Klaus Schollmeier, CEO Santhera

Klaus Schollmeier, CEO Santhera

Klaus Schollmeier, CEO Santhera.

Von Bob Buchheit.

Moneycab: Herr Schollmeier, nachdem Catena in Canada zugelassen wurde, waren die Hoffnungen gross. Zumal das Medikament nicht nur in der seltenen Krankheit Friedreich-Ataxie, sondern noch gegen vier andere Krankheiten wirken könnte. Wo gibt es für Catena noch realistische Chancen?

Klaus Schollmeier: Catena war und ist nach wie vor unser wichtigstes Produkt in der Pipeline. Unsere Strategie ist es, eine möglichst breite Pipeline aufzubauen mittels Entwicklung unserer Medikamente in mehreren, voneinander unabhängigen Indikationen oder mittels Einlizenzierungen. Die grössten kurzfristigen Chancen für Catena sehe ich heute in einer sehr seltenen Augenerkrankung namens Leber hereditäre Optikusneuropathie, kurz LHON. Gerade haben wir in Genf an einem der wichtigsten opthalmologischen Konferenzen Tierdaten gezeigt, welche die Wirkungsweise von Catena in LHON und somit unsere klinischen Ergebnisse stützen. Hier werden wir in Kürze die Marktzulassung in Europa beantragen. Mit dem Entscheid der Europäischen Arzneimittelbehörde rechnen wir im Sommer 2012. Daneben läuft unsere Zulassungstudie in Duchenne-Muskeldystrophie.

«Generell werden seit einigen Jahren Rückschläge in der klinischen Entwicklung, wie wir sie zweimal hatten, von der Börse übermässig hart abgestraft, während Erfolge, wie wir sie auch mehrfach hatten, nur wenig honoriert werden.» Klaus Schollmeier, CEO Santhera

Wir haben es bei der Einstiegsfrage gemerkt: Die Krankheiten, auf die sich Santhera einschiesst, kennt kein normaler Sterblicher. Wenn auf der ganzen Welt im Gesundheitswesen gespart wird, wie will Santhera mit der Bekämpfung seltener Krankheiten da Geld verdienen?

Es gibt viele Firmen, die sich auf seltene Krankheiten spezialisieren und damit sehr gut verdienen, ich will hier nur Genzyme oder Actelion erwähnen. Der medizinische Bedarf ist bei seltenen Krankheiten in der Regel höher weil es, anders als in den weit verbreiteten Krankheiten, in den meisten Fällen keine Behandlungsmethoden gibt. Gesundheitsbehörden anerkennen die höheren Entwicklungsrisiken und fördern die Forschung mit Anreizen wie Marktexklusivität usw. Schliesslich sind Krankenkassen bereit, einen fairen Preis für Innovationen auf dem Gebiet seltener Krankheiten zu zahlen, zumal eine Kasse selten von mehr als einigen Fällen betroffen ist, anders als beispielsweise bei Bluthochdruck.

Wie entwickeln uns schleichend zur Zweiklassenmedizin: Gesundheitsökonomen meinen, dass sich Reiche mehr Gesundheit leisten können als Kassenpatienten. Wäre der Selbstzahler vielleicht einmal der Zielkunde der guten Medikamente von Santhera?

Wir reden hier nicht von Volkskrankheiten. Bei seltenen Krankheiten geht es zuerst einmal darum, dass Patienten überhaupt eine Therapiemöglichkeit für ihre schwere Erkrankung haben. Das hat weder mit arm noch reich zu tun.

«Die grössten kurzfristigen Chancen für Catena sehe ich heute in einer sehr seltenen Augenerkrankung namens Leber hereditäre Optikusneuropathie, kurz LHON.»

Sie sagten selbst in einem Interview, das 9 von 10 Medikamentenkandidaten in den klinischen Studien scheitern. Schrecken Sie mit solchen Aussagen nicht ihre Aktionäre auf? Santhera hat insgesamt sieben Kandidaten in der Pipeline. Das sieht doch nach einer Hängepartie aus, oder?

Der genannte Wert ist eine statistische Kennziffer, die direkt nichts mit unserer Pipeline zu tun hat. Dieser Erfahrungswert zeigt die Risiken auf, die heute in der Medikamentenentwicklung inhärent sind und für die Grossen in der Pharmaindustrie genauso gelten wie für die Kleinen. Deshalb können auch die Kosten für vermarktete Medikamente hoch sein. Damit müssen nicht nur die direkten Kosten, sondern auch die relativ hohen Ausfallrisiken gedeckt werden, sonst wäre die Erforschung neuer Behandlungsmethoden generell nicht finanzierbar. Wir haben dies unseren Aktionären oder sonst in der Öffentlichkeit nie anders dargelegt. Investitionen in unsere Branche sind mit einem entsprechenden Risiko verbunden aber auch mit dem Upside im Erfolgsfall.

Santhera-Aktionäre mussten in den letzten Jahren leiden. Seit dem Börsengang hat sich der Kurs gezehntelt. Santhera wird sogar unter dem Buchwert gehandelt. Eigentlich ein Argument für den Einstieg.

Unser Aktienkurs hat aus mehreren Gründen gelitten. Generell werden seit einigen Jahren Rückschläge in der klinischen Entwicklung, wie wir sie zweimal hatten, von der Börse übermässig hart abgestraft, während Erfolge, wie wir sie auch mehrfach hatten, nur wenig honoriert werden. Die allgemeine Finanzkrise der letzten Jahre hat zudem auch da ihre dazu getan, dass generell viel weniger finanzielle Mittel für die Biotechbranche bereitstehen.

Da Santhera mit einer Marktkapitalisierung von 30 Millionen Franken um die Hälfte günstiger zu haben ist als der Wert seines Betriebsvermögens, könnte Ihr Unternehmen ja Ziel einer Übernahme sein? Mit der japanischen Takeda haben Sie ja bereits einen der Grossen der Pharmabranche als Partner.

Wir sind gegenüber solchen strategischen Überlegungen grundsätzlich offen, wollen hier jedoch nicht über das Wie oder mögliche Partner spekulieren.

Sie suchen selbst nicht nur Entwicklungs- und Vertriebspartner für Ihre eigene Pipeline, sondern würden auch gerne Produkte für Ihr bestehendes nordamerikanisches Verkaufsteam einlizensieren. Gibt es da schon vielversprechende Kontakte?

Spruchreif sind solche Gespräche erst, wenn ein Vertrag beidseitig unterschrieben ist.

Wie kommt es, dass Santhera so fokussiert auf die Gegend um Boston und Montréal ist?

Québéc ist die Provinz mit den meisten Friedreich-Ataxie-Patienten. Boston ist ein Hotspot der Biotech-Industrie in USA und dort konnten wir die richtigen Mitarbeiter rekrutieren, um ein kleines Team aufzubauen, das einerseits die Marketingaktivitäten in Kanada steuert und unsere klinischen Entwicklungsaktivitäten in Nordamerika unterstützt.

Ist speziell der US-Markt bei aller Grösse nicht ein besonders gefährlicher? So manches Europäische Unternehmen hat sich die Finger verbrannt.

Seltene neuromuskuläre Krankheiten werden nicht von unzähligen Hausärzten behandelt, sondern von Spezialisten an einigen wenigen Dutzend Universitätsspitälern. Um unsere Medikamente vertreiben zu können, müssten wir also kein Heer an Ärztebesuchern aufbauen. Für Kanada beispielsweise benötigen wir gerademal zwei Personen. Nach nur zwei Jahren hatten wir beinahe alle Friedreich-Ataxie-Patienten in unserem Programm, für die aufgrund unserer bedingten Zulassung Versicherungsdeckung vorhanden war, weil diese eben an wenigen Spezialkliniken behandelt werden.

Wie viele Biotech-Unternehmen mussten Sie rund ein Drittel Ihres Personals entlassen, um die Geldverbrennungsrate herunterzufahren. Wie kann man die Leute in so einer Situation motivieren?

Auch wenn das 2009 ein ganz schwerer Schritt war, die meisten unserer Mitarbeiter haben den Entscheid letztendlich verstanden. Wir mussten uns auf die kurzfristigen Werttreiber konzentrieren und haben deshalb die Forschung im Labor auf ein Minimum reduziert.

«Es gibt viele Firmen, die sich auf seltene Krankheiten spezialisieren und damit sehr gut verdienen.»

Im Moment generieren Sie mehr Geld über Lizenzvergaben als durch Produktverkäufe. Ziel ist sicher das Gegenteil, oder?

Jungen Biotechfirmen bieten sich nur zwei Möglichkeiten zur Finanzierung: über die klassischen Finanzierungsmethoden wie eine Kapitalerhöhung – oder durch Lizenzeinnahmen. Wer ein integriertes Geschäftsmodell verfolgt und die Eigenentwicklungen auch selber vermarkten will, strebt natürlich nachhaltige Produktumsätze an.

Wann dürften Sie mehr Umsatz durch Medikamentenverkäufe erzielen als durch «Outlicensing»?

Wir haben uns noch nicht entschieden, ob wir Catena in LHON in Europa selber vertreiben wollen. Falls wir das tun würden, und natürlich unter der Voraussetzung eines positiven Zulassungsentscheides im kommenden Jahr, könnten wir sehr schnell sehr hohe Umsätze generieren.

Die Ares Life Sciences Beteiligungsgesellschaft hält ein knappes Sechstel der Santhera-Aktiens. Treffen Sie Ernesto Bertarelli von Zeit zu Zeit?

Wir haben regelmässigen Kontakt mit Ares Life Sciences. Der Kontakt ist jedoch nicht häufiger als mit anderen grossen Aktionären.

Der Gesprächspartner:
Klaus Schollmeier ist seit Gründung der Santhera im Jahr 2004 Chief Executive Officer. Vor seinem Wechsel in die Biotechbranche leitete er die Healthcare-Gruppe der ING-BHF-Bank. Davor war er 16 Jahre lang in Forschungs- und Managementfunktionen in der Pharmaindustrie bei BASF, Knoll und Abbott tätig.

Zum Unternehmen:
Santhera Pharmaceuticals ist auf die Entwicklung und die Vermarktung innovativer Medikamente zur Behandlung seltener neuromuskulärer und neurodegenerativer Krankheiten fokussiert. Das erste Produkt Catena® ist in Kanada zur Behandlung der Friedreich-Ataxie zugelassen, sechs weitere befinden sich in der klinischen Prüfung.


Symbolbild KF für CEO Interviews

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert