Giulio Vitarelli, Vorsitzender der Geschäftsleitung der VZ Gruppe, im Interview

von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Vitarelli, die jüngsten Börsenentwicklungen dürften auch Ihre Kunden verunsichert haben. Müssen sich die Anleger neu positionieren?
Giulio Vitarelli: Diese Frage wird uns in Beratungsgesprächen sehr oft gestellt. Das unberechenbare Vorgehen der US-Administration schürt Unsicherheiten, die sich in starken Schwankungen an den Finanzmärkten niederschlagen. Grundsätzlich gilt: In hektischen Börsenphasen sollte man seine Geldanlagen nicht überstürzt ändern. Wer seine Anlagestrategie sorgfältig hergeleitet hat, sollte daran festhalten. Schliesslich ist diese Strategie das Ergebnis sorgfältiger Überlegungen, die man in ruhigeren Marktphasen gemacht hat. Viele lassen sich aber vom Auf und Ab an den Börsen zu hektischen Umschichtungen verleiten – oft mit fatalen Folgen für die Rendite.
Die VZ-Aktie hat in den letzten Jahren deutlich zugelegt, und auch ihr zweites Geschäftsjahr als CEO der VZ Gruppe war in vielerlei Hinsicht erfolgreich. Womit sind Sie am meisten zufrieden?
Auch 2024 hat sich unser Geschäft erfreulich entwickelt. Die Nachfrage nach unserer Beratungsexpertise hat nochmals zugenommen, und so konnten wir in allen Bereichen wachsen. Das verdanken wir auch dem Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben viel geleistet und einen tollen Job gemacht – darauf können wir stolz sein. Der Gewinn ist um rund 17 Prozent auf knapp 220 Millionen Franken gewachsen. Zum guten Ergebnis hat auch die positive Stimmung an den Finanzmärkten beigetragen. Das lässt sich direkt am Wachstum der verwalteten Vermögen und am guten Anstieg des Netto-Neugelds ablesen. Aufgrund der demografischen Entwicklung wächst unsere Zielgruppe stetig. Deshalb gehen wir auch für die nächsten Jahre von einer steigenden Nachfrage nach Beratungsleistungen aus.
Das Netto-Neugeld stieg in den vergangenen 12 Monaten deutlich von 4,4 auf 5,1 Milliarden Franken. Das sieht fast nach Anlagenotstand aus?
Der Haupttreiber ist, dass immer mehr Personen ihre Pensionierung sorgfältig planen möchten. 2024 haben wir wieder eine grosse Anzahl von Beratungsprojekten umgesetzt. Daraus konnten wir netto rund 9’600 neue Kundinnen und Kunden für unsere Plattform-Dienstleistungen gewinnen – also für kostengünstige und effiziente Lösungen rund um Konto, Depot, Hypothek, Versicherung und Pensionskasse. Dadurch stieg das Netto-Neugeld deutlich an, und die verwalteten Vermögen wuchsen um etwa 18 Prozent auf 53 Milliarden Franken.
«Langfristig streben wir eine EBIT-Marge von mindestens 44 Prozent und eine Nettogewinnmarge von 38 Prozent an.»
Die EBIT-Marge liegt jetzt mit 48,4 Prozent um einen Zehntel höher als das mittelfristige Ziel. Ich nehme nicht an, dass Sie das beunruhigt?
Langfristig streben wir eine EBIT-Marge von mindestens 44 Prozent und eine Nettogewinnmarge von 38 Prozent an. Das schaffen wir, wenn wir weiterhin erfolgreich wachsen und unsere Kosten im Griff behalten. Ab diesem Jahr schütten wir 50 Prozent des Jahresgewinns aus. Diese Ausschüttungsquote wollen wir in den nächsten Jahren beibehalten. Den Rest des Gewinns investieren wir in die Weiterentwicklung unseres Geschäfts und in die Stärkung unseres Eigenkapitals. Alles deutet darauf hin, dass die Nachfrage nach Beratung und kostengünstigen Umsetzungsplattformen zunehmen wird. Deshalb wollen wir unsere Beratungskapazität im Gleichschritt damit ausbauen.
Warum steigt die Nachfrage nach Beratung?
Mit den geburtenstarken Jahrgängen der Babyboomer gehen immer mehr Personen in Pension. Viele fragen sich, ob sie genug vorgesorgt haben, um sich den gewünschten Lebensstandard nach der Pensionierung leisten zu können. Denn die Renten aus der Pensionskasse sind gesunken, während die Lebenserwartung steigt – das macht die Pensionierung noch teurer. Auch der Reformstau in unserem Vorsorgesystem und die immer komplexere Gesetzgebung werden die Nachfrage nach professioneller Beratung in den kommenden Jahren weiter erhöhen.
«Der Reformstau in unserem Vorsorgesystem und die immer komplexere Gesetzgebung werden die Nachfrage nach professioneller Beratung in den kommenden Jahren weiter erhöhen.»
Sind Beratungen zur Steuerplanung besonders beliebt?
Unsere Fachexpertise konzentriert sich auf alle finanziellen Aspekte rund um das Thema Pensionierung. Die wichtigste Zielgruppe sind Einzelpersonen und Paare ab 50 Jahren mit Wohneigentum. Viele von ihnen kommen auf uns zu, um frühzeitig ihre Finanzen nach 65 zu planen. Nach der Beratung haben sie ein vollständiges Konzept als Entscheidungsgrundlage sowie einen Aktionsplan, der auf sie zugeschnitten ist. Zu den wichtigsten Fragen gehört etwa, wie man sein Geld aus der Pensionskasse beziehen soll: Rente, Kapital oder beides? Steuerliche Überlegungen können dabei eine Rolle spielen – meistens sind sie aber nicht entscheidend. Viel wichtiger sind die finanzielle Sicherheit und Flexibilität sowie die Kontrolle über das eigene Einkommen.
Ist die Bonität unter anderem auch so gut, weil das VZ viele wohlhabende Kunden hat?
Wenn Sie mit «wohlhabend» meinen, dass viele unserer Kunden über 40 Jahre lang gearbeitet und diszipliniert gespart und so den grössten Teil ihres Vermögens in der Pensionskasse angehäuft haben, dann ist Ihre Aussage korrekt. 2024 ist die Bilanzsumme von 6,5 auf 7,5 Milliarden Franken gestiegen. Das lässt sich primär auf den starken Anstieg der Anzahl Kunden zurückführen, von denen viele ihre Bankgeschäfte über unsere Depotbank abwickeln. Unsere Bilanz wird auch künftig sehr risikoarm bleiben. Weil wir die Hälfte des Gewinns einbehalten, können wir die wichtigen Kennzahlen auf ihrem hohen Niveau halten, auch wenn die Bilanzsumme weiter stark wächst.
Künstliche Intelligenz ist ein wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung. Wo gibt es in Ihrem Geschäft Ansatzpunkte dafür?
Wir setzen KI vor allem in der Verarbeitung und Abwicklung ein, wo wir Prozesse standardisieren und automatisieren. In der Interaktion mit unseren Kunden sehen wir zurzeit wenige Anwendungen, abgesehen von der Unterstützung der Beraterinnen und Berater durch intelligente Tools und Wissensdatenbanken. Wenn es um wichtige und komplexe Entscheidungen für ganze Lebensabschnitte geht, bleibt der persönliche Austausch unverzichtbar. Alle unsere Kunden werden von einer persönlichen Beraterin oder einem persönlichen Berater begleitet. Die Kunden entscheiden je nach Bedürfnis, ob sie ihren Berater im Beratungszimmer treffen oder die digitalen Dienstleistungen des VZ Finanzportals nutzen möchten.
Letztes Jahr gingen rund 10’000 neue Nutzerinnen und Nutzer an Bord des VZ-Finanzportals. Was sind die nächsten Schritte bei der Digitalisierung?
Die Investitionen in unsere digitale Kundenschnittstelle zahlen sich aus: Mittlerweile nutzt die grosse Mehrheit unserer Kundinnen und Kunden das VZ Finanzportal. Die Attraktivität des Portals trägt dazu bei, dass sie unsere Plattform-Dienstleistungen intensiver nutzen. Auch künftig investieren wir viel in die Weiterentwicklung des Finanzportals – Monat für Monat kommen weitere Funktionalitäten hinzu. Diese machen es unseren Kunden einfacher, ihre Haushaltsfinanzen zu organisieren. Mittelfristig wollen wir alle Dienstleistungen auch digital anbieten und auf Platz eins der digitalisiertesten Finanzdienstleister der Schweiz aufsteigen. Aber wie gesagt: Die persönliche Beratung vor Ort bleibt entscheidend.
«Mittelfristig wollen wir alle Dienstleistungen auch digital anbieten und auf Platz eins der digitalisiertesten Finanzdienstleister der Schweiz aufsteigen.»
Dieses Jahr kommen über 20 neue Beraterinnen und Berater hinzu. Profitiert das VZ dabei vom Überangebot an Bankern?
Nein, wir profitieren kaum davon. Wir bilden unsere Fachexperten selbst aus. Die Ausbildung in unserer eigenen Akademie dauert im Schnitt 24 Monate. Von zehn Personen, die diese Ausbildung durchlaufen, bestehen etwa sieben bis acht die internen Prüfungen. Erst dann hat ein Berater das nötige Wissen, um Kundenverantwortung zu übernehmen. Wir suchen also nicht explizit Bankberater, sondern junge Leute und Quereinsteiger, die das nötige Rüstzeug für die Beratung mitbringen. Alle müssen die interne Ausbildung durchlaufen und bestehen. Die Erfahrung zeigt: Auch wenn sie einige Jahre Erfahrung bei Banken und Versicherungen gesammelt haben, fehlt ihnen oft die nötige Expertise, um Kunden umfassend beraten zu können. Banker sind darum eher selten, weil sie bereit sein müssen, ihre Zeit in unser Ausbildungssystem zu investieren.