René Kohler, Unit Head Contovista, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Herr Kohler, Sie haben im Mai 2023 die Führung von Contovista übernommen. Welche wichtigsten Änderungen oder Neuerungen haben Sie seither vorgenommen, und was waren die konkreten Ergebnisse davon?
René Kohler: Seit meinem Start im Mai 2023 haben wir Contovista strategisch und operativ neu ausgerichtet, mit klarer Fokussierung auf datengetriebenes Banking mit messbarem Kundennutzen. Wir haben unser Portfolio deutlich erweitert: Neben unseren etablierten AI Finance Management Lösungen mit Client Analytics kamen Features wie natürliche Sprachsuche, automatische Abo-Übersicht, intelligente Steuerabzüge und Multibanking für Retail hinzu. Unsere neueste Innovation ist der Smart Balance Optimizer, eine AI-basierte Lösung, die den optimalen Kontensaldo automatisch berechnet und Transfers proaktiv vorschlägt.
Parallel dazu haben wir die Organisation auf Innovation mit Agentic AI ausgerichtet, also AI-Systeme, die zunehmend selbstständig Aktionen ausführen und Entscheidungen vorbereiten können. Damit schaffen wir die Grundlage, um die Banken in eine neue Generation des datengetriebenen Kundenmanagements zu führen.
«Unsere neueste Innovation ist der Smart Balance Optimizer, eine AI-basierte Lösung, die den optimalen Kontensaldo automatisch berechnet und Transfers proaktiv vorschlägt.» René Kohler, CEO Contovista
Diese strategische Schärfung hat sich auch im Markt niedergeschlagen: Unsere Kundenbasis ist von rund 24 auf knapp 50 Banken gewachsen, und wir haben uns als integraler Partner im Finnova-Ökosystem positioniert – mit zunehmender Verankerung auch bei Drittanbietern und Banken ausserhalb der Finnova-Community.
Im aktuellen Sommer-Release 2025 stehen intelligente Automatisierung und bessere UX als weitere Schritte hin zu einem umfassenden Multibanking für Retailkunden im Zentrum. Welche Multibanking-Funktionen erbringen aus Ihrer Sicht den grössten Kundennutzen, welche Features werden am meisten genutzt?
Multibanking bedeutet weit mehr als Kontoaggregation. Der Mehrwert liegt in der Gesamtsicht über alle Finanzen, als Grundlage für intelligente Automatisierung, etwa beim Smart Balance Optimizer oder in smarten Liquiditätsübersichten. Kunden profitieren von Transparenz, durch Kontrolle und konkrete Handlungsempfehlungen. Für Banken eröffnet sich die Chance, näher am Kunden zu sein, proaktiv zu beraten und die Bindung nachhaltig zu stärken.
70% der Schweizer Retailbanken setzen laut einer HSLU-Studie KI bereits aktiv ein. Welche konkreten Geschäftsprozesse werden bei Contovista bereits heute durch Künstliche Intelligenz unterstützt, und welche messbaren Effizienzgewinne konnten Sie dadurch erzielen?
Für uns ist AI längst fester Bestandteil. Wir nutzen sie, um aus komplexen Transaktionen präzise, kontextbezogene Informationen zu generieren. Diese bilden die Basis für relevante Insights und zunehmend auch automatisierte Handlungsempfehlungen, etwa im Rahmen des Smart Balance Optimizers oder personalisierter Finanz-Coaching-Funktionen.
Durch höhere Automatisierung, schnellere Algorithmen und verbesserte Personalisierung erzielen wir spürbare Effizienzgewinne, bei Banken und Endkundinnen und Endkunden gleichermassen.
Welche neuen Technologien und Innovationen werden Ihrer Einschätzung nach den Schweizer Finanzplatz in den nächsten drei Jahren am fundamentalsten beeinflussen – über KI hinaus?
Wie eingangs bereits erwähnt, die nächste Entwicklungsstufe ist Agentic AI, also Systeme, die eigenständig Entscheidungen vorbereiten und Handlungen auslösen. Daneben sehen wir Predictive und Prescriptive Analytics, Explainable AI und Natural Language Interfaces als Schlüsseltechnologien.
Darüber hinaus sind Open Finance-Ökosysteme und digitale Trust-Layer zentral. Sie ermöglichen den sicheren Austausch von Daten zwischen Banken, Partnern und Kunden. Contovista positioniert sich hier als Brückenbauer zwischen AI-Innovation und realen Banking Use Cases, integriert in das Finance Ökosystem.
«Multibanking bedeutet weit mehr als Kontoaggregation. Der Mehrwert liegt in der Gesamtsicht über alle Finanzen, als Grundlage für intelligente Automatisierung, etwa beim Smart Balance Optimizer oder in smarten Liquiditätsübersichten.»
Sie haben kürzlich den Smart Balance Optimizer und natürliche Sprachsuche eingeführt. Welche konkreten Einsparungen oder neuen Geschäftsmöglichkeiten haben diese KI-Anwendungen bereits generiert?
Mit dem Smart Balance Optimizer und der Natural Language Search haben wir zwei Schlüsseltechnologien eingeführt, die data-driven Banking auf die nächste Stufe heben. Mit dem Smart Balance Optimizer sind wir einen wichtigen Schritt hin zum „Self-Driving Money“ gegangen. Er analysiert die individuelle Liquiditätssituation, schlägt Transfers vor und optimiert Zins- und Gebühreneffekte. Das steigert die Zufriedenheit, erhöht die Kundenbindung und eröffnet Banken neue Cross-Selling-Potenziale.
Die natürliche Sprachsuche senkt zudem die Eintrittsschwelle zur Nutzung komplexer Datenanalysen: Kundinnen können intuitiv mit ihren Finanzdaten ohne Fachbegriffe oder komplizierte Menüs interagieren, Das erhöht die Nutzungsfrequenz, reduziert Supportaufwände und verbessert die Beratungsqualität, weil relevante Informationen schneller und kontextbezogener verfügbar sind.
Wie schätzen Sie die Position der Schweiz beim datengetriebenen Banking im internationalen Vergleich ein? Sind die verschärften Datenschutzbestimmungen seit September 2023 eher Hemmschuh oder Wettbewerbsvorteil, und welche politischen oder rechtlichen Anpassungen wären nötig, um die Schweiz an die Spitze zu bringen?
Die Schweiz verfügt über eine ihrer grössten Stärken: Vertrauen. Strenge Datenschutzvorgaben erschweren zwar schnelle Innovationen, etwa beim Training von AI-Modellen. Gleichzeitig werden wir international als sicherer Datenhafen wahrgenommen. In Zeiten wachsender Unsicherheit ist das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Banken müssen entsprechend stärker in Compliance und Infrastruktur investieren, was Geschwindigkeit und Flexibilität bremst.
Angesichts der zunehmenden nationalistischen und isolationistischen Tendenzen in den USA: Wie schätzen Sie diese Entwicklung für den Schweizer Finanzplatz ein?
Der Schweizer Finanzplatz lebt von Offenheit, internationaler Vernetzung und Neutralität. Wenn sich Märkte fragmentieren, gewinnen neutrale Standorte wie die Schweiz an Attraktivität. Kunden suchen stabile, geopolitisch unabhängige Alternativen.
«Wir werden international als sicherer Datenhafen wahrgenommen. In Zeiten wachsender Unsicherheit ist das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Für Contovista bedeutet das, technologische und operationelle Unabhängigkeit gezielt zu stärken, auf offene Standards zu setzen und Vertrauen als zentrales Wertversprechen zu leben. Damit positionieren wir uns als verlässlicher Partner in einem zunehmend polarisierten Umfeld – lokal verwurzelt, international anschlussfähig.
Aus Ihrer Sicht der Branche: Welche Entwicklungen haben auf Seiten der Banken die grösste Dringlichkeit, und welche auf Seiten der Bankkunden? Wo sehen Sie die grössten Gaps zwischen Kundenerwartung und aktueller Realität im Schweizer Banking?
Auf Seiten der Banken liegt die grösste Dringlichkeit klar in der Modernisierung von IT und Prozessen. Nur so lassen sich datengetriebene Services überhaupt skalieren und automatisieren. Gleichzeitig müssen Banken lernen, Kundendaten intelligent und personalisiert einzusetzen – ohne dabei das wichtigste Kapital zu gefährden: das Vertrauen.
«Auf Seiten der Banken liegt die grösste Dringlichkeit klar in der Modernisierung von IT und Prozessen. Nur so lassen sich datengetriebene Services überhaupt skalieren und automatisieren.»
Kundenseitig dominieren drei Erwartungen: Personalisierung, Transparenz und Einfachheit. Kunden wollen eine nahtlose, digitale User Experience über alle Kanäle hinweg. Banking soll „seamless“ funktionieren, mit proaktiven Empfehlungen und intuitiver Steuerung statt Formularen und Wartezeiten. Der Gap liegt genau hier: Kunden erwarten digitale Convenience und individuelle Beratung, erleben aber oft Standardprodukte und langsame Prozesse. Fintechs und Kooperationen im Ökosystem sind daher unverzichtbar.
Welche aktuellen Projekte beschäftigen Sie als Unit Head am meisten? Können Sie uns Einblicke in Ihre Top-3-Prioritäten für die nächsten 12 Monate geben und erläutern, welche Ressourcen Sie dafür einsetzen?
Unsere Agenda für die kommenden 12 Monate ist klar auf Wachstum, Skalierbarkeit und Kundennutzen ausgerichtet.
Erstens treiben wir den Ausbau von Agentic AI und NextGen AI voran, also KI-Systeme, die eigenständig Entscheidungen vorbereiten und Aktionen im Kundenkontext auslösen können. Ziel ist es, datengetriebene Intelligenz vom Analyse- zum Handlungssystem zu entwickeln.
Zweitens erweitern wir das Multibanking-Angebot und integrieren es tiefer ins Finnova-Ökosystem. Damit schaffen wir nahtlose Übergänge zwischen verschiedenen Bankdienstleistungen und erhöhen den konkreten Mehrwert für die Bank – in Form von Kundenzufriedenheit, Effizienzgewinnen und neuen Umsatzquellen.
Drittens investieren wir gezielt in den Ausbau unseres Partnernetzwerks und die Expansion ausserhalb der Finnova-Community. Durch offene Schnittstellen und enge Zusammenarbeit im Ecosystem können wir neue Kundensegmente erschliessen und Innovationen schneller in den Markt bringen.
Unsere Ressourcen setzen wir dabei fokussiert ein: Investitionen in AI-Kompetenzen, Produktentwicklung und Partnerschaften stehen im Vordergrund. So schaffen wir die Basis, um Contovista als führenden Enabler für datengetriebenes Banking im DACH-Raum weiter zu etablieren.
Seit der Übernahme durch Finnova 2022 sind Sie Teil eines grösseren Banking-Software-Ökosystems. Welche konkreten Synergien haben Sie bereits realisiert, und wie nutzen Sie die Finnova-Plattform für die Skalierung von Contovista?
Durch die Integration in das Finnova-Ökosystem konnten wir wesentliche Synergien realisieren: Wir agieren heute in einem offenen, modularen Ökosystem, das unabhängig vom Kernbankensystem funktioniert und flexibel integriert werden kann. Dadurch gelingt uns eine schnellere Skalierung über die bestehende Kundenbasis, eine effizientere Integration von Daten- und AI-Services und eine deutliche Verkürzung der Time-to-Market. Zudem profitieren wir von gemeinsamen Innovationsinitiativen und Vertriebskanälen, die den Zugang zu neuen Kunden erleichtern.
Besonders wertvoll sind dabei die Erkenntnisse aus der Finnova-Community, die uns helfen, auch in den anderen Kunden-Communities schneller und besser zu werden. So können wir Anforderungen gezielter verstehen, Lösungen effizienter skalieren und die Innovationszyklen verkürzen.
Blick in die Zukunft: Wie sieht Contovista im Jahr 2030 aus? Welche Rolle spielen Sie dann im Schweizer und internationalen Banking-Ökosystem, und welche Geschäftsfelder jenseits von PFM (Personal Finance Management) und Multibanking werden dann für den Erfolg von Contovista entscheidend sein?
Wir kombinieren unsere führende Expertise in der Aggregation, Strukturierung und Anreicherung von Finanzdaten mit einem tiefen Verständnis der Finanzbranche und einer starken Erfolgsbilanz im Bereich Compliance. Diese Kombination ist unser Fundament für die nächste Entwicklungsstufe.
Bis 2030 wird Contovista ein führender Anbieter von AI-gestützten Finanzlösungen und agentenbasierten Bankdienstleistungen sein, mit dem Ziel, Kundenbindung und autonome Bankeffizienz auf ein neues Niveau zu heben. Aufbauend auf unserer Data-DNA verbinden wir NextGen-AI (Agentic AI, GenAI) und datengetriebene Prozesse, um digitale Bankabläufe intelligent zu automatisieren und aktiv zu steuern.
«Bis 2030 wird Contovista ein führender Anbieter von AI-gestützten Finanzlösungen und agentenbasierten Bankdienstleistungen sein, mit dem Ziel, Kundenbindung und autonome Bankeffizienz auf ein neues Niveau zu heben.»
Als „AI Agent Champion“ für den Finanzsektor in der DACH-Region sind wir die AI-Einheit von Finnova, tief verankert im Finanzökosystem und bekannt als Integrationspartner über Systemgrenzen hinweg, von Finnova bis Avaloq. Wir etablieren agentenbasierte AI als neuen Wettbewerbsvorteil der Branche: weg von reaktiver Analytik, hin zu proaktiven, handlungsorientierten Systemen, die Banken helfen, schneller, personalisierter und intelligenter zu agieren.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Erstens wünsche ich mir mehr Mut zur Innovation – die Schweiz hat alles, was es braucht, um ein Vorzeigemarkt für intelligentes Banking zu werden.
Zweitens wünsche ich mir mehr Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. Wenn Banken, Fintechs und Technologiepartner gemeinsam Technologie mit Sinn gestalten, entsteht echter Fortschritt. Innovation entsteht nicht im Alleingang. Sie entsteht dort, wo Vertrauen, Technologie und Mut aufeinandertreffen – hier gestalten wir als Contovista mit.