Fondation Beyeler: Henri Matisse – Figur Farbe Raum

Henri Matisse ist der Künstler der Stunde: Der grosse Pionier der Moderne, der in seinen Farb- und Formkompositionen die Möglichkeiten der Figuration und in gewisser Weise der Abstraktion bis an deren Grenzen ausschöpfte und zugleich darüber hinaus wies, ist bis in unsere Zeit ein ungeheuer einflussreicher Maler geblieben. Seinem Werk, das voller Brüche ist, dennoch aber als stetige Entwicklung zu verfolgen, widmet die Fondation Beyeler die erste umfassende, retrospektiv angelegte Ausstellung seit über 20 Jahren in der Schweiz.







Die Pinselstriche so dicht wie intensiv
Thema ist Matisse? ebenso revolutionäre wie faszinierende Durchdringung, Neudefinition und Überwindung von dargestelltem Raum durch Figur und Farbe. Gezeigt werden ca. 160 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und druckgrafische Arbeiten aus allen Schaffensperioden des Künstlers.

Odaliske mit türkischem Sessel.


Wenn ein Interieur nur Anlass zu einer Welt der Farbe ist
Die Ausstellung beginnt mit seinen frühen Interieurs der 1890er Jahre, die eine besondere Ruhe ausstrahlen und deren dunkle Farbgebung noch ganz der Tradition des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist. Das änderte sich schlagartig während Matisse? fauvistischer Phase ab 1905: Die Farben scheinen regelrecht zu explodieren, auch wenn die ruhige Anordnung der gemalten Gegenstände beibehalten wurde. In den folgenden Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, in denen sich Matisse? Ruf als Avantgardist festigte, wurden seine Bilder grossflächiger, dabei abstrakter und seine Motive gewagter. Zu dieser Zeit entstanden im Auftrag der russischen Sammler Schtschukin und Morosow die berühmten Bildkompositionen wie La Danse und La Musique. Während der Jahre des Ersten Weltkrieges schien die Farbe wieder aus den Bildkompositionen, die radikal geometrisch wurden, zu verschwinden. Diese Entwicklung kann als Reaktion auf die politischen Ereignisse der Zeit gedeutet werden. Die darauf folgende, oft nicht verstandene »Rückwende« Matisse? zu den scheinbar so unkompliziert lieblichen Odaliskensujets der 1920er Jahre in Nizza ist jedoch wohl richtiger als eine Art Befreiung von der Abstraktion zu sehen, die den Künstler seiner Auffassung nach in eine Art Sackgasse geführt hatte.


Figuren und Modelle bündeln die Kraft des Raums
Besonders während seiner zweiten Lebenshälfte bezog sich Matisse in seiner Kunst sehr stark auf die von ihm gemalten Modelle, die ihn weniger als Persönlichkeiten, sondern eher im Sinne einer figurativen Funktion im Raum interessierten. Vor allem Lydia Delectorskaya, sein bevorzugtes Modell während der 1930er Jahre, seine Assistentin und möglicherweise auch Geliebte, ist hier zu erwähnen. Ihre körperliche Präsenz und Ausstrahlung, die Matisse stark inspirierten und die er in vielen immer wieder überarbeiteten Bildern festhielt, brachte ihn dazu, seine »Versuchsanordnung« von Figur, Farbe und Raum immer mehr zu einem System von Zeichen zu reduzieren, das schliesslich in die grossartigen Scherenschnitte der Spätzeit mündete. Matisse? Werk und Leben als Künstler, das in dieser Ausstellung in exemplarischer Weise dokumentiert wird, ist also nicht frei von Brüchen, Sackgassen und Kehrtwendungen; doch ist die Entwicklung in Richtung der von Matisse angestrebten »Décoration« als vollendeter Kunstform folgerichtig und in der Fondation Beyeler in geradezu beglückender Weise zu erleben.


Wieder einmal ist es gelungen, eine grosse Anzahl von Leihgaben aus amerikanischen und europäischen Museen in der Fondation Beyeler zu versammeln und zudem viele private Kunstsammler zu Leihgaben zu bewegen. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. (fb/mc/th)


Der Katalog ist im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, in Deutsch und Französisch erschienen. Er enthält Beiträge von Philippe Büttner, Isabelle Monod-Fontaine und Ulf Küster sowie einen umfangreichen Tafelteil. Die englische Fassung des Katalogs entspricht der Düsseldorfer Ausstellung.

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