Daimler-Chef Zetsche: Indien ist das nächste China

Zetsche geht im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa auch darauf ein, was die Beschäftigten des DAX-Konzerns davon haben und was die Schwaben künftig besser machen müssen.


Frage: Setzt sich der Aufschwung bis zum Jahresende fort?


Dieter Zetsche: «Das Geschäft läuft gut. Der Oktober hat neuerlich sehr erfreuliche Absatzzahlen mit sich gebracht, der November lief ebenfalls gut. Insofern sind alle Zeichen positiv. Es gibt sicherlich auch ein paar gegenläufige Dinge wie Rohstoff- oder Wechselkursentwicklung. Aber insgesamt gesehen sind wir sehr zufrieden mit der Geschäftsentwicklung. Insofern kann ich unsere Prognose in vollem Umfang bestätigen.»


Wird Daimler die Mitarbeiter am Aufschwung beteiligen?


«Wir werden mit Sicherheit in Rechnung stellen, dass die Mitarbeiter einen signifikanten Beitrag geleistet haben, dass wir letztlich stärker aus der Krise hervorgegangen sind. Es zeichnet sich ab, dass sich ein signifikanter Erfolg und damit auch eine signifikante Erfolgsbeteiligung ableiten lässt.»


Erhöht Daimler nach dem Aufschwung die Zahl der Beschäftigten?


«Auch wenn wir wieder eine Wachstumsindustrie geworden sind, sind wir doch unverändert eine extrem wettbewerbsintensive Industrie. Gleichzeitig kommen Inhalte hinzu, die auch sehr stark durch die CO2- Ziele mit getrieben sind. Meine Prognose im Moment ist, dass wir tendenziell eine stabile Beschäftigung im Inland und im Ausland haben werden. Ich rechne nicht mit Problemen, kann allerdings auch keine signifikante Beschäftigungserhöhung in Aussicht stellen.»


Wird es einen neuen Pakt zur Beschäftigungssicherung geben?


«Für mich ist plausibel, dass wir uns am Ende darum kümmern müssen, dass wir tolle Produkte bauen, die die Menschen kaufen wollen. Das ist die beste Beschäftigungssicherung, die wir betreiben können. Wenn wir in eine Situation kämen, in der wir massive Beschäftigungsüberhänge hätten, würde sich ein wie immer definierter Pakt nicht verhindern lassen. Umgekehrt bedarf es in einer Situation stabiler Beschäftigung keiner Papiere.»


Welche Wachstumspläne hat Daimler in China?


«Wir prognostizieren, dass wir im Jahr 2015 über 300.000 Autos in China verkaufen werden. Die Zahl liegt eher noch an der unteren als der oberen Kante der möglichen Entwicklung.»


Will Daimler seine Präsenz in China ausbauen?


«Wir wollen in einigen Jahren 70 Prozent der Fahrzeuge für den chinesischen Markt vor Ort produzieren und den Rest importieren. Bisher ist das umgekehrt. Deshalb müssen wir bis 2015 die Kapazität in China auf über 200.000 Einheiten aufstocken. Da sind wir dabei. Die erste Ausbaustufe sind 100.000 Autos, das haben wir jetzt fast geschafft. Der zweite Punkt ist der Bau von Motoren. Das planen wir derzeit ganz konkret und haben dafür auch Investitionen freigegeben. Das dritte Element ist dann die Entscheidung, welche Fahrzeugbaureihen wir dort über die C- und E-Klasse hinaus industrialisieren wollen.»


Mit welchen Modellen will Daimler in China punkten?


«Das ist noch nicht abschliessend entschieden. Die Bandbreite geht von der Nachfolgegeneration der A- und B-Klasse über Geländewagen bis hin zu den Limousinen. Aber wir werden das nicht alles industrialisieren. Aus dem Portfolio werden wir zwei, drei weitere Modelle auswählen, die dort höhere Volumenchancen haben.»


Was verändert sich durch die China-Pläne für Deutschland?


«Das Wachstum lassen wir überproportional in China in der Produktion stattfinden. Das hat aber nichts mit einer Verlagerung zu tun. Wir werden auch weiterhin Wachstum in der Beschäftigung in Deutschland aus dem Chinageschäft heraus haben.»


Bleibt der chinesische Batterie- und Autohersteller BYD trotz seiner unzutreffenden Absatzprognose als Partner eine verlässliche Grösse?


«Fakt ist, dass BYD sein Absatzvolumen in diesem Jahr um 50 Prozent steigern wird. Aber BYD-Chef Wang Chuanfu selbst hatte eine Verdopplung in Aussicht gestellt. Natürlich ist es immer schlecht, wenn man dann seine Prognose kassieren muss. Bei dem Ziel für die Entwicklung eines gemeinsamen Elektroautos haben wir einen Meilensteinplan, was wir wann wie erreichen wollen. Und da sind wir genau im Zeitplan. Ich bin zurzeit sehr zufrieden mit der Entwicklung.»


Muss die deutsche Autoindustrie lokale chinesische Wettbewerber fürchten?


«Die Automobilindustrie wird künftig sehr stark auch von chinesischen Spielern bestimmt werden. Das wird sich schneller entwickeln als bei den Japanern und Koreanern. Ich glaube aber nicht, dass die deutschen Premiumhersteller in den nächsten 10 bis 20 Jahren nennenswerten Wettbewerb im Premiumsegment von chinesischen Herstellern bekommen werden.»


Nach dem Boom in China – was ist die nächste Wachstumsregion?


«Indien ist potenziell das nächste China. Was den Automarkt angeht, sehen wir dort inzwischen fast ähnliche Wachstumsraten; allerdings mit Fahrzeugen, die noch einmal deutlich niedriger im Preisniveau liegen und einem bisher sehr gering ausgeprägten Premiumsegment. Es ist die Frage, ob das nur eine Frage der Zeit ist – oder ob es in Teilen auch eine Frage der kulturellen Unterschiede ist. Auf der anderen Seite ist gerade in diesem Jahr eine relativ starke Dynamik im Premiumsegment eingetreten. Wir haben ursprünglich mal 3000 Einheiten dieses Jahr machen wollen, werden jetzt 5500 Einheiten oder mehr machen.»


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Wie entwickelt sich der deutsche Markt?


«In Deutschland und in Europa ist unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mit signifikanten Wachstumsraten zu rechnen. Wenn es ein oder zwei Prozent im durchschnittlichen Jahresmittel sind, dann wären das gute Werte. Darauf müssen wir uns einrichten.»


Hat sich Daimler in der Krise von überflüssigem Fett getrennt?


«Das ist ganz sicherlich so. Das ist ein bisschen so, wie sich Herbst und Winter auf einen Baum auswirken. Wenn man ihn zurückschneidet, kann er im Frühjahr wieder stärker ausschlagen. Eine Krise ist in diesem Sinne auch immer wieder eine Chance – keine willkommene, aber wenn es denn nun einmal so ist, dann wird es leichter, auch strukturelle Veränderungen zu erzielen, die einen voranbringen können.»


Hatten Sie Angst, dass Ihr Vertrag in der Krise nicht verlängert wird?


«Zu keinem Zeitpunkt. Es war interessant zu sehen, was es dort für Spekulationen gab. Die haben nach meiner besten Kenntnis weder der Aufsichtsrat noch ich zu irgendeinem Zeitpunkt geteilt. Insofern war das Theaterdonner, der unterhaltsam war, aber mit der Realität nichts zu tun hatte.»


Streben Sie eine weitere Vertragsverlängerung nach 2013 an?


«Ich habe den neuen Vertrag noch nicht angetreten. Das wird im Januar sein. Da ist es etwas verfrüht, über eine theoretische weitere Runde zu sprechen. Ich bin total entspannt, da wird man sich irgendwann im Verlauf der nächsten Vertragszeit mal darüber austauschen, wie das beide Seiten sehen. Ich habe sehr viel Spass an meinem Job; es gibt auch eigentlich keinen attraktiveren.»


Muss Daimler weiter sparen?


«Wir müssen in dieser Industrie ständig neue Potenziale suchen. Das wird weitergehen. Der Erfolg in diesem Jahr resultiert auch daraus, dass wir uns von Anfang an vorgenommen haben, mit aller Disziplin das, was wir bei den Kosten im letzten Jahr geschafft haben, jetzt nicht wieder zu verspielen.»


Wo liegen die grössten Kostenfaktoren in der Zukunft?


«Wir haben heute noch gar nicht die Fantasie uns vorzustellen, was uns in fünf Jahren als Hauptstellhebel wieder nach vorne treiben wird. Derzeit ist ein wichtiger Stellhebel die Modulstrategie, die uns tatsächlich signifikant und inzwischen über unsere ursprünglichen Annahmen hinausgehende Erfolge beschert. Gerade bei den vergleichsweise kleineren Stückzahlen der S-Klasse bringt die Möglichkeit, auf einen Baukasten zurückzugreifen, überproportional grosse Effekte mit sich.»


Muss Daimler effizienter werden?


«Wir müssen unsere Produktivität immer steigern. Das heisst nicht, dass der Einzelne immer mehr arbeiten muss, sondern dass wir immer effektiver arbeiten müssen und uns immer weniger nutzloses Arbeiten leisten können. Die erfreulichen Flexibilitätsgewinne, die wir in den letzten Jahren miteinander erarbeitet haben, müssen wir weiter vorantreiben.»


Machen Kooperationen mit anderen Autobauern Sinn?


«Kooperationen liefern uns deutliches Potenzial. Das gilt für die weniger spektakuläre, aber unverändert effektive Zusammenarbeit mit BMW. Und das gilt besonders auch für die Zusammenarbeit mit Renault-Nissan. Hier haben wir die Chance, in Teilbereichen auch weiter Kostenpotenziale zu erschliessen.»


Ist der Trend zu kleineren Autos nach dem Aufschwung in der Branche schon wieder vorbei?


«Wir müssen nachhaltig und nicht aus kurzzeitigem Modetrend die CO2-Emissionen unserer Fahrzeuge kontinuierlich und schnell reduzieren. Auch wenn es wahr ist, dass ein kleineres Auto bei sonst gleichen Bedingungen tendenziell weniger Sprit braucht als ein grosses, kann man daraus nicht schliessen, dass man sich am besten nur noch im Goggomobil bewegt.»


Warum kommen die neuen Smarts, die Daimler gemeinsam mit dem Partner Renault entwickelt, erst ab 2013?


«Wir sind zur Überzeugung gelangt, dass wir einen Partner brauchen, um mit dem Smart wirtschaftlich erfolgreich sein zu können. Und darüber haben wir über einen langen Zeitraum mit potenziellen Kandidaten gesprochen. Wenn wir den Partner früher gefunden hätten, wäre es schön gewesen, ein Jahr früher mit dem Smart-Nachfolger auf den Markt zu kommen.»


Hat Daimler Trends verschlafen?


«Es gibt eine Menge Trends, beispielsweise auch die zunehmende Urbanisierung. In der Stadt ist nicht notwendigerweise das grosse Auto das beste, das ist richtig. Deswegen machen wir den Smart und die nächste Generation der A- und B-Klasse, die viel breiter aufgestellt sein wird und sich in sehr viel grösseren Stückzahlen verkaufen wird als die heutige. Aber wir gehen mit gutem Grund davon aus, dass wir auch in der Zukunft signifikante Wachstumspotenziale mit der S-Klasse, E-Klasse und C-Klasse haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir weiterhin Reiselimousinen bauen und uns gleichzeitig in den kompakten Segmenten noch besser aufstellen als in der Vergangenheit.»


Wird die Kompaktklasse einen höheren Stellenwert in der Modellpalette haben?


«Wir werden erheblich mehr Fahrzeuge verkaufen und die Rentabilität deutlich verbessern können gegenüber der heutigen Situation. Wir werden aber sicherlich keinen höheren return on sales erzielen als wir das beispielsweise heute tun mit der S-Klasse und der E-Klasse.»


Mit welchen Modellen startet Daimler die Aufholjagd im Kompaktsegment?


«Die erste Aufgabe ist, dass wir mit dem B-Klasse-Nachfolger ein Auto im Sortiment haben, das die bisherigen Kunden der Kompaktklasse genauso zufriedenstellt. Zudem werden wir drei weitere völlig andere Fahrzeuge entwickeln, die auf der gleichen Architektur basieren. Alle vier werden einen Verknüpfungsgrad von über 70 Prozent haben. Wir spannen ein ganz breites Feld auf für ganz unterschiedliche Kundengruppen. Wir werden nicht alle vier Fahrzeuge in allen Regionen anbieten.»


Lobt der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche zu wenig?


«Es fällt immer leichter etwas zu kritisieren, womit man nicht zufrieden ist, als etwas Positives hervorzuheben und zurückzuspielen. Ich hoffe, dass es nicht ganz zu kurz kommt, aber es ist sicherlich weniger als ich das will.»


Welche Gefahren lauern für einen Spitzenmanager im persönlichen Umgang?


«Auf der einen Seite gibt es sehr viele, die einem schönreden. Nicht mir persönlich, sondern dem Vorstandsvorsitzenden. Das sollte man tunlichst als solches erkennen, sonst wird man irgendwann mal ein böses Erwachen haben. Führung verengt sich am Schluss auf eine Person. Insofern ist zwangsläufig auch die letztendliche Verantwortung auch eine, in der sie einsamer sind, als wenn sie im Team stehen. Das ist so, und damit muss man umgehen können, sonst sollten sie so einen Job erst gar nicht antreten. Ich glaube, ich kann damit gut umgehen.» (awp/mc/ps/07)

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