Fondation Beyeler: Action Painting

Jackson Pollock, wie er mit kreisenden, tänzerischen Bewegungen Farbe auf die am Boden liegende Leinwand tropfen lässt: Dieses filmisch vermittelte Image vom »action painter« hat nicht nur Pollock zum führenden Protagonisten einer der folgenreichsten Avantgarden des 20. Jahrhunderts werden lassen – es ist zum unverwechselbaren Signet der Moderne überhaupt geworden. Trotz aller Unterschiede zwischen dem europäischen Informel und dem amerikanischen Abstrakten Expressionismus überwiegen, von heute aus gesehen, die Übereinstimmungen. Die Künstler wagten einen geradezu revolutionären Neuanfang, indem sie traditionelle Grenzen der Kunst überschritten: In der radikalen Konzentration auf die spontane Malgeste sollte sich die Persönlichkeit des Künstlers unmittelbar auf dem Bild zeigen.

Eva Hesse
Eva Hesse, ohne Titel, 1961, Öl auf Leinwand, 169,5 x 215,9 cm Museum Wiesbaden

Von Höhepunkt zu Höhepunkt
Auf der Reise durch einen Mythos der Moderne begegnen uns neben Pollock weitere berühmte Maler wie Willem de Kooning, Clyfford Still, Sam Francis, Roberto Matta und Pierre Soulages ebenso wie Künstler, die einst gefeiert wurden, dann in Vergessenheit geraten sind und heute wiederentdeckt werden. Anhand der in der Ausstellung gezeigten Gemälde von Ernst Wilhelm Nay, Arshile Gorky, Wols, Morris Louis und Kazuo Shiraga werden die vielseitigen Bild-Möglichkeiten von Farbe und Malgeste offenkundig. Stellvertretend für die nachfolgende Künstlergeneration stehen Arbeiten von Eva Hesse und Cy Twombly, die den Begriff des Action Painting erweitert haben. Die Ausstellung präsentiert rund einhundert Werke von 27 Künstlern aus Europa, Süd- und Nordamerika und Asien.





Karel Appel – Arman – Lynda Benglis – Norman Bluhm – Jean Fautrier – Sam Francis – Helen Frankenthaler – Arshile Gorky – Hans Hartung – Eva Hesse – Gerhard Hoehme – Hans Hofmann – Asger Jorn – Franz Kline – Willem de Kooning – Lee Krasner – Morris Louis – Roberto Matta – Joan Mitchell – Robert Motherwell – Ernst Wilhelm Nay – Jackson Pollock – Kazuo Shiraga – Pierre Soulages – Clyfford Still – Cy Twombly – Wols

Abstrakt: als etwas Abgeleitetes
Grundsätzlich werden in der Ausstellung zwei Ausdrucksformen abstrakter Malerei, die auf »action« beruhen, ins Blickfeld gerückt: einerseits die Malgeste, die gleichsam auf der Leinwand »protokolliert« wird, und andererseits die vom Maler einer Art von gelenktem Zufall überlassene Farbe. Oft werden beide Arbeitsprinzipien kombiniert, was vor allem bei Jackson Pollock unverkennbar ist. Eine grosse Gruppe wichtiger Bilder Pollocks, die zwischen 1946 und 1953 entstanden ist und alle Möglichkeiten seiner künstlerischen Ausdrucksformen zeigt, bildet das Zentrum der Ausstellung. Darunter sind so legendäre Werke wie Out of the web (1949) aus der Staatsgalerie Stuttgart, Number 7 (1950) aus dem MoMA in New York und Search von 1955, das letzte vom Künstler vollendete Bild (Courtesy Galerie Hauser & Wirth). Pollocks Werke sind Manifestationen seiner Bewegungen, aber das Faszinierende an der von ihm angewandten Technik des Tropfens (»Dripping«) und Schüttens (»Pouring«) von Farbe auf den am Boden liegenden Malgrund ist vor allem, dass sich die Farbe in dem Moment, in dem sie sich zwischen der Hand des Malers und dem Malgrund befindet, der willentlichen Beeinflussung entzieht.
Diese Technik ist von verschiedenen Künstlern aufgegriffen und weiterentwickelt worden, zum Beispiel von Helen Frankenthaler, die Farbe nicht mehr als Malmittel verwendete, sondern sie wie ein Färbemittel in die Leinwand einsickern liess. Morris Louis erweiterte diese Methode. Seine grossformatigen »stained paintings«, radikal vereinfachte Bildschöpfungen, gehören zu den absoluten Sensationen dieser Ausstellung: Schon lange nicht mehr ist eine solch bedeutende Werkgruppe dieses Künstlers in Europa zu sehen gewesen. Gerhard Hoehme und Eva Hesse, beide von der gestischen Malerei kommend und mit grossen Bildkompositionen in der Ausstellung vertreten, haben sich in ihren Werken mit der Dreidimensionalität der Farbe auseinandergesetzt und Pollocks Gewebe aus Farbfäden gleichsam »weitergesponnen«. Lynda Benglis mit ihren gegossenen Farbskulpturen und Arman mit seinen Akkumulationen aus ausgedrückten Farbtuben haben auf höchst eindrückliche und durchaus ironische Weise »Action Painting« verarbeitet und als Ergebnis eines Prozesses, ja einer Performance ins Bild gesetzt.


Pierre Soulages, Peinture, 162 x 434 cm

Von Figuration zu Abstraktion
Die Variationsmöglichkeiten, um Farbe und Linie als Ausdruck von Bewegung darzustellen, sind schier unerschöpflich. Die Ausstellung, die Werkgruppen von Künstlern zeigt und im Wesentlichen chronologisch angelegt ist, lässt dies in reichem Masse deutlich werden: Man kann durchaus von einer eigenen malerischen Handschrift jedes einzelnen der Künstler sprechen. In kleinformatigen Bildern und Zeichnungen, oftmals beeinflusst von der surrealistischen Idee der »écriture automatique«, haben Künstler wie Jean Fautrier, Wols oder Hans Hartung gestische Zeichnungen und Gemälde geschaffen, in denen – insbesondere im Falle Fautriers – nicht eindeutig zwischen Figuration und Abstraktion unterschieden werden kann. Den Werken von Wols, der für Jean-Paul Sartre das Urbild des existenzialistischen Künstlers verkörpert, wird in der Ausstellung ein ganzer Raum gewidmet sein. Wenn man von malerischer Handschrift spricht, muss man auch Cy Twombly nennen, von dem ebenfalls eine Werkgruppe in der Fondation Beyeler zu sehen sein wird. Einen Kontrast zu seinen subtilen Inskriptionen bilden die mit den Füssen gemalten »Farborgien« Kazuo Shiragas, des wichtigsten Vertreters der japanischen Künstlergruppe »Gutai«. Seine Bilder, deren Ausführung Phasen intensiver Meditation vorausgingen, sind vor allem durch Pollock inspiriert worden.

Gibt es die Grenzen des Figurativen?
Dass der einstmals in der Kunstkritik kontrovers diskutierte Gegensatz zwischen Figuration und Abstraktion den meisten Künstlern nicht wirklich zwingend erschienen ist, wird in der Ausstellung durch die Gegenüberstellung von ausgewählten Werke der Cobra-Maler Karel Appel und Asger Jorn und den signifikanten Bildern des grossen Malerstars Willem de Kooning überzeugend belegt: Alle diese Künstler gingen, wie auch Pollock, von der Darstellung der Figur als Ausgangspunkt für ihre Bildkompositionen aus.

Der Blick von Europa nach Amerika
Besonders interessant ist, wie eng die Verbindungen von Europa nach Amerika waren. Arshile Gorky, ein Überlebender des Genozids an den Armeniern und in die USA emigriert, eignete sich zuerst die Werke der europäischen Vorbilder Cézanne und Picasso an und begann dann, darauf aufbauend und sich gleichzeitig davon befreiend, seinen eigenen gestischen Stil zu entwickeln: Gorky ist in diesen Breitengraden immer noch zu wenig bekannt. Ähnlich der aus Deutschland stammende Hans Hofmann: Nach Anfängen unter dem Einfluss von Henri Matisse wurde er nach seiner Übersiedelung in die USA nicht nur ein Pionier gestischen Malens, der schon vor Pollock mit dem Tropfen von Farbe auf die Leinwand experimentierte, sondern auch der Lehrer einer ganzen Generation von Künstlern der »New York School«. Dazu zählt zum Beispiel auch Lee Krasner, die zu Unrecht vor allem in ihrer Eigenschaft als Ehefrau von Jackson Pollock beurteilt wird – ihre Bilder weisen sie als herausragende abstrakte Malerin aus. Auch Künstler wie Joan Mitchell und Sam Francis, die lange in Europa lebten, gingen frei mit den Anregungen um, die ihnen beispielsweise Claude Monet bot, und verbanden sie mit ihren durch die New York School geprägten Erfahrungen. Francis› fantastisches Gemälde Round the World aus der Sammlung Beyeler bildet das Zentrum einer höchst eindrucksvollen Gruppe von Werken des Künstlers aus den späten 1950er-Jahren.






Die befreiende Geste
In den USA, vor allem aber auch in Europa ging mit der Entwicklung der abstrakten gestischen Kunst die Befreiung vom kleinen Bildformat einher. Ein Pionier in dieser Hinsicht war Roberto Matta, der vielleicht nicht im engeren Sinne ein »action painter« war, der aber durch seine grossformatigen und grossformatig wirkenden »Bildgalaxien« gerade für Künstler wie Jackson Pollock, aber auch für Franz Kline und Clyfford Still beispielgebend war. Von Kline und besonders auch von Still mit seinen wunderbaren, sublim zerklüfteten Bildern sind eindrucksvolle Werke zu sehen.
Ernst Wilhelm Nay, in der Tradition von Wassily Kandinsky und Paul Klee stehend und heute zu Unrecht nur noch wenig beachtet, war in Europa einer der Ersten, die das ganz grosse Format für ihre Farbkompositionen wählten. Das fast völlig vergessene, monumentale Freiburger Bild (1956), ein Auftragswerk für die Universität Freiburg im Breisgau, konnte für unsere Ausstellung ausgeliehen werden – eine veritable Sensation. Das jüngste Kunstwerk in der Ausstellung stammt von Pierre Soulages, dem Doyen der französischen informellen Malerei, der Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre seine ersten Erfolge feierte, etwa zur gleichen Zeit wie Pollock. Von ihm, dem letzten noch lebenden Vertreter der ersten Generation von »action painters«, sind fünf Beispiele aus allen seinen Arbeitsphasen zu sehen.

Deutlich wird, in welch hohem Masse die gestische Malerei für ein aktiv betrachtendes Publikum gemalt worden ist, wie sehr alle diese Bilder nach einem Betrachter verlangen, durch den sie erst vollendet werden. Kunst, die sich auf Künstlerpersönlichkeit, Geste und Material konzentriert, benötigt den teilhabenden, sich mit ihr auseinandersetzenden Betrachter: »Action Painting« lädt ein zu »Action Viewing«.

Die zur gleichen Zeit wie die Bilder produzierten Filme, die erstmals authentische Einblicke in den Arbeitsprozess der Künstlern gewähren, spielen in der Ausstellung eine wichtige Rolle. An erster Stelle sind hier die beiden 1950 entstandenen Filme von Hans Namuth zu nennen, die von unschätzbarem Wert sind, indem sie enorm viel über den Schöpfungsprozess der Bilder aussagen. In einer vom New Yorker Architekturbüro Diller Scofidio + Renfro gestalteten, spektakulären Rauminstallation werden neben diesen beiden Filmen noch weitere gezeigt, darunter auch Alain Resnais› Fragment gebliebener Dokumentarfilm über Hans Hartung von 1947.

Es ist uns wiederum gelungen, Museen von höchstem Rang wie das MoMA und das Whitney Museum in New York, die National Gallery of Art und das Hirshhorn Museum in Washington, das Louisiana Museum for Moderne Kunst in Humlebæk ebenso wie das Kunstmuseum Basel, das Kunsthaus Zürich und die Kunsthalle in Bern als Leihgeber zu gewinnen. Zudem war es möglich, aus vielen bedeutenden Privatsammlungen Leihgaben zu erhalten. (fb/mc/th)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert