Das ist die IT-Strategie der «Bären»

Mit dem Kauf der drei Privatbanken Ferrier Lullin, Ehinger & Armand von Ernst und Banco di Lugano sowie des Vermögensverwalters GAM von UBS wuchs die Privatbank Julius Bär im September 2005 in eine neue Dimension. In der Folge stoppten die «Bären» das geplante Projekt, das Kernbankensystem von Avaloq einzuführen. Vor einem Jahr dann engagierte die Privatbanken-Gruppe Robert Schleich von der Credit Suisse als neuen Leiter IT und Operations. Im Gespräch mit inside-it.ch erläutert Schleich die Informatik-Strategie des nunmehr grössten Schweizer Vermögensverwalters der Schweiz.
 
Sie hatten die Aufgabe, die Informatik der drei übernommenen Banken in Julius Bär zu integrieren. Wie sieht Ihre IT-Landschaft heute aus?
 
Robert Schleich: Die drei Privatbanken wurden bereits vollständig integriert. Der letzte Schritt war per Ende März die Datenübernahme der ehemaligen Banco die Lugano. Wir haben die alten ‹Set-Ups› der drei Privatbanken aufgegeben und sämtliche Geschäftsfälle und Daten in die Bär-Plattform übernommen. Wir agieren nun als eine Bank mit einem System und gemeinsamen Prozessen. Dass das Management klar bestimmte, dass wir eine einzige Bank betreiben wollen, war das Schlüsselelement dafür, dass wir schnell und gut integrieren konnten. Ein solcher Entscheid war allerdings nicht einfach, er brachte uns aber die nötige Geschwindigkeit und auch in eine gute Kostenposition. GAM als Fonds-Provider ist technisch nicht integriert.
 
Was bedeutete der Entscheid die betroffenen IT-Abteilungen und ihre Mitarbeiter? Kam es zu Entlassungen oder fanden Sie andere Lösungen?
 
Robert Schleich: Wir haben sowohl die IT wie auch Banking Operations weitgehend in Zürich-Altstetten konzentriert. Das ermöglicht uns sehr effizientes Arbeiten. In Lugano betreiben wir noch einen Standort für die internationalen Plattformen. Die Reduktion von vier auf ein Bankensystem erlaubte uns, Synergien zu realisieren. Der gegenwärtig hervorragende Arbeitsmarkt und die langfristige Planung half uns, überall gute Lösungen zu finden.
 
Wie muss ich mir die Bär-Plattform vorstellen? Ein Mainframe-Rechner mit klassischer Software in Cobol?
 
Robert Schleich: Unser Kernsystem besteht tatsächlich aus einem Cobol-Mainframe-Rechner. Darauf laufen die typischen Banken-Applikationen, wie Kontoführung, Depotführung, Corporate Action oder Zahlungen. Darum herum gibt es Satellitensysteme, z.B. ein grosses SAP-System für die Buchhaltung und das Management-Informationssystem sowie verschiedene dezentrale Handelssysteme.
 
Vor ein paar Monaten haben wir nun – parallel zur Integration – drei grosse Initiativen gestartet. Die erste ist der Bau von neuen Frontsystemen. Das sind die Systeme, die von unseren Kundenbetreuern benützt werden. Da werden die Kundenportfolio betreut und analysiert. Dazu gibt es ein neues CRM-System. Als reine Privatbank haben wir den Vorteil, dass wir nicht den Spagat zwischen Retail- und Privatbank machen müssen und wir deshalb sehr spezialisierte Systeme bereitstellen können.
 
Langfristig wollen wir auf dem Portfolio-System eine Version bauen, die wir über Internet auch externen Vermögensverwaltern zur Verfügung stellen können. Zuletzt wollen wir dieses System auch für Endkunden zugänglich machen.
 
Die zweite Initiative zielt auf den Host. Wir wollen den Mainframe, in den wir in den letzten Jahren wenig investierten, re-engineeren. Dazu wollen wir die darauf laufenden Funktionalitäten auf reine Backoffice-Prozesse beschränken. Heute laufen auch gewisse Frontend-Prozessen auf dem Hostrechnern. Wir werden die Frontsysteme auch klar vom Mainframe entkoppeln.
 
Ihrem Hostrechner steht damit eine lange Zukunft bevor?
 
Robert Schleich: Unser Mainframe-System wird sicher noch lange «leben». Ich setze in meiner Strategie ganz stark auf die Skalierbarkeit des Systems. Das hat einerseits mit der Grösse zu tun, die wir erreicht haben und mit den Wachstumserwartungen. Für unsere Grösse brauchen wir bereits eine hochskalierende Maschine.
 
Unsere dritte Initiative betrifft die Systeme, mit denen wir unser Geschäft auswerten. Wir haben ein sehr gutes und modernes SAP. Damit und auch mit unserem Datawarehouse wollen wir die Funktionen, die nicht transaktionsbezogen sind, sauber von den auswertenden Systemen trennen.
 
Entwickeln Sie diese neuen Systeme selber?
 
Robert Schleich: Wo immer wir können, wollen wir nicht entwickeln, sondern kaufen. Wo immer es ein System wie SAP mit seinen vielen vorgefertigten Komponenten gibt, wollen wir diese nutzen. Das machen wir auch bei den Frontend-Systemen. Dies gibt uns die notwendige Geschwindigkeit, die wir heute auch benötigen.
 
Gibt es fertige Frontend-Tools für Banken von Ihrer Grösse?
 
Robert Schleich: Da gibt es durchaus einen Markt. Es gibt verschiedene Systeme rund um die Portfolio-Verwaltung und CRM-Funktionen. Ausgehend von unserem Portfolio-System, Triple A, implementieren wir eine CRM-Umgebung des gleichen Herstellers. Diese Strategie unterscheidet uns von den Grossbanken: Wir kaufen wann immer möglich Komponenten zu.
 
Wir haben gehört, Julius Bär habe sich für das Frontend für OTMS von IBM entschieden. Stimmt das?
 
Robert Schleich: Ja, wir werden OTMS in unserem Systemverbund einsetzen, allerdings nicht als Frontend-System, sondern aber als Order Routing System.
 
Damit ist das Thema Standard Core-Banking-System für Julius Bär auf absehbare Zeit vom Tisch?
 
Robert Schleich: Wir werden unseren Mainframe in den nächsten zwei oder drei Jahren nicht hinterfragen. Die Begründung liegt in der Strategie der Bank: Wir haben – notabene erfolgreich – unsere Volumina in den letzten 18 Monaten verdoppelt. Ich glaube, eine ähnliche Entwicklung gibt es in der Schweiz sonst nicht. Für uns ist damit entscheidend, dass wir weiter wachsen können und unsere Systeme das Wachstum mittragen. Grundsätzlich bin ich gespannt, welche Erfahrungen Raiffeisen oder die Bank Pictet mit ihren Avaloq-Implementationen machen werden. Trotzdem werden wir unser Backend in nächster Zeit sicher weiter pflegen. Wenn man die Skalierbarkeit eines Mainframe-Systems mit dezentralen Systemen erreichen wollte, würde man mit einer fast nicht mehr beherrschbaren Komplexität konfrontiert. Beim Mainframe genügt ein Telefon, um zusätzliche Kapazität freischalten zu lassen. Dazu kommt eine unerreichte Zuverlässigkeit der Systeme.
 
Wie weit ist Ihr Zeithorizont? Wie weit hinaus kann der CIO einer sehr grossen Privatbank heute planen?
 
Robert Schleich: Das Gesagte gilt sicher für die nächsten fünf Jahre. Wenn wir in drei Jahren die Weichen in eine andere Richtung stellen wollten, müssten wir jetzt mit der Planung beginnen.
 
Cobol ist eine sehr reife Technologie. Aber an der Uni gilt Cobol als langweilig. Finden Sie überhaupt noch die Spezialisten?
 
Robert Schleich: Der Markt für Cobol-Spezialisten ist sehr limitiert. Glücklicherweise finden wir noch immer Cobol-Spezialisten und es gibt zudem externe Firmen, die uns helfen können. Ich denke, wir haben durch unsere Grösse als Arbeitgeber an Attraktivität gewonnen. Man kann bei uns spannende Projekte umsetzen. Zudem haben wir einen Partner in Lettland gefunden, der Re-engineering-Arbeiten machen kann. Da geht es um etwa 30 Leute. Unsere Informatik ist sowieso noch sehr überschaubar. Wir haben etwa 300 Spezialisten und Spezialistinnen.
 
Wir versuchen diese Partnerschaft mit Riga weiter zu entwickeln und haben entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Wohlgemerkt: In Riga wird nur programmiert – es verlassen keinerlei Kundendaten die Schweiz. Getestet wird ausschliesslich hier.
 
An jedem Anlass der Finanzindustrie ist von «Business Process Outsourcing» und von «Industrialisierung der Dienstleistung» die Rede. Von Ihnen höre ich diese Begriffe nicht…
 
Robert Schleich: Strategisch beschäftige ich mich stark mit diesen Themen. Als Julius Bär fahren wir eine sehr klare Strategie: Alle Kernprozesse werden inhouse behalten. Es gibt Commodities wie Telefonie, die man auslagern kann. Diese Möglichkeiten prüfen wir weiter. Wir werden in den Bereichen, die nicht den Kern einer Privatbank darstellen, die Fertigungstiefe tendenziell weiter reduzieren.
 
Was müssen wir uns als Kernbereiche vorstellen?
 
Robert Schleich: Alle Prozesse, bei denen Kundendaten involviert sind, sind für uns Kernbereiche. Dies geht bis zum Druck von Kundenbelegen. Auch da sind Kundendaten involviert und wir behalten den Prozess deshalb im Hause. Ich glaube beispielsweise nicht, dass die Auslagerung des Informatik-Betriebs mit den Versprechungen gegenüber den Kunden bezüglich Datenschutz vereinbar ist.
 
Man sagt, dass 80 Prozent der Informatik-Ausgaben einer Bank für den reinen Betrieb aufgewendet werden. Stimmen diese Behauptungen?
 
Robert Schleich: Bei uns sind die Verhältnisse anders. Wir investieren 40 Prozent des Informatik-Budgets in unsere strategischen Initiativen. Beispielsweise um den Kundenservice zu verbessern oder um neue Finanzprodukte zu entwickeln. Ich denke, das ist für den zukünftigen Erfolg einer Bank entscheidend. Man sprach lange von einem steigenden Margendruck auf Schweizer Banken. Doch die Prognosen erfüllten sich nicht. Ein Treiber waren die Finanzprodukte, die dem Markt besser entsprechen und sehr schnell variiert werden können. Das entspricht einem hohen Kundenbedürfnis ist aber eine grosse Herausforderung für IT und Operations. Eine Bank, die die Innovationskraft nicht aufbringt, wird es schwer haben. Wer 80 Prozent für den IT-Betrieb ausgibt, wird auf lange Sicht Probleme bekommen.
 
Wie können Sie die Kosten für den Betrieb beeinflussen? Können Sie rationalisieren?
 
Robert Schleich: Wachstum ist entscheidend. Wir betreiben heute eigentlich vier Banken mit dem Setup einer Bank. Ich bin stolz auf unsere Infrastrukturleute, denn wir haben heute weltweit ein einziges PC-Setup. Solche Schritte muss man einen nach dem anderen machen. Man muss permanent standardisieren und ständig überprüfen, ob man auf dem Markt nicht eine Lösung kaufen kann.
 
Kann man das Verhältnis zwischen Ausgaben für Betrieb und Innovation noch verbessern? Ich denke an Schlagworte wie SOA?
 
Robert Schleich: Klar will jeder CIO dieses Verhältnis verbessern. Wichtig ist, permanent an den Fixkosten zu arbeiten. Tut man das nicht, steigen die Kosten für den Betrieb schleichend. Das Ziel muss sein, das Verhältnis zu halten. Die Fortschritte der Technologie helfen uns dabei. Denken Sie nur an die Verschmelzung von Telekommunikation mit IT. Die Umsetzung von «Unified Communications» ist technisch nicht mal sehr komplex. Auf der anderen Seite haben wir ein enormes Wachstum beim Speicherbedarf. Das Ziel muss also sein, ein gutes Verhältnis zwischen Betriebskosten und Innovation zu halten. (Inside-IT/Gespräch: Christoph Hugenschmidt/mc)

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