass das Volumen überproportional wachsen muss, um in einem Top-Line-Wachstum des Unternehmens zu resultieren.

Innerhalb dieser Strategiediskussion haben wir unter anderem auch beschlossen, dass die Vorwärtsintegration ein bedeutender Wachstumspfeiler für LEM werden soll. Deshalb sind wir in den DC-Meter-Markt – in allen Schnellladestationen für Elektrofahrzeuge sind Gleichstromzähler verbaut -eingestiegen. Das bedeutete, einen neuen Entwicklungsstandort (in Lyon) und auch neue Kompetenzen wie Software und Metrologie aufzubauen. Das ist uns gelungen, und wir zählen in diesem Bereich heute schon zu den Marktführern. Die Softwarekompetenz nutzen wir auch in intelligenten Sensoren für Automotive, etwa im Batteriemanagement.

LEM litt sehr unter den Lieferkettenproblemen. Ist jetzt vollständige Entwarnung?

Leider noch nicht. In den vergangenen zwei Jahren haben insbesondere die fehlenden Halbleiter unser Wachstum verlangsamt und werden auch noch 2023 einen Einfluss auf unsere Wachstumsgeschwindigkeit haben. Wir arbeiten sowohl an Lösungen mit unseren Lieferanten, als auch an eigenen Lösungen bei LEM im Rahmen unserer Integrated Current Sensor-Aktivitäten. Wir sehen allerdings, dass sich die Situation im Vergleich zu den beiden vergangenen Jahren verbessert.

«Wir sehen, dass sich die Situation bei den Lieferketten im Vergleich zu den vergangenen zwei Jahren verbessert.»

Was hat LEM für den Fall eines Wiederaufflackerns der Lieferkettenprobleme als Plan B?

Auch wir haben eine Lessons-Learned-Analyse der Lieferkettenprobleme gemacht und entschieden, dass wir sowohl unseren Produktionsfootprint als auch unsere Lieferantenstrategie überarbeiten müssen. Wir werden uns mehr diversifizieren, um auf Veränderungen schneller und besser reagieren zu können. Die Bedeutung der Fähigkeit, liefern zu können, ist in den letzten Jahren vor dem Hintergrund globaler Lieferketten noch einmal stark gewachsen.

Die F&E-Ausgaben von LEM liegen weiterhin bei 8,2 Prozent vom Umsatz. Wo liegen die Schwerpunkte?

Wir haben in den letzten 5 Jahren unsere R&D-Ausgaben von etwa 5% substantiell gesteigert und uns vorgenommen, jährlich einen Anteil von 8 bis 10% unseres Umsatzes in die Weiterentwicklung unserer Kompetenzen, unserer Kapazitäten und auch unseres Footprints zu investieren. Der Fokus der Investitionen liegen im Bereich der Halbleiterentwicklung und der Softwareentwicklung bis hin zu funktionaler Sicherheit. Wir bauen unsere R&D-Standorte in Bulgarien, Frankreich und China weiter aus und verstärken uns auch mit kritischen Kompetenzen in Genf, unserem Unternehmenssitz.

Sie selbst, Herr Rehfeld, waren rund zehn Jahre Ihres Lebens in China tätig. Wie sehen Sie die Stabilität dieses wichtigsten Absatzmarktes für LEM?

Für LEM ist der chinesische Markt der grösste Einzelmarkt. Mehr als 40% unseres Umsatzes generieren wir in China. China hat seine eigenen Herausforderungen ernst genommen und früh sehr entschieden einen nachhaltigen Weg eingeschlagen. Von den zehn grössten Herstellern von Solarinvertern sitzen neun in China; China ist mit 50% des Weltmarkts der grösste Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge.
Das Wachstumspotential für nachhaltige Energieerzeugung in China ist – berücksichtigt man die Dimension des Landes – weiterhin riesig, und das gilt auch für den weltgrössten Automobilmarkt China. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich CO2-Neutralität bis 2050 nur durch enge Zusammenarbeit der weltweiten Community erreichen lässt.

«Das Wachstumspotential für nachhaltige Energieerzeugung in China ist – berücksichtigt man die Dimension des Landes – weiterhin riesig, und das gilt auch für den weltgrössten Automobilmarkt China.»

Neben Genf und Peking hat LEM noch in Tokyo und Sofia Produktionsstätten. Ist der Ukraine-Krieg in Bulgarien überhaupt ein Thema?

Wie alle Mitarbeitenden der LEM-Gruppe sind auch unsere bulgarischen Kolleginnen und Kollegen entsetzt über den brutalen Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Dieser Krieg verletzt nicht nur das völkerrechtliche Einmaleins, erzeugt unendliches menschliches Leid und zerstört Milliardenwerte – er wirft uns auch in der Nachhaltigkeitsagenda zurück. Die Milliarden, die hier verwendet werden, um zu töten und zu zerstören, hätten sinnvoll für die Schaffung einer nachhaltigeren Welt eingesetzt werden können.

Peking und Sofia sind für LEM die beiden Bulk-Produktionsstätten. Sind die Lohnstückkosten in etwa gleich?

Beide Standorte sind unterschiedlich gross, haben unterschiedlich viel Erfahrung in der Produktion, gleichzeitig ist das Produktportfolio nicht gleich. Die Lohnstückkosten sind in etwa in einer vergleichbaren Grössenordnung. Die Produktionsteams in beiden Standorten arbeiten kontinuierlich daran, dass der Automatisierungsgrad dem Volumenwachstum entsprechend angepasst wird und so die Lohnerhöhungen aufgefangen werden können.

Der globale Sensormarkt wächst mit rund 12 Prozent zweistellig pro Jahr. Wird das so bleiben oder wird er allmählich reifer werden?

Wir sehen den Sensormarkt auch in der absehbaren Zukunft weiter wachsen. Die Megatrends zu nachhaltiger Energieerzeugung, der Elektrifizierung der Mobilität und der Digitalisierung und Automatisierung führen zwangsläufig zu einem höheren Sensorbedarf. Gleichzeitig muss aber auch Nachhaltigkeit finanzierbar sein. Deswegen sehen wir die mittleren Preise für unsere Produkte weiter sinken – was uns vor die Aufgabe stellt, mit neuen Technologien entsprechende Lösungen bereitstellen zu können, um weiter profitabel zu wachsen.

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