EU-Chefs streiten um Konjunkturanreize

Zwei Wochen vor dem Weltfinanzgipfel (G20) in London war zwischen den Staats- und Regierungschefs auch eine gemeinsame europäische Position beim Treffen der 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Erde umstritten. Ärger zwischen den Partner gab es auch über den Umgang mit Steueroasen.


Merkel machte vor dem Treffen klar, dass sie die Wirkung der ersten Konjunkturprogramme vor neuen Schritten abwarten will. Die 27 EU-Staaten hoffen mit Massnahmen im Wert von insgesamt 400 Milliarden Euro die dramatische Talfahrt der Wirtschaft stoppen zu können. Obama hatte die Europäer mehrfach aufgefordert, mehr Geld in die Hand zu nehmen.


«Östliche Partnerschaft»
Die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) kommen am 2. April in London zusammen, um nach Bankenmisere und Wirtschaftskrise eine neue Weltfinanzarchitektur auf den Weg zu bringen. Während Länder wie Deutschland oder Frankreich um einiges strengere Regeln und eine lückenlose Aufsicht für alle Finanzmarktteilnehmer fordern, bremsen die USA. Auf der Agenda der EU-Chefs standen zudem die «Östliche Partnerschaft» sowie Europas Beitrag zu einem neuen Weltklimaabkommen.


Topolanek und Barroso gegen neue Konjunkturprogramme
Der EU-Ratsvorsitzende und tschechische Regierungschef Mirek Topolanek sowie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprachen sich gegen neue Konjunkturprogramme aus. «Wir sollten nicht über einen neuen Plan sprechen, bevor wir nicht den alten umgesetzt haben», sagte Barroso.


«Europa sollte mehr als bisher tun»
Dagegen forderte der spanische Arbeitsminister Celestino Corbacho: «Ich denke, Europa sollte mehr als bisher tun». Es müsse ein zweites Konjunkturprogramm aufgelegt werden, um die Beschäftigung anzukurbeln. Damit habe auch Deutschland Probleme. Auch Frankreich plädiert für weitere Konjunkturanreize. Das amerikanische Konjunkturpaket umfasst gut 600 Milliarden Euro.


Generalsekretär John Monks vom Europäischen Gewerkschaftsbund EGB forderte weitere Staatshilfen, die vor allem den ärmsten Menschen zugutekommen sollten. «Wenn wir jetzt Geld in die Hand nehmen, um wie die Amerikaner die Wirtschaft anzuregen, dann können wir eine negative Entwicklung vielleicht abwenden», sagte Monks nach einem Treffen der europäischen Sozialpartnern mit der EU-Spitze.


Deutschland gegen EU-Konjunkturprogramm über 5 Mrd. Euro
Auf massiven Widerstand vor allem der Bundesregierung stiess weiter ein EU-Konjunkturprogramm im Wert von fünf Milliarden Euro. Deutschland – Europas grösster Beitragszahler – will nur Projekte finanzieren, die sofort umgesetzt werden können und so der Wirtschaft aus der Rezession helfen. «Wir werden auf der Zusage bestehen, dass nur solche Projekte gefördert werden, die in den Jahren 2009 und 2010 im Wesentlichen gestaltet werden», sagte Merkel am Rande eines Treffens konservativer EU-Spitzenpolitiker.


Juncker setzt sich zur Wehr
Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker wehrte sich dagegen, dass sein Land als Steuerparadies hingestellt wird und möglicherweise auf eine schwarze Liste der G20 gelangt. Juncker forderte mehr «Rücksicht auf die Befindlichkeiten kleinerer Staaten, besonders wenn sie der deutschen Sprache mächtig sind». «Ich wäre dankbar, wenn Deutschland nicht so täte, dass Luxemburg und Österreich unter dem deutsch-französischen Zangengriff zusammengebrochen wären.»


Schwarze Liste
In einem Entwurf für die EU-Abschlusserklärung fordern die EU-Chefs eine Schwarze Liste von Steuerparadiesen sowie Sanktionsmöglichkeiten, ohne einzelne Länder zu nennen. Diplomaten betonten, es sei offen, ob sich die Chefrunde auf das EU-Konjunkturpaket einigen könne, das Barroso vergangenen November vorgeschlagen hatte. Von den 5 Milliarden Euro sollen 3,9 Milliarden Euro dem Ausbau neuer Energieverbindungen dienen. Der Rest soll in die ländliche Entwicklung oder den Ausbau des Breitbandnetzes für schnelles Internet fliessen.


Wettbewerbsregeln
Deutschland und andere EU-Länder lehnen den Vorschlag auch deshalb ab, weil es sich um Geld handelt, das bisher in keinem Haushalt eingeplant und aus den nationalen Budgets zugeschossen werden müsste. Berlin muss neue EU-Gelder zu 20 Prozent bereitstellen, der Rückfluss läge nicht einmal bei der Hälfte. Die Bundesregierung fordert, dass die Wettbewerbsregeln für Breitband-Anbieter wie die Deutsche Telekom gelockert werden. Derzeit verhandeln die EU-Mitgliedstaaten über einen neuen Rechtsrahmen für den europäischen Telekomsektor. Industrievertreter fordern, dass Unternehmen, die in neue Netze investieren, diese eine Zeitlang nicht für andere Diensteanbieter öffnen müssen. Die EU-Kommission sieht darin den freien Wettbewerb behindert. (awp/mc/pg/32)

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