Martin Barth, CEO World Tourism Forum Lucerne, im Interview

Martin Barth, CEO World Tourism Forum Lucerne, im Interview
Martin Barth, CEO World Tourism Forum Lucerne (Bild: zVg)

Von Helmuth Fuchs

Das World Tourism Forum Lucerne ist eine Plattform zur Förderung des weltweiten Tourismus. Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe?

Martin Barth: Seit dem ersten Forum im Verkehrshaus Luzern im Jahr 2009 positionieren wir uns als internationale Plattform. Dabei beziehen wir neben der Tourismusbranche auch die Politik, die Wirtschafts- und Finanzwelt sowie die Wissenschaft in die Diskussion ein. Unser Kredo lautet «bridging the silos» – die Vernetzung der Industrien ist dabei unumgänglich. Selbst innerhalb der Tourismusindustrie achten wir darauf, dass alle Sektoren involviert werden: Airlines, Reedereien, Destinationen, Hotellerie und Tour Operators. Teil dieser Vernetzung ist auch das Zusammenbringen der verschiedenen Generationen: CEOs werden ebenso involviert wie die Nachwuchskräfte der «Next Generation».

«Unser Kredo lautet «bridging the silos» – die Vernetzung der Industrien ist dabei unumgänglich.» Martin Barth, CEO World Tourism Forum Lucerne

Weltweit zunehmende nationalistische Tendenzen, der Klimawandel, der eigentlich zu weniger touristischen Bewegungen Anlass sein sollte, in welchem Bereich sehen Sie generell den grössten Handlungsbedarf für den Tourismus?

Im Bereich der Digitalisierung gibt es sicherlich noch viele Möglichkeiten und Chancen für den Tourismus. Diese müssen nun auch entsprechend genutzt werden. Themen, die uns sicherlich auch in Zukunft beschäftigen werden, ist die Suche nach den richtigen Talenten und echten Innovationen. Wir müssen uns immer eine zentrale Frage stellen: Wie kann ich garantieren, in der heutigen Konkurrenzsituation bedeutend zu bleiben? Dabei ist es wichtig, alte Pfade zu verlassen und sich von überholten Strukturen zu lösen. Es müssen neue Synergien, Modelle, Konzepte und Formen von Reisen entwickelt werden.

Das World Tourismus Forum Lucerne findet dieses Jahr zum 5. Mal statt. Wie hat sich die Ausrichtung des Forums verändert und welches sind die wichtigsten Erkenntnisse/Errungenschaften/Resultate der vergangenen Jahre?

Das Forum ist kontinuierlich gewachsen und hat sich zu einer Plattform mit verschiedenen Anlässen im In- und Ausland entwickelt. Dazu wurden ganz selektiv Side-Events entwickelt, z.B. in Schanghai, Brasilien oder Aserbaidschan. Gerade im Falle von Aserbaidschan wird deutlich, dass wir uns nicht nur auf renommierte Reiseländer konzentrieren, sondern vor allem auch die sogenannten «emerging destinations» mit einbeziehen. Aserbaidschan war das Gastland 2015, Austragungsort des «WTFL Think Tank» in 2016 und spielt am kommenden Forum im Mai ebenfalls wieder eine Rolle.

«Durch unsere Bestrebungen im Bereich der Start-ups – dieses Jahr findet erstmals das «Start-Up Innovation Camp» statt – fördern wir aktiv die Weiterentwicklung unserer Branche.»

Durch unsere Bestrebungen im Bereich der Start-ups – dieses Jahr findet erstmals das «Start-Up Innovation Camp» statt – fördern wir aktiv die Weiterentwicklung unserer Branche. Verschiedene Start-up-Unternehmen, die in den vergangenen Jahren am Forum teilnahmen, fanden dort einen Investor und nutzten damit das WTFL als Sprungbrett.

Das Thema des diesjährigen Forums lautet «Stay relevant in uncertain times!». Die geopolitische Situation ist derzeit sehr fragil und steht vor fundamentalen Problemen. Wie viel Sinn macht es da, über die Relevanz des Tourismus’ zu diskutieren?

Es macht absolut Sinn. Gerade in unsicheren Zeiten einer sich schnell verändernden Welt müssen wir uns die Frage stellen, wie wir als Organisation, Destination, Unternehmen oder sogar Land bedeutend bleiben können. Das gilt nicht nur für die Tourismusbranche, sondern für sämtliche Industrien. Generell muss Tourismus in einem grösseren Rahmen betrachtet und mit all seinen Vernetzungen in einen internationalen Kontext gestellt werden. Tourismus ist mehr als nur Sonne und Spass am Strand.

Der Schweizer Tourismus leidet unter dem starken Schweizer Franken, dessen Kurs sich gegenüber dem Euro bei 1.10 stabilisiert hat. Wie wirkt sich das auf den Tourismus aus und mit welchen Massnahmen können die Einflüsse der Währung kompensiert werden?

Der Tourismus gilt als Schlüsselbranche für ein grosses Gebiet in der Schweiz – dies schreibt der Schweizer Tourismus-Verband (STV) in einem Positionspapier zur aktuellen Situation. Steckt der Tourismus in der Krise, leidet die gesamte lokale Wirtschaft. In dieser Hinsicht ist in der Schweiz jedoch kein Einzelfall. Langfristig verschwinden Arbeitsplätze in sämtlichen Branchen, womit lokale Volkswirtschaften ernsthaft gefährdet sind. Leider ist es mit den bisherigen Anstrengungen noch nicht gelungen, dem alpinen Tourismus Erleichterung von der anhaltenden Frankenstärke zu verschaffen.

«Zentral ist, dass es nicht nur um den Bau von Infrastrukturen und den Verkauf von Betten geht, sondern um eine langfristige Tourismusstrategie.»

Zentral ist, dass es nicht nur um den Bau von Infrastrukturen und den Verkauf von Betten geht, sondern um eine langfristige Tourismusstrategie. Beispielsweise wäre ich ein Befürworter von Olympischen Winterspielen in der Schweiz gewesen. Zwar hätte man für diese finanziell ans Limit gehen müssen, dafür hätten sie jedoch als guter Entwicklungstreiber dienen können.

Welche Beispiele von innovativem Umgang mit den fordernden Rahmenbedingungen gibt es, die für andere als Blaupause dienen könnten?

Ein Rezept haben wir nicht, wir funktionieren mehr als Katalysator. Wir zeigen die Veränderungen auf und machen deutlich, dass die Welt heute vernetzter, komplexer und technologischer ist als früher. Gleichzeitig sind wir bestrebt, mit den richtigen Produkten, Namen und Themen neue Ansätze zu entwickeln und die heutige Situation stets zu hinterfragen. Nur so kann Neues und Besseres entstehen. Es geht darum, offen zu sein und über den Zaun des eigenen Gartens hinauszublicken. Man darf sich nicht zu schade sein, sich an anderen Branchen zu orientieren und zu analysieren, wie diese den Weg aus schwierigen Situationen gefunden haben – z.B. die Mode- oder Automobilbranche. Wir popagieren diesbezüglich den Leitspruch «Learn from other industries – learn from the best».

Wie weit deckt sich Ihr Lösungsansatz mit dem von Schweiz Tourismus bzw. dem Schweizer Tourismus-Verband?

Massnahmen wie Investitionen in die Vermarktung oder die Kostensenkung, z.B. die Befreiung der Pistenfahrzeuge von der Mineralölsteuer, können zwar kurzfristig zu einer Problemlinderung führen, jedoch werden damit die Probleme langfristig nicht gelöst. Hinzu kommt, dass der Schweizer Tourismus noch immer kleinteilig strukturiert ist. Innerhalb kleiner Betriebe sind Weiterbildung und Weiterentwicklung jedoch nur bedingt möglich.

Nun fordert der STV eine departementsübergreifende Koordination für den Schweizer Tourismus. Ein Ausschuss des Bundesrates – die Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation und des Finanzdepartements – solle sich des Tourismus als Querschnittsbranche annehmen. Diese Vernetzung entspricht genau der Denkweise des World Tourism Forum Lucerne: «bridging the silos».

Wie können Entwicklungsländer nachhaltig vom Tourismus profitieren und wie könnte sich Tourismusförderung aufs Bruttoinlandprodukt dieser Länder auswirken?

Nehmen wir Brasilien als Beispiel: Weltweit steigt die Zahl der Touristen jährlich um bis zu 7 Prozent. In Brasilien – einem Land mit rund 200 Millionen Einwohnern – reisen seit rund 15 Jahren jedes Jahr zwischen 5 und 5,8 Millionen Touristen ein. Über die Hälfte davon stammt aus Argentinien. Durch eine gezielte Tourismusförderung könnten die Einreisezahlen deutlich angekurbelt, das Bruttoinlandprodukt um 75 Milliarden Dollar gesteigert und rund 8 Millionen neue Arbeitsstellen geschaffen werden. Das wirkt auch der Armut eines Landes entgegen. Gerade im Tourismus können viele Ebenen davon profitieren: vom Guide über den Eisverkäufer bis hin zu Reiseveranstaltern und -verkäufern.

«Die Tourismusbranche kann alleine zu wenig ausrichten – das wurde lange genug versucht. Es braucht auch Ökonomen, Leute aus der Finanzbranche, Politiker und Akademiker.»

Das World Tourism Forum Lucerne wird 2018 erstmals ein Forum in China durchführen. Was sind die Gründe dafür, welche Erwartungen haben Sie?

Wir haben uns entschieden, vom heutigen Zweijahres-Rhythmus zu einem Einjahres-Rhythmus zu wechseln, um unsere Positionierung weiter zu festigen und unser Profil zu schärfen. Nach dem Besuch einer chinesischen Delegation am Forum 2013 kam es zu intensiven und wiederholten Gesprächen in der Schweiz und in China bezüglich eines Forums in China. China ist ein wachsender Markt und bietet als Austragungsort die Chance, neue Kreise von Leuten anzusprechen und zu involvieren. Dabei soll nicht das Forum in Luzern kopiert werden, sondern eine Plattform mit eigenem Profil nach unseren Werten und der bewährten WTFL-Strategie aufzubauen.

Im Tourismus wird viel von Nachhaltigkeit gesprochen, wobei damit meist ökologische Aspekte gemeint sind. Wie steht es um die soziale oder auch ökonomische Nachhaltigkeit?

Das ist richtig. Aus diesem Grund involvieren wir nicht nur Touristiker, sondern auch die Politik und die Wirtschaft sowie vor allem auch das Bildungswesen in die Diskussion. Durch diese Vernetzung kann Tourismus auch im sozialen Bereich einen Beitrag zur Verbesserung leisten: Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften, Schaffung von Arbeitsplätzen und letztlich die Minimierung der Armut.

Braucht es in einer Welt, die von wirtschaftlichen Interessen dominiert ist, vielleicht eher Ökonomen und weniger Touristiker, um als Land und Reisedestination «relevant» zu bleiben bzw. zu werden?

Die Tourismusbranche kann alleine zu wenig ausrichten – das wurde lange genug versucht. Es braucht auch Ökonomen, Leute aus der Finanzbranche, Politiker und Akademiker. Jeder kann seinen Teil dazu beitragen. Jeder kann vom andern lernen und profitieren.

Es wird heute allerorts von Innovation gesprochen – auch im Tourismus und am WTFL. Wo bietet der Tourismus echte Innovationen und Lösungskonzepte für dringende Probleme?

Bei Innovation geht es meistens um technologische Neuerungen und neue Produkte. Was wir benötigen, ist Effizienz. Es ist unausweichlich, dass morgen noch mehr gereist wird als heute – gerade im Hinblick auf asiatische Märkte. Dann sprechen wir von Hunderten Millionen. Reisen muss deshalb effizienter und die Touristenströme gleichmässiger auf der Welt verteilt werden. Daran arbeiten wir.

Auf welchen Keynote Speaker freuen Sie sich persönlich am meisten und weshalb?

Sehr gespannt bin ich auf Auftritt von Bestseller-Autor Simon Anholt. Er ist ein weltweit bekannter national idendity Experte und bekannt dafür, dass er Klartext spricht. Selbstverständlich freue ich mich aus sehr, das Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann im Rahmen der Opening Session zu den Teilnehmern sprechen wird.

Zum Schluss des Interviews haben Sie noch zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Ich wünsche mir, dass die Teilnehmer nach dem Forum inspiriert nach Hause gehen und Tourismus in einem breiteren Kontext sehen. Zudem sollte Tourismus in der Welt einen bedeutenderen Stellenwert erhalten. Schliesslich handelt es sich um eine der am schnellsten wachsenden Branchen mit viel Potenzial.

Der Gesprächspartner:
Martin Barth ist Präsident und CEO des World Tourism Forum Lucerne sowie Dozent, Projekt- und Kursleiter am Institut für Tourismuswirtschaft der Hochschule Luzern. In seiner Laufbahn war er unter anderem als Generalsekretär bei den Mövenpick-Unternehmungen, als Tourismusdirektor in Graubünden sowie als Rechtsanwalt in einer Zürcher Anwaltskanzlei tätig.

Zum World Tourism Forum Lucerne:
Als interdisziplinäre Plattform bietet das World Tourism Forum Lucerne mit seinen alternierend stattfindenden Veranstaltungen in Luzern und ab 2018 in China Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Finanzwelt jedes Jahr einen Überblick über aktuelle Themen und Trends der Tourismusindustrie. Es ist die einzige internationale Plattform, die unter dem Titel Next Generation führende Entscheidungsträger mit aufstrebenden jungen Talenten zusammenbringt. Das World Tourism Forum Lucerne wird von einem internationalen Fachbeirat unter der Leitung von Reto Wittwer begleitet. Das 5. World Tourism Forum Lucerne in Luzern findet vom 4.–5. Mai 2017 statt. www.wtflucerne.org


Das Interview entstand mit Unterstützung von Travelcontent: www.travelcontent.com

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