Meret Schneider: In Ablehnung vereint

Meret Schneider: In Ablehnung vereint
Nationalrätin Meret Schneider, Grüne Schweiz. (Bild: zVg)

“Ich unterschreibe nichts mehr. Die machen sowieso, was sie wollen in Bern.” Das war eine Aussage, die ich beim Sammeln für die Solarinitiative beunruhigend oft gehört habe. Grundsätzlich mag ich Standaktionen, Unterschriftensammlungen und die Apéros nach Podien, bei denen man mit den Menschen ins Gespräch kommt und hört, was sie vor Ort bewegt, wie sie Politik wahrnehmen und wie es um die Zufriedenheit der Bevölkerung steht. Oft gehe ich bestärkt aus solchen Gesprächen hervor mit der Erfahrung, dass die meisten Menschen, allem Online-Hass und den populistischen Wortgefechten in Kommentarspalten zum Trotz, Interesse an einem respektvollen, wertschätzenden Umgang haben, auch wenn die Meinungen auseinander gehen.

Was online schnell in Beleidigungen, Empörung und Anfeindungen mündet, scheint offline zu funktionieren: Eine inhaltliche Diskussion über Sachthemen fern von Voreingenommenheit und Schubladisierungen. So schlimm kann es um unsere Gesellschaft also nicht stehen, denke ich dann oft. Wo ist nun die viel zitierte und heraufbeschworene Polarisierung der Gesellschaft, die Erosion der Debattenkultur und der Niedergang einer gemeinsamen Faktenbasis? Im direkten Gespräch findet sich oft, was online nie zusammenfinden würde und wenngleich man in der Beurteilung eines Sachverhalts divergiert, so bleibt man doch respektvoll und beruft sich auf eine gemeinsame Realität.

Beim Sammeln für die Solarinitiative bekam ich jedoch neben vielen positiven, motivierenden Erfahrungen auch die Polarisierung und das Auseinanderklaffen der Bevölkerung stärker als auch schon zu spüren. Anders als erwartet und oft beschrieben, verläuft diese Polarisierung oder die Spaltung der Gesellschaft jedoch nicht entlang von Parteigrenzen. Es sei hier angemerkt, dass sich meine Analyse auf rein anekdotische Evidenzen stützt und womöglich durch sozialwissenschaftliche Untersuchungen widerlegt würde – dennoch ist die Beobachtung vermutlich nicht komplett ohne empirische Grundlage.

Auf der Strasse und in Diskussionen erlebte ich weder eine immer radikalere Rechte noch eine immer extremere Linke, die sich unversöhnlich gegenüberstehen und nicht mehr ins Gespräch kommen. Die Polarisierung verläuft viel mehr an der Grenze zwischen einem Grundvertrauen in Politik und Institutionen und der kategorischen Ablehnung unseres politischen Systems. Interessant ist dabei, dass es kaum eine Rolle zu spielen scheint, welchem politischen Lager die Menschen zuzuordnen sind. Es gibt die Konstruktiven, die an einer Debatte interessiert sind, sich politisch beteiligen und grundsätzlich davon ausgehen, dass der medialen Berichterstattung zu trauen ist und Wahlen ohne Korruption verlaufen. Ganz unabhängig davon, ob sie sich auf dem linken oder rechten Spektrum verorten, kann man sich auf diesen Minimalkonsens verständigen und basierend darauf auch gerne einmal hart in der Sache diskutieren.

Und dann gibt es jene, die eigentlich keine homogene Gruppe darstellen – im Gegenteil. Sie rekrutieren sich aus sehr Rechten, die sich eine viel schärfere Ausschaffungspolitik wünschen, mit der AFD liebäugeln und über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative enttäuscht sind, aus sehr Linken, die über die Passivität der Schweiz in Bezug auf Gaza frustriert sind, immer noch empörten Coronaskeptikern, die sich ihre Realität inzwischen aus Telegram-Chats zusammenbauen und Datenschutzaffinen, die mit Einführung der E-ID den totalen Überwachungsstaat fürchten.

Diese sehr heterogene Gruppe, die sich aus Menschen aller Schichten und Branchen zusammensetzt, vereint primär eines: Die kategorische Ablehnung der Institutionen, des politischen Systems und ein umfassendes Misstrauen in Politik und Medien. Wenn sie wählen, wählen sie zumeist SVP, weil diese sich als Anti-Establishment Partei inszeniert, wenngleich sich auch deren Funktionärinnen und Funktionäre selbstverständlich aus Personen des Establishments zusammensetzen. Oft wählen sie aber gar nicht, sondern begegnen mir bereits mit den Worten: “Von der Politik erwarte ich nichts mehr. Die sind alle korrupt und die Mainstreammedien fressen ihnen aus der Hand.”

Von Linken und Rechten wurde ich als systemblind, Systemling und Übleres bezeichnet und so sehr ich mich bemühte, ich fand den Zugang nicht. Wer sich derart in einem kategorischen Misstrauen verrannt hat, ist schwer zu erreichen. Und das ist der Punkt, der mir Sorgen bereitet. Wenn Debatten populistischer werden, die Argumentationen polemischer und die Tonalität schärfer, so mag mir diese Entwicklung missfallen, ich kann sie aber im globalen Kontext und der gesellschaftlichen Stimmung verorten und mich entsprechend bemühen, möglichst konstruktiv und respektvoll zu bleiben. Schwierig wird es, wenn eine relevante Bevölkerungsgruppe von diesen gesellschaftlichen Diskussionen gar nicht mehr erreicht wird, sich am Aushandlungsprozess nicht mehr beteiligt und sich in ihren ganz eigenen Nachrichtenkanälen und Echokammern verirrt.

Diese Menschen verlieren wir auf dem Weg des demokratischen Prozesses und des Gesprächs, wie gehässig es auch sein mag, um die Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens. Als Politikerin bestürzt und besorgt mich diese Entwicklung und auch ein generelles Gegenmittel kann ich nicht aus dem Ärmel schütteln. Vermutlich bleibt uns als Politikerinnen und Politiker nur die Strategie, unseren Worten Taten folgen zu lassen, uns authentisch und nahbar zu zeigen und uns proaktiv unter die Bevölkerung zu mischen, sei es in Vereinen, an Dorffesten oder auf dem Weihnachtsmarkt. Wer direkt erlebt, dass zugehört wird und Versprechen gehalten werden, gewinnt vielleicht etwas Vertrauen zurück.

Vertrauen in die Institutionen ist in meinen Augen die Währung der Demokratie und es ist vermutlich an uns Politikerinnen und Politiker, uns dieses wieder zu erarbeiten, über das Zustandekommen von Entscheidungen transparent zu informieren und zu erklären, warum manchmal nicht gelingt, was wir uns vorgenommen und angekündigt haben. Denn eines kann ich festhalten: Egal aus welcher Partei unterstelle ich meinen Mitbewerbern grundsätzlich, dass sie sich für ihre Überzeugungen und Anliegen einsetzen und stark machen. Das ist eine gute Basis für gegenseitigen Respekt, auch wenn die Anliegen maximal divergieren und wenn wir das vorleben, statt uns persönlich anzugreifen, sind wir schon einmal auf einem guten Weg.


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