«Core Earnings»: Eine neue Norm soll mehr Wahrheit in die Bilanzen bringen


Seit dem Enron-Skandal schauen die Investoren in den USA genauer auf die Gewinnausweise der Konzerne. Neue Regeln von Standard & Poor´s bringen mehr Transparenz, nützen aber auch S&P selbst.

Von Andreas Müller

Die Exzesse mit Optionsentschädigungen in der Schweiz sind meist harmlos verglichen mit dem Ausmass solcher Praktiken in den USA. Vor allem Software und Hightech-Unternehmen stehen dort unter dem Generalverdacht, das Bilanzierungs-Prinzip des «true and fair view» in den Jahren des Booms zu locker gehandhabt zu haben. So sollen selbst renommierte Unternehmen wie Microsoft, IBM, Cisco oder Intel Mitarbeiter-Optionen in Milliardenhöhe nicht als Aufwand verbucht und damit den Gewinn künstlich aufgebläht haben.

Neues Konzept der «Core Earnings»Um mit dem Wildwuchs der geschönten Pro-Forma-Gewinne aufzuräumen, hat S&P das Konzept der «Core Earnings» eingeführt. Unter dieser Rechnungslegungsnorm, die den Gewinn der Kernaktivitäten eines Unternehmens erfasst, werden Restrukturierungskosten nicht mehr ausgeklammert, verschiedene ausserordentliche Gewinne dagegen nicht mehr berücksichtigt.

Ciscos Verlust mehr als doppelt so hoch
So steigt beispielsweise der Verlust des Netzwerkausrüsters Cisco im Jahr 2001 von 14 auf 35 Cents pro Aktie um mehr als das Doppelte! Der S&P 500-Index ist momentan mit einem moderaten Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22 bewertet. Wird der Gewinn der 500 grösstkapitalisierten US-Unternehmen jedoch nach der Core-Earnings-Methode berechnet, ergibt sich ein stolzes KGV von 30. Das kann die Investoren nicht kalt lassen. «Es ist richtig, dass diese Befunde nun diskutiert werden», sagt Mirko Sangiorgio von der Swissfirst Bank. «Die Anleger sind sensibilisiert.»

Viel Goodwill zurückgewonnen
Mit ihrer Initiative hat S&P viel Goodwill auf Investorenseite gewonnen. «S&P hat einen guten Vorstoss gemacht», sagt Markus Eberle von OZ Bankers. «Die Ratingagentur nimmt ihre Verantwortung wahr. » Solche positiven Kommentare kommen nicht überraschend, denn S&P hat sich mit der Rechnungslegungsnorm der Core-Earnings an die Spitze einer längst überfälligen Diskussion gestellt.

Lohnende Investition in S&P-Muttergesellschaft?Und dies nicht ganz uneigennützig. Denn gerade in unsicheren Zeiten sind Anleger bereit, für objektive Informationen über die Gewinnqualität ihrer Investments Geld in die Hand zu nehmen. S&P kann damit auch seine Position auf dem Informationsmarkt für professionelle Anleger ausbauen. Investoren, die an den kommerziellen Erfolg der S&P-Dienstleistungen glauben, können auch direkt profitieren und über die Muttergesellschaft McGraw-Hill (MHP) bei S&P einsteigen. Die Aktie legte seit Jahresbeginn 8 Prozent zu. Die Titel des kanadischen Konkurrenten Thomson Corp. (TOC) schnitten sogar noch etwas besser ab.


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