Assanges Memoiren: Julian gegen den Rest der Welt

Aber mehr als um die Gerechtigkeit scheint er im Moment für die eigene Zukunft zu kämpfen. Und er hat wohl inzwischen gemerkt wie das Spiel heisst, auf das er sich mit seinen Veröffentlichungen eingelassen hat: «Julian gegen den Rest der Welt.» So könnte auch der Titel seiner Memoiren lauten, die er jetzt schreiben will.


Geldnöte 
Nicht nur viele Regierungen auf der ganzen Welt – allen voran die USA – und die schwedische Justiz haben Assange im Visier. Visa, Mastercard und Bank of America transportieren kein Geld mehr auf Wikileaks-Konten. Der Geldfluss ist gehemmt, selbst wenn es genügend Spender gibt. Der Australier selbst braucht Geld für seine Prozesse. Wikileaks braucht Geld, um fortbestehen zu können. Seine Biografie zu schreiben, liegt als Einnahmequelle nahe. «Ich will dieses Buch nicht schreiben, aber ich muss», sagt der 39-Jährige.


Spendabler Tony Blair
Eine Million Pfund (rund 1,17 Millionen Euro) will er damit einspielen. Entsprechende Verträge mit dem renommierten US-Verlag Alfred A. Knopf – einer Tochter des deutschen Bertelsmann-Konzerns – und einem Verlag aus Schottland hat Assange bereits in der Tasche. Damit bleibt er deutlich hinter anderen prominenten Memoiren- Schreibern zurück. Tony Blair, ehemaliger britischer Premierminister und wegen des Irak-Kriegs auch von Assange kritisiert, hat kürzlich das vierfache mit seiner Autobiografie («A Journey») verdient – und das Geld gespendet.


Staatsfeind Nr. 1
Wikileaks, 2006 vor allem auf Initiative chinesischer Dissidenten gegründet, war wegen seiner Veröffentlichungen schon in den letzten Jahren Staatsfeind vieler Länder – Diktaturen wie Nordkorea und der Iran, aber auch Länder wie Israel und Thailand hatten früh Blockaden gegen die Internetaktivisten errichtet. All das dürfte in den Memoiren eine Rolle spielen. Den meisten Platz wird jedoch mit einiger Sicherheit das Jahr 2010 einnehmen.


«Cablegate»
Mit einem Video über einen US-Hubschrauberangriff im Irak, bei dem die Besatzung auf Unschuldige feuerte und dabei Witze riss, fing alles an. Afghanistan folgte, dann Tausende weitere Irak-Akten, schliesslich «Cablegate» mit Tausenden diplomatischen Depeschen. Das Jahr bedeutete auch ein Umschwenken in der Ausrichtung der Plattform, die intern bei Wikileaks zum Machtkampf wurde. Assange setzte auf den grossen internationalen Zündstoff, arbeitete mit führenden Medien wie «Spiegel» und «Guardian» zusammen.


Sex-Vorwürfe
Mehrere Wikileaks-Aktivisten, die diesen Weg für falsch hielten, kehrten Assange im Streit den Rücken, darunter der deutsche Daniel Domscheit-Berg. Heute hat Assange selbst Probleme mit dem «Guardian», der kurz vor Weihnachten die schwedischen Sex-Vorwürfe gegen ihn in aller Breite dargelegt hat. Prompt bezichtigte der Australier die Zeitung, die ihm bisher stets den Steigbügel hielt, seine juristische Position schwächen zu wollen. Wie das mit Zitaten aus der Akte, die den Behörden längst vorliegt, möglich sein soll, sagte er nicht.


«Viktorianische Bedingungen»
Schliesslich ist das zu Ende gehende Jahr für Julian Assange auch ganz persönlich unvergesslich. Nach ungeschütztem Sex mit zwei Schwedinnen im August musste er in Grossbritannien ins Gefängnis – unter «viktorianischen Bedingungen» wie sein Anwalt sagte. Jetzt lebt der Mann, der in den letzten Jahren keinen festen Wohnsitz mehr hatte und Mobiltelefone wie Unterwäsche wechselte, mit Fussfessel und ohne Pass auf einem englischen Landgut. Aber auch auf der Habenseite hat er einiges stehen: die französische Zeitung «Le Monde» kürte ihn zum «Mann des Jahres», die Leser des US-Magazins «Time» halten ihn für die «einflussreichste Person des Jahres». (awp/mc/ps/01)

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