EU: Eher politisch-ökonomisches Kalkül als emotionale Begeisterung

«Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Identifizierung mit Europa vor allem von der persönlichen Einschätzung abhängt, ob das eigene Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert oder nicht», erklärt Heinz-Herbert Noll von der ZUMA-Abteilung Soziale Indikatoren.


Identifikation nicht verbessert
Die Identifikation der EU-Bürger mit der Europäischen Union hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verbessert. Obwohl die Integration Europas im politischen und ökonomischen Bereich enorm fortgeschritten ist, steht die Zugehörigkeit zum eigenen Land in den meisten EU-Ländern weiterhin im Vordergrund. Zudem fanden die Forscher heraus, dass sich EU-Bürger mit einem höheren Bildungsabschluss und einem höheren Einkommen eher mit Europa identifizieren als andere. Eine eher linke politische Einstellung steigert ebenfalls das Gefühl der Verbundenheit mit Europa. Der Nationalstolz lindert die Identifikation mit Europa dagegen nicht, sondern stärkt sie sogar.


Daten aus zwei unterschiedlichen europäischen Bevölkerungsumfragen
Für ihre Studie analysierten die Mannheimer Forscher die Daten aus zwei unterschiedlichen europäischen Bevölkerungsumfragen, der European Values Study aus dem Jahr 2000 und Eurobarometer-Umfragen aus verschiedenen Jahren. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass sich nur eine verschwindend kleine Minderheit der EU-Bürger in erste Linie als Europäer sieht. Die Definition mit dem eigenen Land schliesst jedoch die mit der EU nicht aus. 55 Prozent der EU-Bürger definieren sich durch ihre eigene Nationalität und zugleich als Europäer. Lediglich drei Prozent geben an, sich in erster Linie als EU-Bürger zu definieren. 42 Prozent definieren sich ausschliesslich durch ihre eigene Nationalität. Dieser Anteil variiert innerhalb der EU-Länder jedoch beträchtlich. Am seltensten bezeichnen sich Griechen und Briten als Europäer, während Europa in Luxemburg und Belgien einen höheren Stellenwert geniesst. Ein offensichtliches Ländermuster nach alten und neuen Mitgliedsländern, armen und reichen, nördlichen und südlichen konnten die Wissenschaftler jedoch nicht entdecken.


37 Prozent identifizieren sich ausschliesslich mit dem eigenen Land
Österreich liegt mit seinen Werten nahe am EU-Durchschnitt. In Deutschland geben 58 Prozent an, sich sowohl als Deutscher als auch als Europäer zu fühlen, 37 Prozent identifizieren sich ausschliesslich mit dem eigenen Land und fünf Prozent ist ihre Zugehörigkeit zur EU wichtiger. Von den 25 EU-Ländern übersteigt dieser Wert nur in Luxemburg zehn Prozent. «Dass sich die Luxemburger im Vergleich zu den anderen Ländern eher mit Europa identifizieren, liegt vermutlich auch daran, dass ihr Land durch die EU-Institutionen enorm profitiert», interpretiert Noll die Daten. «Insgesamt ist die Verbundenheit der EU-Bürger mit Europa weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.»


Schlechter im weltweiten Vergleich
Auch im weltweiten Vergleich schneiden die Europäer schlecht ab. Gefragt nach ihrer Identifikation, geben US-Amerikaner mehrheitlich an erster Stelle ihre Nation und an weiteren Stellen den amerikanischen Kontinent an. Im Vergleich mit der World Value Survey kamen die Mannheimer Forscher zu dem Ergebnis, dass der Anteil der US-Bürger, die den amerikanischen Kontinent als erste Wahl nennen, erstaunlicherweise nicht kleiner ist, als der Anteil der Europäer, die an erster Stelle Europa nennen. Auch an zweiter Stelle nennen die Europäer Europa kaum häufiger als die Amerikaner den amerikanischen Kontinent. (pte/mc/gh)

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