Fotomuseuem Winterthur: Geschichten, Geschichte

Dies zwingt die erzählende, vertiefend dokumentierende Fotografie nach neuen Wegen zu suchen, um den Wegfall von Publikationskanälen wettmachen und die eigene Autorenschaft in neuen, anderen Medien und mit anderen Finanzierungen behaupten zu können. In den letzten Jahren hat zudem eine auffallende Verlagerung stattgefunden, die das fotografische Dokument in andere Kontexte einbettet, einerseits in Werbung und Mode (weil da Realitätsnähe gesucht war) und andererseits in die Kunst, um es so vom aktuellen Ereignis und seiner schnellen Verbreitung abkoppeln und es mit deutlich verlangsamter Wahrnehmung und einem konzeptuellen Zugriff in Büchern und Ausstellungen präsentieren zu können. Die in der Ausstellung «Set 3» vertretenen Bildautoren sind in diesem Sinne keine klassischen Reportagefotografen mehr. Sie arbeiten nicht für Zeitungen und Zeitschriften und suchen auch nicht das ikonische, heute zum Auktionsklassiker mutierende Menschenbild. Vielmehr haben einige in ihren Arbeiten eine Haltung zur erzählerischen Fotografie entwickelt, die es ihnen ermöglicht, den Zwängen einer auf Verwertbarkeit ausgerichteten Vermarktung in Magazinen und Zeitschriften zu entkommen. Nach dem Verlust der herkömmlichen Distributionswege von Fotografie in den vergangenen Jahren ist es lohnend zu verfolgen, welche Schlüsse und Erkenntnisse für die zukünftigen Produktions- und Distributionsmethoden von Dokumentarfotografie gezogen werden.


Der soziologisch motivierte Blick
Heute tätige Künstler und Fotografen wie Takashi Homma, Stephen Wilks oder Andreas Gurksy greifen Methoden und Haltungen auf, die bereits in den 1970er und 1980er Jahren von bekannten Figuren wie Lee Friedlander, Joel Sternfeld oder Lewis Baltz genutzt wurden. Mit soziologisch motiviertem Blick, konzeptuellem Rüstzeug und einem Gespür für das Unvorhersehbare hatten sich diese Fotografen jeweils einen kleinen Ausschnitt der amerikanischen Kultur zum Thema gemacht. Das bereits reproduzierte Bild ist Ausgangslage für Rémy Markowitschs und Dennis Adams fotografische Arbeiten. Einmal ist es das gedruckte Buch, ein anderes Mal die Berichterstattung über die Entführung von Patricia Hearst in nationalen und internationalen Tageszeitungen, die als Quelle und Inspiration für das jeweilige künstlerische Werk dient. Während Markowitsch vierzig Jahre später die ethnographischen Reisen des französischen Kulturphilosophen Claude Lévy-Strauss aufgreift und durch seine Bilddurchleuchtungen weiterinterpretiert, bringt Adams die Unfähigkeit und den Unwillen der berichtenden Presse auf den Punkt, ein klar konturiertes Bild der schillernden amerikanischen Verlegerstocher zu zeichnen.

Äusseres und Inneres zusammen bringen
Die mediale Vielfalt von neuen fotografischen Erzähl- und Dokumentationsweisen kann bereits in dieser übersichtlichen Auswahl aufgezeigt werden. Für dokumentarisch tätige Fotografen und Fotografinnen ist es eine der markanten Aufgaben, die äusseren Rahmenbedingungen mit der eigenen inneren Haltung in Einklang zu bringen und dies mit den ethischen, moralischen und politischen Inhalten, die sie transportieren möchten, zu verknüpfen. (fw/mc/th)

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