Claudia Bolla-Vincenz, Geschäftsführerin Swisscable

von Patrick Gunti


Frau Bolla-Vincenz, nach neusten Erhebungen von Swisscable sind in der Schweiz 22 % aller TV-Haushalte mit Digital-TV ausgerüstet. Damit ist der Anteil zwar mehr als doppelt so hoch wie vor zwei Jahren, im internationalen Vergleich ist die Marktdurchdringung aber deutlich tiefer. Was sind die Gründe?

Die Gründe liegen eindeutig in der starken Verbreitung von Kabel-TV und im attraktiven Analog-Angebot der Kabelnetze, mit dem viele Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor zufrieden sind. Im Durchschnitt können Abonnenten von Kabel-TV in der Schweiz rund 40 analoge Programme empfangen, was – im Vergleich zum Ausland – viel ist. Dieser analoge Empfang ist zudem denkbar einfach und kostengünstig.


Das Wachstum beim digitalen Fernsehen hat sich 2007 gegenüber 2006 verdoppelt. Von welcher weiteren Entwicklung gehen Sie aus?

Trotz der starken Stellung, die das analoge Angebot immer noch hat, gehen wir für die nächsten Jahre von einem beschleunigten Wachstum aus. Dies hat vor allem mit dem grösseren Programmangebot, mit der verbesserten Qualität (Stichwort HDTV) und mit neuen Funktionalitäten wie zum Beispiel Filme auf Abruf (Video on Demand) zu tun. Eine Rolle spielt auch die allgemeine Digitalisierung, der sich langfristig auch das Kabelfernsehen nicht entziehen kann.


Welche Gründe nennen die Befragten hauptsächlich, warum sie vom analogen zum digitalen Fernsehen gewechselt haben oder noch wechseln wollen?

Die Hauptgründe für einen Wechsel liegen in der grösseren Programmauswahl, in der verbesserten Bild- und Tonqualität sowie in der Möglichkeit, das Programm individuell gestalten zu können. Eine Rolle spielt auch, dass man mit der Zeit gehen will und / oder dass man sich ein neues TV-Gerät gekauft hat und dieses optimal nutzen möchte.


Weiterhin gibt es aber eine grosse Anzahl Fernseh-Zuschauer, die digitales Fernsehen nicht nutzen oder auch nicht beabsichtigen, den Wechsel vom analogen zum digitalen Fernsehen zu vollziehen. Was hält sie davon ab?

Wie oben ausgeführt, ist es wohl die Zufriedenheit mit dem, was sie haben. Sicher gehören diese Digital-TV-Verweigerer auch nicht zur Gruppe der Heavy User. Fernsehen spielt in ihrem Leben wahrscheinlich eine marginale Rolle, weshalb es auch gar keinen Grund gibt, zu einem besseren Angebot zu wechseln.


«HDTV steht und fällt mit der Attraktivität des entsprechenden Angebots. Und da das Angebot noch nicht sehr attraktiv ist, ist auch die Nachfrage nach HDTV noch nicht sehr hoch.» (Claudia Bolla-Vincenz, Geschäftsführerin Swisscable)


Spielen auch die höheren Kosten für das digitale TV eine Rolle?

Ich glaube nicht. Eher eine Rolle spielt die Tatsache, dass Digital-TV als etwas Kompliziertes wahrgenommen wird. Dies hat auch mit der zunehmenden Angebotsvielfalt zu tun.


Das HDTV-Sender-Angebot ist noch sehr überschaubar. Inwiefern ist HDTV heute bereits ein Argument pro digitales Fernsehen und wie viele der Befragten verfügen bereits über ein HDTV-fähiges TV-Gerät?

HDTV steht und fällt mit der Attraktivität des entsprechenden Angebots. Und da das Angebot noch nicht sehr attraktiv ist, ist auch die Nachfrage nach HDTV noch nicht sehr hoch. Dies kann sich aber schnell ändern, wenn neue Programme lanciert werden. Gemäss unseren Befragungen gehen wir davon aus, dass mehr als 23 Prozent aller in Betrieb stehender TV-Geräte in Privathaushalten HDTV-fähig sind. Die Voraussetzungen für ein rasantes Wachstum von HDTV sind also gut.


Inwieweit ist das Internet mit Angeboten der Sendestationen selbst aber auch durch Anbieter wie Zattoo zur Konkurrenz des klassischen Fernsehens geworden?

Dies ist eine Generationenfrage. Für die so genannten Digital Natives – so wird die Generation bezeichnet, die als erste mit Computern, Internet und Videospielen aufgewachsen ist und für die die vernetzte und mobile Kommunikation eine Selbstverständlichkeit darstellt – ist das Internet ein sehr wichtiges Medium. Dies zeigen verschiedene Studien aus dem In- und Ausland. Das Internet lockt mit Interaktivität, Verfügbarkeit nach Bedarf und umfassenden Kommunikations- und Personalisierungsmöglichkeiten. Damit konkurrenziert es herkömmliche Medien – und auch das Fernsehen – massiv. Wer sich mit der Zukunft des Fernsehens befasst, kommt nicht darum herum, die Nutzungsgewohnheiten der Digital Natives zu studieren und – über kurz oder lang – zu berücksichtigen. Dies bedeutet unter anderem, dass das Fernsehen der Zukunft interaktiv sein und Inhalte auf Abruf bereithalten muss. Sonst wird es für die nachfolgenden Generationen zu einem marginalen Medium. Die Frage ist deshalb, wie ein interaktives TV-Angebot realisiert werden kann. Damit setzten sich die Kabel-TV-Unternehmen zurzeit auseinander.


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Wie stellt sich der Wettbewerb für die Kabelnetzbetreiber neben Internet TV und Hauptkonkurrent Bluewin TV dar?

Neben Entwicklungen im Internet, die generell unterschätzt werden, und Bluewin TV, das man ernst nehmen muss, spielen Satelliten-TV und Antennen-TV eine Rolle. Letzteres wird manchmal belächelt, weil in weiten Teilen der Schweiz via Antenne nur wenige Sender zur Verfügung stehen. In Grenzgebieten – etwa zu Frankreich – ist digitales Antennen-TV aber ein gewichtiger Konkurrent des Kabelfernsehens. Ein Augenmerk gilt sicher auch den neuen Angeboten, die via Glasfasernetze bereits lanciert worden sind (zum Beispiel von Orange) oder noch werden (zum Beispiel von Sunrise).


«Eine asymmetrische Regulierung zu Lasten der Kabelnetzunternehmen (ohne Einbezug von Bluewin TV / Swisscom) wäre diskriminierend und wettbewerbsverzerrend.»


Ende September behandelt der Nationalrat die Motion von Ständerätin Sommaruga, nach der alle frei verfügbaren Programme im Bereich des digitalen Fernsehens im Kabelnetz unverschlüsselt zu verbreiten seien – die Set-Top-Boxen zur Entschlüsselung der digitalen TV-Signale würden überflüssig oder die Konsumenten könnten zumindest ein Gerät ihrer Wahl nutzen, das zum Teil ja heute bereits im TV-Gerät eingebaut ist. Swisscable findet die Regelung unnötig und kontraproduktiv. Wieso?

Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Die wichtigsten sind:

– Im Markt für digitales Fernsehen herrscht Wettbewerb: Die Verbreitungswege Satellit, Antenne, Kabel, Internet und Telefondraht (Bluewin TV) stehen in direkter Konkurrenz zueinander. Weitere Anbieter wie Orange und Sunrise lancieren Digital-TV-Angebote via Glasfasernetze der Elektrizitätswerke, die zurzeit gebaut werden. In diesem funktionierenden Markt sind weitere Regulierungen überflüssig.
– Die Wettbewerbskommission und das Bundesamt für Kommunikation sehen in der Verschlüsselung von digitalem Fernsehen kein wettbewerbswidriges Verhalten.
– Die Grundversorgung ist mit der analogen Verbreitung via Kabel erfüllt. Alle wichtigen Programme können analog bis weit nach 2010 frei und unverschlüsselt empfangen werden.
– Eine asymmetrische Regulierung zu Lasten der Kabelnetzunternehmen (ohne Einbezug von Bluewin TV / Swisscom) wäre diskriminierend und wettbewerbsverzerrend. Eine symmetrische Regulierung (mit Einbezug von Swisscom) würde wohl zum Aus von Bluewin TV führen, was für den Wettbewerb und die Weiterentwicklung von Digital-TV ein grosser Rückschritt wäre. 
– Solange es keine Standards für Digital-TV gibt, die sicher sind und auch Interaktivität ermöglichen, müssen proprietäre Systeme in Kombination mit einer Grundverschlüsselung weiterhin erlaubt sein. Nur so können Qualität und Schutz des Signals (Stichwort Urheberrecht) sowie Zusatzfunktionen wie zum Beispiel Jugendschutz und Filme auf Abruf gewährleistet werden.
– Die Motion kann ohne Gesetzesänderung nicht umgesetzt werden. Eine Gesetzesänderung würde der internationalen Entwicklung des digitalen Fernsehens und der entsprechenden Standardisierung hinterher hinken; die nationale Entwicklung von Digital-TV würde behindert.


Welche konkreten Vorteile haben denn die Kunden mit der heutigen Lösung?

Zunächst einmal ist zu beachten, dass es schon heute verschiedene Lösungen, respektive Geschäftsmodelle gibt. Gewisse Kabelnetze verbreiten Digital-TV unverschlüsselt. Andere verschlüsseln die Programme zwar, geben aber bei Bedarf – statt einer Settop-Box – ein so genanntes Conditional Access Modul (CAM) ab. Eine dritte Gruppe von Netzen verschlüsselt die Programme und gibt zudem eine bestimmte Settop-Box vor. Die Vorteile dieses letzten Modells liegen darin, dass das Technologierisiko beim Anbieter (und nicht beim Nutzer) ist, dass die Nutzer keine Implementationsverantwortung haben und dass Zusatzfunktionen wie zum Beispiel elektronische Programmführer garantiert werden können. Ein optimaler Kundenservice kann zudem nur dann geleistet werden, wenn der Netzbetreiber die im Einsatz stehende Settop-Box kennt.


Was entgegnen Sie der Kritik, dass die Kabelnetzbetreiber in erster Linie nicht auf die Entschlüsselung verzichten wollen, weil sie mit den eigenen Set-Top-Boxen sehr gutes Geld verdienen?

Mit dem Verkauf oder dem Vermieten von Settop-Boxen ist sicher nicht das grosse Geld zu machen. Dies gilt insbesondere für die Basis-Settop-Box von cablecom, die ja bekanntlich zu einem regulierten Preis verkauft oder vermietet wird. Grundsätzlich ist es aber legitim, mit einem guten Angebot auch Geld zu verdienen. Die Settop-Box ist bei bestimmten Geschäftsmodellen integraler Bestandteil des Angebots. Jedoch ist sie Mittel zum Zweck und nicht Zweck selber.


Frau Bolla-Vincenz, besten Dank für das Interview.





Zur Person:


Ausbildung
– Schulen in Chur, Matura Typus E (1972)
– Juristisches Studium an der Universität Zürich, lic. iur. (1977)
– Dissertation Universität Fribourg, Dr. iur. (1978)
– Fürsprecher- und Notariatspatent Kanton Solothurn (1979)


Anwaltstätigkeit
– Seit 1980 eigenes Anwaltsbüro in Bern mit Schwerpunkt Telekommunikations- und Urheberrecht
– Geschäftsführerin Swisscable – Verband für Kommunikationsnetze
– Geschäftsführerin DUN – Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer


Behördentätigkeit
– Mitglied Institutsrat des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum
– Mitglied Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten


Zu Swisscable:
Swisscable ist der Wirtschaftsverband der Schweizer Kabel-TV-Unternehmen. Ihm sind 250 privatwirtschaftlich wie auch öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen angeschlossen, die rund 2,8 Millionen Haushalte und über 5 Millionen Menschen mit Radio und TV bedienen. Die meisten Kabel-TV-Unternehmen bieten auch Internetzugang und Telefonie an.

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