Jean-Daniel Laffely, CEO Vaudoise Versicherungen, im Interview

Jean-Daniel Laffely, CEO Vaudoise Versicherungen, im Interview
Jean-Daniel Laffely, CEO Vaudoise Versicherungen. (Foto: Vaudoise)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Laffely, wie blicken Sie auf das Geschäftsjahr 2022 zurück?

Jean-Daniel Laffely: Trotz der geopolitischen Spannungen, der Energiekrise, der Rezession, der Baisse der Aktien und der sinkenden festverzinslichen Anlagen konnte die Gruppe Vaudoise Versicherungen 2022 ein gutes Wachstum verzeichnen.

Die wirtschaftlichen Folgen der geopolitischen Instabilität waren und sind enorm. Welche Auswirkungen hat die Inflation auf Ihr Geschäft und die Prämienentwicklung?

Zurzeit beobachten wir höhere Reparaturkosten, etwa bei Schadenfällen an Fahrzeugen. So erwarten wir höhere Prämien bei den Autoversicherungen. Auch wir mussten die Prämien für einen grossen Teil unserer Verträge im Jahr 2023 an die Inflation von 2022 anpassen.

Auch im Bereich der kollektiven Krankentaggeldversicherung wird es Prämienanpassungen geben. Allgemein gilt: Die Entwicklung der Prämien verhält sich proportional zu den Lohnerhöhungen. Und höhere Prämien bedeuten letztlich höhere Schäden. In der Krankentaggeld-Versicherung sind Leistungen und Prämien an das Lohnniveau gekoppelt. Insofern findet eine Anpassung an die Inflation, sofern dies auch die Lohnerhöhungen betrifft, automatisch statt und bleibt somit neutral für die Versicherung.

Inwieweit wirken sich die Leitzinserhöhungen der Nationalbank aus? Was passiert mit den Kapitalanlagen bei steigenden Zinsen?

Die Leitzinserhöhung der Nationalbank – und somit die Rückkehr zu einem Zinsniveau mit positiven Vorzeichen – ist grundsätzlich eine positive Entwicklung für die Versicherungsbranche und die Altersvorsorge im Allgemeinen, da das Sparen wieder attraktiver wird. Die Kapitalanalgen der Vaudoise sind stark an einem Asset-Liabilities-Matching ausgerichtet, wodurch die Auswirkungen auf die Solvabilität eher gering ausfallen. Der Barwert unserer Verpflichtungen bewegt sich symmetrisch zu den Marktwerten der zinsabhängigen Aktiven. Somit sind unsere Verpflichtungen gegenüber den Versicherten gewährleistet.

Trotzdem sinken Marktwerte von Anlageklassen mit festverzinslichen Erträgen, wenn der Zins steigt. Dies kann in der Bilanz – je nach Bilanzierungsstandard – zu einer Reduktion der Eigenmittel führen. Für die Vaudoise ist dies weniger der Fall, da wir schon lange die sogenannte «Ammortized Cost»-Methode für die Bewertungen unserer Obligationen verwenden, was im Einklang mit einem Hold-to-Maturity-Ansatz ist. Kurzfristig sind allerdings auch für uns die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkter als zuvor, da momentan ein Verkauf einer Anleihe vor dem Fälligkeitsdatum in der Regel zu Buchverlusten führen wird. Es wird einige Jahre dauern, bis sich die Durchschnittsrendite durch den natürlichen Roll-over im Portfolio an das neue Zinsumfeld anpasst.

«Die Leitzinserhöhung der Nationalbank – und somit die Rückkehr zu einem Zinsniveau mit positiven Vorzeichen – ist grundsätzlich eine positive Entwicklung für die Versicherungsbranche und die Altersvorsorge im Allgemeinen, da das Sparen wieder attraktiver wird.»
Jean-Daniel Laffely, CEO Vaudoise Versicherungen

Energiekrise und die Gefahr von Strommangellagen dominieren seit Monaten die Schlagzeilen. Welchen Einfluss hat die Energiekrise auf die Geschäftsbereiche der Vaudoise?

Zum Glück scheint das Risiko einer Strommangellage dieses Jahr etwas geringer. Die Gruppe Vaudoise Versicherungen hält sich an die Empfehlungen des Bundes zum Energiesparen und hat Massnahmen getroffen, um den Stromverbrauch zu senken. Die Geschäftsleitung hat ausserdem eine Taskforce eingesetzt und die verschiedenen Geschäftsbereiche gebeten, Überlegungen zum Business Continuity Management (BCM) anzustellen, um vorbereitende und zu treffende Massnahmen zu bestimmen, um die Kontinuität der Tätigkeiten sicherzustellen, sollte die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (OSTRAL) bei einer Strommangellage Sparmassnahmen anordnen.

Was die Versicherung angeht, ist festzuhalten, dass eine Strommangellage grundsätzlich nicht versicherbar ist. Da die Stromabschaltung in der Regel von den Behörden verordnet wird, stellt sie kein versicherbares Risiko dar. Bei einem plötzlich auftretenden Stromausfall (Blackout) ist die Situation anders, da er unvorhersehbar, zeitlich und räumlich begrenzt ist. Es ist daher wichtig, die Umstände von Fall zu Fall zu prüfen.

Trotz all der Herausforderungen sind Sie für die Zukunft positiv gestimmt. An welchen Faktoren machen Sie diesen Optimismus fest?

Trotz der negativen externen Faktoren ist das Wachstum unserer Gruppe seit über einem Jahrzehnt erfreulich. Mittelfristig sind die steigenden Zinssätze eher positiv für unsere Branche, auch wenn sich das kurzfristig negativ auf die Ergebnisse der Versicherer auswirken kann.

Auch im Bereich der digitalen Transformation läuft viel. Wir stehen vor vielen Herausforderungen, aber ich bin vom grossen Entwicklungspotenzial in diesem Bereich überzeugt. Andererseits haben wir dank unserer genossenschaftlichen Struktur und der Gewinnweitergabe an unsere Kundinnen und Kunden eine beneidenswerte Position.

Last but not least: unsere starke Kapitalisierung und Risikofähigkeit, trotz des Rückgangs der Märkte im Jahr 2022, gemessen an unserem Geschäftsvolumen.

«Auch in den kommenden Jahren möchten wir mindestens 1,5 % über dem Markt wachsen. Als Schwerpunktregionen haben wir die Region Aargau, die Grossregion Zürich, die Region Ostschweiz und die Region im Berner Seeland im Blickfeld.»

Die Vaudoise hat im vergangenen Jahr neue Agenturen in der Deutschschweiz eröffnet. Welche Regionen stehen im Fokus und wie stark wirkt sich die höhere Präsenz im deutschsprachigen Raum bereits auf das Wachstum aus?

Neben den genossenschaftlichen Werten ist es die Kundennähe, die die Vaudoise ausmacht. Während in der Branche die Zentralisierung auf einzelne Standorte in grossen Schritten vorangetrieben wird, hält die Vaudoise an ihrem Agenturmodell fest. Wir betreiben landesweit mehr als 100 Agenturen und setzen somit auf Präsenz vor Ort. Ein weiterer Ausbau neuer Standorte wird laufend geprüft, haben wir doch im Jahr 2022 die Standorte Limmattal (Dietikon) und Arbon (Thurgau) neu eröffnet.

Für das Jahr 2023 sind Neueröffnungen in Dübendorf/Wallisellen und Grenchen geplant, zudem bauen wir unsere Präsenz in Kreuzlingen aus (neuer Standort mit zusätzlichen Mitarbeitenden). Einzigartig ist dabei, dass im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern, die einzelnen Niederlassungen nicht nur als Beratungsstelle fungieren, sondern auch Schäden abwickeln. Kundinnen und Kunden können einen Schaden direkt in der Agentur melden und sie leitet alles Weitere ein. Somit hat der Kunde, egal über welchen Kanal, immer eine lokale Ansprechperson, die für ihn die nötigen Schritte koordiniert.

Im ersten Halbjahr 2022 konnte über alle Kanäle bei den gebuchten Prämien in der Deutschschweiz ein Wachstum von 10,6 % verzeichnet werden, was wiederum die Entwicklungsstrategie der Gruppe in dieser Region bestätigt.

Auch in den kommenden Jahren möchten wir mindestens 1,5 % über dem Markt wachsen. Als Schwerpunktregionen haben wir die Region Aargau, die Grossregion Zürich, die Region Ostschweiz und die Region im Berner Seeland im Blickfeld.

Sie haben die Digitalisierung angesprochen. Das Thema digitale Transformation ist auch in der Versicherungswirtschaft allgegenwärtig. Wie weit hilft sie der Vaudoise bei der Vereinfachung von Prozessen, Dienstleistungen und Produkten?

Die digitale Transformation ist für unseren Sektor von zentraler Bedeutung und hilft uns dabei, unsere Prozesse zu überprüfen und zu vereinfachen. Wir sind derzeit dabei, unser Kundenerlebnis zu verbessern, z. B. mit der Online-Zeichnung ohne Unterschrift. Auch die verschiedenen Elemente rund um den Kunden-Self-Service werden wir ausbauen. Unsere Produkte sind gut gemacht, aber noch zu komplex, wir wollen sie vereinfachen und modulweise zusammenstellbar machen. Da ist noch einiges an Luft nach oben.

«Unsere digitalen Produkte sind gut gemacht, aber noch zu komplex, wir wollen sie vereinfachen und modulweise zusammenstellbar machen. Da ist noch einiges an Luft nach oben.»

Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt der Vaudoise?

Wir haben und leben eine Omnikanal-Strategie, wobei unsere Kundinnen und Kunden selbst entscheiden, wie sie mit der Vaudoise in Kontakt treten möchten, egal ob telefonisch, per E-Mail, im Chat oder persönlich. Die Datenbank ist dieselbe. Dank der Digitalisierung können wir unsere Kundinnen und Kunden besser begleiten und unterstützen.

Die technischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch persönlichen Auswirkungen dieser Transformation sind enorm. Wie nehmen Sie diese Veränderungen wahr?

Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Für unsere Gruppe ist am wichtigsten, unsere Kundenbeziehungen aufrechtzuerhalten. Ziel unserer digitalen Transformation ist es, dem Kunden die Wahl seines Kommunikationsmittels zu ermöglichen, aber systematisch kümmert sich ein Berater oder ein Partner um die Betreuung unserer Kundinnen und Kunden. Wir verfolgen die Entwicklung der Technologien im Sektor bezüglich all jener Elemente, die zu mehr Effizienz der Prozesse, zu einer besseren Risikoeinschätzung der Produkte sowie zu einer besseren Einschätzung der zu zahlenden Leistungen führen können.

Die Vaudoise setzt wie andere Versicherungen auf Ökosysteme, z.B. in den Bereichen KMU, Hypotheken oder Gesundheit. Wie entwickeln sich diese Ökosysteme?

Der Vaudoise Ansatz zu den sogenannten Ökosystemen ist partizipativ und flexibel. Im KMU-Bereich arbeiten wir mit Klara.ch zusammen und versuchen mit anderen Parteien Mehrwert für die Kunden aber auch für alle Klara-Partner zu schaffen – dies braucht Zeit. Soeben haben wir in NewCo investiert, ein in Lausanne basiertes Scale-up-Unternehmen, das Firmengründungen digital unterstützt – hier gibt es Synergien zu unserem Versicherungsvertrieb. Im Hypothekenbereich kommen wir mit unserer Kooperation mit Valiant gut voran und auch die Hypothekenplattform Credit Exchange, welche wir mit drei anderen Parteien teilen, entwickelt sich in die richtige Richtung.

Im Bereich Gesundheit sind wir in kleinen Schritten unterwegs, so unterstützen wir die «The Future of Health Grant»-Initiative an der EPFL oder haben unsere Case- und Care-Managementgesellschaft «Corporate Health Services» verselbstständigt und für Drittparteien geöffnet.
Insgesamt sind wir mit dem Fortschritt zufrieden, sind uns aber bewusst, dass solche Initiativen mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

«Wir arbeiten daran, unsere Fahrzeugversicherungsprodukte zu modernisieren.»

Ein wichtiges Thema für Sie ist auch die Mobilität. Wie schätzen Sie dieses Segment ein und welche neuen Geschäftsmodelle sehen Sie durch die sich verändernde Mobilität?

Als anerkannter und attraktiver Versicherungspartner in allen Schadenversicherungen, auch im Segment Fahrzeuge, bedient die Vaudoise heute nur einen Teil der Mobilität. Wir arbeiten daran, unsere Fahrzeugversicherungsprodukte zu modernisieren und nutzen zum Beispiel seit 2012 Telematik, um das Kundenverhalten besser zu verstehen und ein vorteilhaftes Kundenverhalten zu honorieren. Zudem arbeiten wir an Projekten zur sogenannten multimodalen Mobilität, wo wir auch in Ressourcen investieren, um das Kundensegment zu verstehen, das sich bewusst entscheidet, auf ein Fahrzeug zu verzichten. Wir sind überzeugt, dass die Vaudoise sich ihre Angebote an das sich ändernde Kundenverhalten in Bezug auf die Mobilität anpassen kann und auch wird, um auch langfristig eine Rolle als sicherer Begleiter spielen wird.

Herr Laffely, besten Dank für das Interview.

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