Hans-Georg Bächtold, Geschäftsführer SIA

Hans-Georg Bächtold, Geschäftsführer SIA

Hans-Georg Bächtold, Geschäftsführer SIA. (Foto: Europa Forum Luzern / Philip Böhni)

Was bedeutet das Credo des Wachstums für ein kleines Land wie die Schweiz? Hans-Georg Bächtold, Geschäftsführer vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA sieht im Interview im Vorfeld des Europa Forums Luzern die Gestaltung unseres Lebensraumes in der knapper werdenden Schweiz als wichtiges Zukunftsprojekt.

Europa Forum Luzern: Die Wirtschaft funktioniert nur mit Wachstum. Doch Wachstum braucht Raum, der nicht unbeschränkt zur Verfügung steht. Wie weiter?

Hans-Georg Bächtold: Der Raum verstanden als Länge, Breite und Höhe ist nicht das Problem. Wir haben heute die technologischen Möglichkeiten so hoch zu bauen, dass Wohn- und Arbeitsraum im Überfluss geschaffen werden könnte. Die damit einhergehende Lebensform muss der Bevölkerung aber zuerst schmackhaft gemacht werden. Mit anderen Worten, wir müssen uns vom Idealbild des eigenen Hauses auf der grünen Wiese lösen. Und hier sind die Fachleute und die Politik gefordert.

Wo besteht Handlungsbedarf?

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts hat die Bruttogeschossfläche pro Einwohnerin und Einwohner von 22 m2 auf 50 m2 zugenommen. Prognosen für das Jahr 2050 sagen 80m2 pro Person an. Wir stellen fest, dass die Siedlungsfläche stärker wächst als die Bevölkerung. Muss diese Entwicklung sein? Machen immer grössere Wohnungen die Menschen glücklicher und die Wirtschaft zukunftsfähiger. Beim SIA debattieren wir deshalb auch intensiv den Aspekt der Suffizienz. Suffizienz nicht im Sinne von verzichten, sondern von haushalten.

«Unter intelligenter Raumnutzung ist gemeinsame Nutzung zu verstehen.»
Hans-Georg Bächtold, Geschäftsführer SIA

Wie ist dies zu erreichen?

Mit mehr Qualität und gemeinsamem Nutzen! Heute, und noch mehr in der Zukunft, hängt die Standortgunst einer Region – auch für die Wirtschaft – von der Qualität der räumlichen Verhältnisse ab, also von den Bauten, den Infrastrukturen und der Landschaft. Je grösser die dafür aufgebrachten Investitionen und Leistungen sind, desto wichtiger wird, dass unser Raum intelligent genutzt wird. Unter intelligenter Nutzung ist gemeinsame Nutzung zu verstehen. Nur so lassen sich die zunehmenden, vielfältigen Ansprüche an unseren begrenzten Boden – und der ist in der Schweiz knapp – erfüllen. Gemeinsamer Gebrauch entspricht auch der Forderung nach einem haushälterischen Umgang mit unseren endlichen Ressourcen und folgt auch dem ökonomischen Prinzip – ein wichtiges Anliegen in der Zeit knapper Finanzmittel.

Wo sehen Sie die grössten Probleme?

Mit dem heute dominierenden Flächenverbrauch unseres Landes geht ein enormer infrastruktureller Aufwand einher. Ein Aufwand wie wir ihn uns nicht mehr länger leisten können. Denn der Unterhalt dieser Infrastruktur frisst mittlerweile jedes Jahr 3.5 Mrd. Franken. Zusammen mit den jährlichen Investitionen in den Ausbau derselben von 4.5 Mrd. macht das eine horrende Belastung von 8 Mrd. die beglichen sein will. Zudem: Dieses Wachstum wurde begleitet von einem Verlust an Qualität.

«Auch in der Agglomeration kann deshalb nur die Devise sein: Qualitatives Wachstum nach innen.»

Davon waren besonders die Agglomerationen betroffen.

Auch in der Agglomeration kann deshalb nur die Devise sein: Qualitatives Wachstum nach innen. Mit anderen Worten, dort weiterbauen, wo die Infrastruktur und die Haltestellen bereits vorhanden sind. Wie die damit einhergehende Innenentwicklung qualitativ gestaltet werden kann, ist die grosse Herausforderung für unsere Fachleute. Und die Politik muss für dieses Wachstum nach innen auch motivieren, die richtigen Anreizsysteme und die dafür nötigen Spielräume schaffen.

Weshalb steht die Politik in der Pflicht?

Das Schweizer Volk hat am 3. März 2013 deutlich Ja gesagt zu einer Raumentwicklung nach Innen und gegen eine weitere Zersiedlung der Landschaft. Für die Siedlungsgebiete besteht damit eine Entwicklungsstrategie, die Innenentwicklung, die nun mit den raumplanerischen Instrumenten und der deutlichen Akzeptanz des Volkes umgesetzt werden kann. Die Herausforderung dabei ist, in den bestehenden Siedlungen und Städten für noch mehr Menschen attraktiven Wohn- und Lebensraum mit hoher Qualität zu schaffen. Dazu bedarf es den Umsetzungswillen der Politik.

Ist damit das Credo des Wachstums in Frage gestellt?

Mit diesem Ja hat die Schweizer Bevölkerung zum ersten Mal auch Nein gesagt zum immer noch geltenden Glaubenssatz vom unbegrenzten Wachstum. Und die Zürcher Bevölkerung hat mit dem Ja zur Kulturlandinitiative nachgedoppelt. Gut 40 Jahre nachdem der „Club of Rome“ den viel diskutierten Bericht über die Grenzen des Wachstums veröffentlicht hat.

«Behörden, Investoren und Fachleute müssen ihr Denken und Handeln auf die Innenentwicklung ausrichten.»

Welche Chancen bieten diese Entscheide?

Konkret heisst das: Behörden, Investoren und Fachleute müssen ihr Denken und Handeln auf die Innenentwicklung ausrichten. So kann dem Bodenverbrauch und der Zersiedlung entgegengewirkt werden. Innenentwicklung bedeutet, die Potenziale und Veränderungschancen auf engstem Raum innerhalb der bereits gebauten Stadt kreativ auszuschöpfen.

Schränkt der begrenzte Raum die Entwicklungsmöglichkeiten von Unternehmen ein?

Einen Bauernhof oder eine Gärtnerei vielleicht, ja. Allenfalls auch ein flächenintensives Logistikunternehmen oder ein offenbar nur auf einem Geschoss überlebendes Einkaufszentrum. Aber alle anderen nein, keineswegs. Ich wiederhole: Raum steht grundsätzlich genügend zur Verfügung, nur der Boden ist knapp geworden.

«Selbstverständlich müssen sich alle Raumnutzer – auch die Wirtschaft – darauf einrichten, in Zukunft auf weniger Fläche zu haushalten und zu wirtschaften.»

Müssen Unternehmen künftig neue Strategien entwickeln, wenn sie angesichts der eingeschränkten räumlichen Möglichkeiten konkurrenzfähig bleiben wollen?

Selbstverständlich müssen sich alle Raumnutzer – auch die Wirtschaft – darauf einrichten, in Zukunft auf weniger Fläche zu haushalten und zu wirtschaften. Dafür bedarf es intelligenter Strategien. Allerdings ist mit Blick auf die Schweiz zu bedenken, dass es unterschiedliche Standorte gibt. Das habe ich schon als Kind beim Spielen von Monopoly gelernt. Es gibt bessere und schlechtere Standorte. Die Vordergasse in Schaffhausen wie auch der Kornplatz in Chur waren wenig wert und begehrt, ganz im Unterschied zum Paradeplatz in Zürich. Das gilt es bei der Standortwahl mit Blick auf flächenintensive Nutzungen zu berücksichtigen.

Können KMU, z.B. aus dem Bauhaupt- und Baunebengewerbe besonders von qualitätsgesteuertem Wachstum profitieren? Wenn ja, weshalb?

In der Schweiz gibt es 1.5 Millionen Gebäude die aus energetischer Sicht saniert werden müssen. Im Moment liegt die Erneuerungsrate unter 1%. Da ist noch viel zu tun. Zusammen mit der energetischen Sanierung sind die Wohnungsgrundrisse vielfältiger und attraktiver zu gestalten – auch im Sinne von Mehrgenerationenhäuser. Zudem sind diese Gebäude in ein schönes Umfeld einzubetten mit gut zugänglichen, interessanten, öffentlichen Räumen. Da fühlen sich die Menschen wohl. Die Entwicklung und Gestaltung unseres Lebensraumes, unserer Heimat ist ein Zukunftsprojekt. Diese umfangreiche Arbeit müssen wir aber heute anpacken – mit intelligenter  Raumplanung!

Zur Person
Hans-Georg Bächtold ist Generalsekretär des Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA und Referent am kommenden Europa Forum Luzern

Europa Forum Luzern – Montag, 26. Mai 2014
Wachstum – Chancen und Risiken
Wachstum scheint im Lichte der anhaltenden Wirtschaftskrise in Europa für viele ein Zauberwort zu sein. Es soll zum Beispiel den Weg aus hoher Arbeitslosigkeit ebnen und die staatlichen Haushaltsdefizite reduzieren. Doch das Wirtschaftswachstum birgt auch zahlreiche Risiken.
Am Europa Forum Luzern vom 26. Mai 2014 diskutieren Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Herausforderungen des Wachstums. Hauptreferentin an der öffentlichen Abendveranstaltung ist Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und die ehemalige Finanzministerin Österreichs, Maria Theresia Fekter. Das Europa Forum Luzern bietet eine einmalige Plattform, um mit Teilnehmern und Experten ins Gespräch zu kommen.
Weitere Referenten sind: Kathrin Amacker, Leiterin Kommunikation & Public Affairs, Mitglied der Konzernleitung, SBB; Hans-Georg Bächtold, Generalsekretär, SIA; Anton Affentranger, CEO, Implenia; Lino Guzzella, Rektor und Professor für Thermotronik, ETH Zürich; Rudolf Dieterle, Direktor, Bundesamt für Strassen ASTRA; David J. Haines, Vorstandsvorsitzender, Grohe; Thomas Helbling, Division Chief, World Economic Studies Division, International Monetary Fund IMF; Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, Staatssekretärin, Direktorin SECO; Christoph Mäder, Mitglied der Geschäftsleitung, Syngenta; Hans Björn Püttgen, Professor und ehem. Leiter des Energiezentrums der ETH Lausanne; Frank R. Ruepp, Präsident, IG Energieintensive Branchen; CEO und Vorsitzender der Gruppenleitung, vonRoll infratec; Walter Steinmann, Direktor, Bundesamt für Energie; Hans Schweickardt, VR-Präsident, Alpiq; Guillermo Valles Galmés, Director for International Trade in Goods and Services and Commodities, UNCTAD

Veranstaltungsinformationen
26. internat. Europa Forum Luzern
Montag, 26. Mai 2014, KKL Luzern
Wachstum – Chancen und Risiken
Weitere Infos und Anmeldung: www.europa-forum-luzern.ch
Symposium: 12 bis 18 Uhr inkl. Lunch und Networking-Apéro,
Eintritt CHF 290.- / 90.- (Studenten),
Öffentliche Veranstaltung: 18.45 Uhr bis 20.40  (Eintritt frei – Anmeldung erforderlich)

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