Walter Hess, CEO DocMorris, im Interview

von Robert Jakob
Moneycab.com: Herr Hess, nachdem der Bundesgerichtshof den Rezeptbonus erlaubt hat, gibt es nun Rechtssicherheit in Deutschland?
Walter Hess: Das Urteil des Bundesgerichtshofs bestätigt, dass unser Bonusmodell rechtlich zulässig ist und bringt endlich die nötige Klarheit für Patientinnen und Patienten. Es steht im Einklang mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2016, der die starre Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für europarechtswidrig erklärt hat. In der mündlichen Verhandlung hat der BGH deutlich gemacht, dass auch die aktuelle Regelung mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Ebenso liegt kein Verstoss gegen das Heilmittelwerbegesetz vor. Das ist ein wichtiges Signal für eine moderne, bezahlbare Gesundheitsversorgung.
Im für DocMorris wichtigsten Markt herrscht oft ein Bürokratiedschungel. Hat sich das mit der neuen Bundesregierung bereits ein wenig geändert?
Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag wichtige Impulse gesetzt – jetzt kommt es aber auf die Umsetzung an. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens scheiterte bislang weniger am Geld als an regulatorischen Hürden und technischen Problemen. Hier braucht es dringend mehr Mut und Fortschritte. Ein positives Beispiel ist die angepasste Regelung zu Videosprechstunden: Arztpraxen dürfen nun bis zur Hälfte ihrer Behandlungsfälle pro Quartal digital abwickeln. Das schafft Flexibilität und reduziert Bürokratie.
«Die Digitalisierung des Gesundheitswesens scheiterte bislang weniger am Geld als an regulatorischen Hürden und technischen Problemen.»
Walter Hess, CEO DocMorris
Die elektronische Krankenakte ist in Deutschland ein Witz. Aber beim elektronischen Rezept scheint es vorwärts zu gehen, oder? Immerhin wurden innert Jahresfrist 37 Prozent mehr E-Rezepte ausgestellt.
Das E-Rezept hat sich in kürzester Zeit als neuer Standard im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung etabliert und das Papierrezept weitgehend abgelöst. Es erleichtert Millionen von Menschen die Versorgung mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Auch bei DocMorris spüren wir diese Entwicklung: Unser Umsatz im Rx-Bereich ist im ersten Quartal 2025 um 52.3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Dieser Trend bestätigt, dass digitale Lösungen im Versorgungsalltag angekommen sind.
Der nächste wichtige Schritt ist die erfolgreiche Einführung der elektronischen Patientenakte. Damit das gelingt, braucht es einen klaren gesetzlichen Rahmen, eine einfache Nutzerführung und vor allem einen erkennbaren Mehrwert für die Menschen. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss Versorgung spürbar verbessern.
Bis wann kann der Anteil von Online-Apotheken an allen elektronischen Rezepten im zweistelligen Prozentbereich zu liegen kommen?
Dank der volldigitalen Einlösungsmöglichkeit von E-Rezepten über die DocMorris App und der elektronischen Gesundheitskarte via CardLink haben wir direkten Zugang zum 58 Milliarden Euro-Markt für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland. Der Marktanteil von EU-ausländischen Online-Apotheken bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln steigt, liegt derzeit aber noch bei rund einem Prozent – das Potenzial ist also enorm.
Wie viele Patienten benutzten die elektronische Arztkonsultation über DocMorris.de?
Telemedizin ist ein zentraler Baustein unserer Strategie, DocMorris von einer Online-Apotheke zu einer umfassenden Gesundheitsplattform weiterzuentwickeln. Unsere Tochtergesellschaft TeleClinic erreichte im ersten Quartal 2025 ein Umsatzwachstum von über 100 Prozent gegenüber Vorjahr – bei gleichzeitig steigender EBITDA-Marge. Wir gehen von einer anhaltenden Skalierung aus. Der Umsatz wird sich bei weiter steigender Profitabilität in diesem Jahr mehr als verdoppeln. Mittelfristig erwarten wir ein jährliches Umsatzwachstum im hohen zweistelligen Prozentbereich. TeleClinic hat seit Gründung bereits rund drei Millionen erfolgreiche Behandlungen durchgeführt. Aktuell sind über 4500 in Deutschland niedergelassene Ärzte auf der Plattform aktiv. Mittelfristig streben wir eine Zusammenarbeit mit mehr als 10000 Medizinern an.
«Telemedizin ist ein zentraler Baustein unserer Strategie, DocMorris von einer Online-Apotheke zu einer umfassenden Gesundheitsplattform weiterzuentwickeln.»
Die Anlaufkosten für Ihre Dienstleistungen sind immer noch sehr hoch, weshalb die DocMorris AG vor ein paar Monaten eine grosse Kapitalerhöhung im Verhältnis 1 zu 3 durchführen musste. Ist der Kapitalhunger damit nun gestillt?
Der Nettoerlös aus der Kapitalerhöhung dient der Finanzierung unseres Wachstums im Bereich verschreibungspflichtiger Medikamente. Dazu zählen gezielte Marketingmassnahmen bis zum Erreichen eines positiven Free Cashflows auf Gruppenebene im Laufe des Jahres 2027 sowie die mögliche Rückzahlung der 95 Millionen-Franken-Wandelanleihe im September 2026.
Wann rechnen Sie neu mit dem Erreichen der operativen Gewinnschwelle?
Wir erwarten, im Laufe des Jahres 2026 auf EBITDA-Basis den Breakeven zu erreichen. Ein positiver Free Cashflow soll dann im Laufe von 2027 folgen. Ein zentraler Hebel ist dabei der systematische Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Produktivität in zahlreichen Unternehmensbereichen.
Der OTC-Markt ist sicherlich ein sicheres Standbein für Versandapotheken generell, da viele Produkte Longseller sind, oder?
Absolut. Der Marktanteil von Online-Apotheken bei rezeptfreien Arzneien (OTC) liegt bereits bei 25 Prozent. Im Non-Rx-Bereich, also bei rezeptfreien Produkten, und digitalen Services, wie TeleClinic, Retail Media und Marketplace, haben wir 2024 in Deutschland ein positives EBITDA erzielt. Letztere tragen überdurchschnittlich zu Wachstum und Profitabilität bei. Für 2025 erwarten wir ein weiteres Wachstum im höheren einstelligen Prozentbereich und sehen darin eine wichtige Säule unserer langfristigen Ökosystemstrategie.
«Der Marktanteil von Online-Apotheken bei rezeptfreien Arzneien (OTC) liegt bereits bei 25 Prozent.»
Wie viele Benutzer haben die «APPotheke» installiert?
Download-Zahlen zur App werden nicht veröffentlicht.
DocMorris ist nach bewegten Jahren mittlerweile ein Milliardenunternehmen geworden. Welche EBITDA-Marge läge in einem stabilen vernünftigen Zielband?
Unser mittelfristiges Ziel ist eine EBITDA-Marge von rund acht Prozent – ein Wert, der nachhaltiges und profitables Wachstum widerspiegelt.