Atomkraft: Einigung im Standort-Streit ist nicht in Sicht

Einig sind sich die Energieunternehmen immerhin darüber, dass der Bau von drei neuen Atomkraftwerken nicht realistisch ist. Trotzdem haben alle drei ein eigenes Gesuch eingereicht: Alpiq im Juni 2008 jenes für Gösgen, Axpo und BKW im Dezember des gleichen Jahres für Beznau und Mühleberg.


Zwei Standorte
Seither versuchen sie, sich auf zwei Standorte zu einigen. Bisher ohne Erfolg, wie die Unternehmen am Montag auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA bestätigten. «Man spricht miteinander, eine Einigung zeichnet sich im Moment aber nicht ab», sagte Alpiq-Sprecher Andras Werz auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Fest steht, dass die neuen Anlagen unabhängig vom Standort gemeinsam gebaut und betrieben werden sollen. In den Verhandlungen gehe es darum auch um die jeweiligen Beteiligungen und die Bezugsrechte, sagte Werz.


Verhandlungspositionen bekannt
Und dabei ist der Standort ein wichtiges Argument: Jene Unternehmen, die schliesslich eine Rahmenbewilligung erhalten, dürften für ihr eigenes Projekt auch eine höhere Beteiligung durchsetzen können. Genaues zum Inhalt der Gespräche war von keinem der drei Unternehmen zu erfahren. Die Positionen in der Standort-Frage sind jedoch bekannt: Axpo und BKW begründen ihren Anspruch damit, dass ihre Anlagen in Beznau und Mühleberg früher ersetzt werden müssen. Sie sprechen in dem Zusammenhang von einer «natürlichen Reihenfolge». Für Alpiq dagegen ist die technische und politische Qualität der Standorte entscheidend.


«Es geht um viel Geld»
Die harte Haltung der Stromkonzerne überrascht nicht: «Es geht um viel Geld», sagte der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP), Vorstandsmitglied der Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (AVES), gegenüber der SDA. In Anbetracht der Interessen, die auch für die Regionen auf dem Spiel stehen, hat er ein gewisses Verständnis für das zähe Ringen. Eine Maxime der Schweizer Energiepolitik sei aber die Versorgungssicherheit, gibt Wasserfallen zu bedenken. Diesem Ziel müsse man die eigenen Interessen unterordnen können. Wasserfallen – und die rund hundert in der AVES zusammengeschlossenen Bundesparlamentarier – erwarten von den Energieunternehmen darum eine Einigung.


«Meilenstein»
Die Standortfrage sollte nicht ohne Not auf politischem Weg gelöst werden», sagte der FDP-Nationalrat. Hinzu komme, dass die Projekte an der Urne bessere Chancen hätten, wenn die Unternehmen geschlossen und mit einer gemeinsamen Strategie auftreten. Bis zum Volksentscheid dürften aber ohnehin noch rund drei Jahre verstreichen. Vorerst freuten sich die Energieunternehmen über den günstigen Bescheid aus Bern. BKW und Axpo bezeichneten die Gutachten in einer gemeinsamen Medienmmitteilung als «Meilenstein». Die geforderten zusätzlichen Abklärungen wollen sie «selbstverständlich in der geforderten Tiefe» vornehmen. Alpiq strich die «sehr hohe Qualität» heraus, welche das ENSI ihrem Projekt bescheinigt habe.


economiesuisse fordert rasches Vorgehen
Auch economiesuisse nahm zufrieden von den Gutachten Kenntnis. Der Wirtschaftsdachverband wünscht sich jedoch ein rascheres Vorgehen. Für die Schweiz sei die rechtzeitige Bereitstellung ausreichender Kraftwerkskapazität von grundlegender Bedeutung. Die AKW-Gegner, etwa die Schweizerischen Energie-Stiftung oder die Allianz «Nein zu neuen AKW», bestreiten, dass es überhaupt neue Anlagen braucht. Die Stellungnahme des ENSI halten sie für bedenklich: Die Energieunternehmen könnten den Schutz von Menschen und Umwelt nicht garantieren, wenn sie noch nicht einmal wüssten, welcher Reaktortyp und welche Kontrollsysteme verwendet werden sollen, heisst es in einer Stellungnahme.


Reaktoren mit mehr Leistung geplant
In Beznau (AG), Gösgen (SO) und Mühleberg (BE) möchten die grossen Schweizer Stromkonzerne ihre alten Atomkraftwerke durch neue Anlagen in unmittelbarer Nachbarschaft ersetzen. Welche Reaktortypen gebaut würden, ist noch offen. Um die Typen wird es erst im Rahmen des Baubewilligungs-Verfahrens gehen. Damit fällt der Typenentscheid erst nach der Volksabstimmung zu einem oder mehreren Rahmenbewillungsgesuchen. Fest steht derzeit lediglich, dass es sich um Leichtwasserreaktoren handeln wird, wie bei den bestehenden Anlagen.


Anlagetypen der dritten Generation
Die Gesuchsteller sprechen von Anlagetypen der dritten Generation. Die heute in der Schweiz stehenden Atomkraftwerke gehören der zweiten Generation an. Alpiq hält im Gesuch für den Standort Gösgen fest, die Reaktorwahl und die Wahl des Lieferanten würden erst später getroffen. Im Fall von Mühleberg schreiben die Gesuchsteller, im Vordergrund stünden Anlagetypen, die international bereits in der Betriebs- oder Realisierungsphase seien oder deren Genehmigung weit fortgeschritten sei.


Beznau: Kühlturm von max 60 m Höhe 
 In jedem Fall aber soll die elektrische Leistung der neuen Atomkraftwerke wesentlich höher sein als jene der bisherigen Anlagen. So ist in Beznau ein Reaktor mit einer Leistung von 1450 Megawatt (MW) geplant. Er soll zwei Druckwasserreaktoren (Beznau I und II) mit einer Leistung von je 365 MW ersetzen. Die Kühlung würde durch einen etwa 55 Meter hohen Hybridkühlturm erfolgen. Auch in Mühleberg ist ein 1450-Megawatt-Reaktor geplant. Der heutige Siedewasserreaktor hat bloss eine Leistung von 355 MW. Zur Kühlung des neuen Reaktors könnten hier Kühltürme mit einer Höhe von maximal 60 Metern gebaut werden.


Weitere Anlagen-Gebäude notwendig
In Gösgen ist ein Reaktor der Leistungsklasse 1100 oder 1600 Megawatt geplant, der den bestehenden Druckwasserreaktor mit einer Leistung von 1020 MW ablösen soll. Auch bei diesem Projekt wäre der Hybridkühlturm rund 60 Meter hoch. Heute steht in Gösgen ein rund 150 Meter hoher Kühlturm. Bei allen drei Projekten braucht es neben dem Reaktorgebäude und dem Maschinenhaus noch Gebäude für die Aufbereitung und Lagerung radioaktiver Abfälle. (awp/mc/ps/21)

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