Tobias Minder, CEO Nostic, im Interview

Tobias Minder, CEO Nostic, im Interview
Tobias Minder, CEO Nostic (Bild: Nostic)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Minder, Sie haben 2019 das Startup Nostic mitgegründet, um mit künstlicher Intelligenz (KI) auf Röntgenbildern Zahnschäden oder -Probleme frühzeitig zu erkennen. Wie profitieren Zahnärztinnen oder Dentalhygieniker davon, wie aufwändig ist es, Ihre Lösung in den Praxisalltag zu integrieren?

Tobias Minder: Weltweit leiden rund drei Milliarden Menschen an Karies-Erkrankungen. Doch selbst für erfahrene Fachleute ist die Interpretation der Röntgenbilder nicht immer einfach. Hier leistet unsere CE-zertifizierte Software einen wichtigen Beitrag, die «Trefferquote» und damit die Qualität der Röntgendiagnostik zu steigern.

Das Programm analysiert das Röntgenbild innert wenigen Sekunden und zeigt die gefundenen Stellen grafisch an. Das ermöglicht es den Zahnärztinnen und Zahnärzten, nicht auf Anhieb sichtbare Risikostellen bewusster zu beurteilen. Zahnerkrankungen lassen sich so frühzeitig erkennen und der Fokus kann verstärkt auf die Prophylaxe gerichtet werden. Das ist auch im Interesse der Patienten. 

Das Programm ist sehr einfach in der Handhabung und lässt sich direkt in die verbreitetsten Praxissoftware-Lösungen integrieren oder über unsere benutzerfreundliche Webapplikation nutzen.

Die Qualität der KI-Algorithmen hängt wesentlich von den zum Training verwendeten Daten ab. Woher bekommen Sie diese Daten und wie stellen Sie sicher, dass die strengen Vorschriften bezüglich persönlicher Gesundheitsdaten eingehalten werden?

Die Herausforderung in unserem Fall bestand darin, dass es keine öffentlich verfügbaren Datensätze gibt. Die gesamte Datenbasis musste zuerst in Zusammenarbeit mit mehreren Zahnarztpraxen und Hochschulen aufgebaut werden. Bevor wir damit starten konnten, haben wir das Vorhaben durch die medizinische Ethikkommission prüfen lassen.

«Das Programm analysiert das Röntgenbild innert wenigen Sekunden und zeigt die gefundenen Stellen grafisch an. Das ermöglicht es den Zahnärztinnen und Zahnärzten, nicht auf Anhieb sichtbare Risikostellen bewusster zu beurteilen.» Tobias Minder, CEO Nostic

Um die geltenden Vorschriften einzuhalten, anonymisieren wir sämtliche Röntgenaufnahmen zweifach. Dadurch können wir sicherstellen, dass man keine Rückschlüsse auf die Herkunft der Bilder ziehen kann. Ausser dem Röntgenbild gehen zudem keine weiteren Patientendaten an Nostic.

Bei unseren Kunden stellen wir fest, dass es gut aufgenommen wird, dass wir bewusst auf die Erhebung von Patientendaten verzichten und sämtliche Daten in der CH/DE verarbeitet werden.

Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus, an welchen Punkten verdienen Sie Geld?

Wir haben ein klassisches B2B Software as a Service (SaaS) Geschäftsmodell. Zur Förderung der Adoption von Nostic bieten wir interessierten Arztpraxen eine kostenlose Testphase an, die unverbindlich ist. Dies ermöglicht es den Interessenten, die Vorteile unserer Lösung in ihrem eigenen Umfeld zu erleben und zu beurteilen, ob Nostic ihren Anforderungen entspricht. Nach der Testphase haben sie die Möglichkeit, sich für eines unserer flexiblen Abonnementmodelle zu entscheiden, darunter Lizenzen mit fixen Laufzeiten oder einer fixen Anzahl Analysen. Unsere Preisgestaltung ist einfach und fair, um sicherzustellen, dass Nostic für eine breite Palette von Praxen erschwinglich ist.

Inwieweit liessen sich die von Nostic entwickelten Algorithmen auch auf andere bildgebende Verfahren und Bereiche des Körpers anwenden, welche Pläne gibt es bezüglich der Ausweitung der Tätigkeitsfelder von Nostic?

Nostic ist aktuell auf die Detektion von verdächtigen Anomalien auf zahnmedizinischen Röntgen (z.B. Karies) ausgerichtet. Dank der Integration in Partnersoftwaren arbeiten wir daran, zukünftige Funktionen wie etwa eine automatische Dokumentation von Befunden oder Erstellen von Abrechnungen zu realisieren. Unser Ziel ist es, Praxisabläufe zu vereinfachen.

«Unsere Kunden nehmen es positiv auf, dass wir bewusst auf die Erhebung von Patientendaten verzichten und sämtliche Daten in der CH/DE verarbeitet werden.»

Wir behalten Technologie-Trends in der Zahnmedizin im Auge und erkunden Möglichkeiten, die sich in der bildgebenden Diagnostik ergeben. Eine spannende Möglichkeit bietet sich in der digitalen Volumentomographie (DVT). Dieses Verfahren kommt besonders zum Einsatz in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Dabei können die kleinsten Knochenstrukturen des Schädels dreidimensional dargestellt werden und es lassen sich Krankheiten wie z.B. Hirn-Tumore erkennen.

Es wird erwartet, dass der Markt für AI in der medizinischen bildgebenden Diagnostik mit einem CAGR von 45.7%[1] wächst. Diese Entwicklung bietet spannende Zukunftsperspektiven und das Technologie-Fundament ist vorhanden. Mittlerweile verfügen wir über sehr gute Erfahrungswerte in der Entwicklung von angewandten KI-Modellen. Diese Erkenntnisse lassen sich transferieren.

Bis anhin ist Nostic bezüglich Umsatz in jedem Quartal um 50% gewachsen und hat erste Partner in Deutschland und Österreich angeworben. Wie wollen Sie das weitere Wachstum finanzieren?

Wir sind sehr stolz darauf, dass wir durch unsere Partnerschaften positive Wachstumszahlen generieren konnten und ein starkes Fundament für zukünftiges Wachstum schaffen konnten. Als Startup sind wir auf Investitionen angewiesen, um unser Wachstum zu unterstützen und unsere Vision einer verbesserten medizinischen Diagnostik zu verwirklichen. Wir bleiben dabei offen für strategische Partnerschaften und Finanzierungsmöglichkeiten, um unser Wachstum bestmöglich zu unterstützen.

In der Schweiz sind die Zahnarztkosten in der Grundversicherung der Krankenkassen praktisch ausgeschlossen, im Gegensatz zu Deutschland, wo zahlreiche Eingriffe vergütet werden. Wie beeinflussen die Krankenkassenleistungen in verschiedenen Ländern Ihre Expansionspläne, welche Länder sind im Fokus?

Als innovatives MedTech-Unternehmen beobachten wir die verschiedenen Regelungen und Förderungen von Zahnarztkosten in verschiedenen Ländern aufmerksam. Wir sehen grosses Potential in Ländern, in denen Zahnarztkosten stärker durch Versicherungen gedeckt sind, um alternative Geschäftsmodelle und Abrechnungsmethoden zu etablieren. Besonders in spannenden Märkten wie Deutschland oder Brasilien können wir mit unserer Expertise im Bereich künstlicher Intelligenz und Diagnostik den Versicherungen helfen, die Prävention von Zahnkrankheiten stärker in den Fokus zu rücken, was sowohl Vorteile für Zahnarztpraxen als auch für Versicherer bietet.

Hardwareanbieter versuchen oft, mit Softwareangeboten die Kunden an sich zu binden. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier, zum Beispiel Anbieter von Röntgengeräten für Ihre Lösung zu gewinnen, welche anderen Partner haben Sie auf der Wunschliste?

Wir erkennen das Potenzial einer direkten Integration mit Hardware-Anbietern. Durch unsere Erfahrungen haben wir festgestellt, dass eine enge Integration für Zahnärztinnen und Zahnärzte einen echten Mehrwert schaffen kann, indem sie Zeit gewinnen und Arbeitsaufwand einsparen, ohne dabei auf neue Systeme angewiesen zu sein. Wir sind ständig bestrebt, unser Netzwerk zu erweitern und freuen uns auf zukünftige Kontakte.

Während viele Startups in der Schweiz die Startbedingungen loben, verlegen sie ihre Tätigkeit für die Wachstumsphase oft ins Ausland. Wie ist Ihre Erfahrung bis anhin, wie wollen Sie die Wachstumsphase gestalten?

Die Startbedingungen in der Schweiz haben uns von Beginn an unterstützt und eine solide Basis für unsere Geschäftsentwicklung geboten. Die Grösse des heimischen Marktes ist begrenzt, was es für uns notwendig macht, ins Ausland zu expandieren. Dadurch können wir weiteres Wachstum erzielen und unser Potenzial voll ausschöpfen.

«Wir sehen grosses Potential in Ländern, in denen Zahnarztkosten stärker durch Versicherungen gedeckt sind, um alternative Geschäftsmodelle und Abrechnungsmethoden zu etablieren.»

Um weiter zu wachsen, sind wir auf gut ausgebildete Mitarbeiter angewiesen, die in der Lage sind, fachliche Diskussionen mit unseren Kunden zu führen. Diese Mitarbeiter können innerhalb der Schweiz oder in europäischen Nachbarländern tätig sein. Aus technischer Sicht können wir uns eine Kombination aus einem Kernteam in der Schweiz und weiteren Mitarbeitern in benachbarten europäischen Ländern vorstellen.

Welche technologischen Entwicklungen werden für die weitere Entwicklung von Nostic in den kommenden Jahren entscheidend sein?

Aus Sicht der Künstlichen Intelligenz gibt es aktuell keine Anzeichen für fundamentale Änderungen in den bestehenden Verfahren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es im Bereich der Zahnmedizin Fortschritte bei der Diagnostik, wie zum Beispiel im Hinblick auf Karies, geben wird. Dies betrifft insbesondere den Hardwarebereich, bei dem durch den Einsatz neuer Geräte und Verfahren effektivere und effizientere Behandlungen erwartet werden. Die KI wird hier eine bedeutende Rolle spielen.

Welches sind die wichtigsten Projekte auf Ihrer Prioritätenliste im Jahr 2023?

Wir möchten weitere Integrationspartner gewinnen, um neue Möglichkeiten für unsere Kunden anzubieten. Um im Anschluss das Potenzial durch diese neuen Vertriebskanäle voll auszuschöpfen, benötigen wir weitere finanzielle Mittel, welche wir durch eine Finanzierungsrunde aufnehmen. Diese Mittel werden wir einsetzen, um die Expansion in weitere Märkte zu finanzieren und das Team im Bereich Sales & Marketing zu verstärken. Drittens arbeiten wir daran, wichtige Märkte ausserhalb der EU z.B. mit Franchise-Partnern aufzubauen.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Zusammenfassend würde ich sagen, dass meine beiden Wünsche für die Zukunft darin bestehen, möglichst viele Menschen mit unserem Produkt zu erreichen und einen positiven Beitrag zur allgemeinen Gesundheit zu leisten. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir gemeinsam als Team Freude daran haben werden, unser Unternehmen weiter zu skalieren und damit unsere Vision und Mission zu erfüllen.


[1] Globenewswire.com (2022). AI in the Medical Imaging Market is Expected to grow at CAGR of 45.68%.


Tobias Minder bei Linkedin

Nostic


Dieses Interview wurde mit der freundlichen Unterstützung des Amts für Wirtschaft des Kantons Schwyz ermöglicht

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