Fred Kindle: „Wir müssen ABB stärker auf Effizienz und Effektivität trimmen“


Mit Fred Kindle steht zum ersten Mal in der Geschichte der ABB ein Schweizer an der Spitze des Energietechnik- und Automations-Konzerns. Im Interview mit moneycab äussert er sich zum zu den ambitiösen Zielen, dem Kulturwandel, den ABB den durchmachen muss und Chancen des Werkplatzes Europa.


Fred Kindle, CEO ABB: Mit Knochenarbeit zu höherem Gewinn
Von André Schäppi

Moneycab: Herr Kindle, ABB hat vor kurzem die Jahresresultate 2004 präsentiert. Sind Sie mit dem Erreichten zufrieden?

Fred Kindle: Ja, wir haben sehr viel erreicht und konnten das Ergebnis um eine Milliarde Dollar verbessern. Nach drei Verlustjahren konnten wir somit zum ersten Mal wieder einen Gewinn ausweisen. Die zwei Kerngeschäfte Automatisierungstechnik und Energietechnik konnten dieses Jahr abermals operative Fortschritte machen und sind stark gewachsen. Auch die Bilanzsituation der ABB ist wesentlich komfortabler als früher. Daneben gibt es aber auch kritische Punkte: Das Asbestproblem ist noch nicht gelöst, die Verwaltungskosten müssen weiter gesenkt werden und Einmalaufwendungen haben den Gewinn zu stark verwässert. Auch in der Sparte Energietechnik bleiben unsere gestreckten Ziele unverändert ehrgeizig.


«Wenn ABB gerüstet ist, könnte auch die Energieerzeugung ein Thema sein.» Fred Kindle, CEO ABB



Die Marge für die Division Energietechnik betrug 2004 nur 7% und ist damit recht weit vom vorgegeben Ziel für 2005 von 10% entfernt. Ist das nicht unrealistisch? Welches sind die wichtigsten Einflussfaktoren?

Nein, das ist nicht unrealistisch, aber ehrgeizig, weil eine solche Marge bis heute im Energietechnikmarkt noch nicht erreicht wurde. Aus meiner Sicht sind wir auf gutem Weg, denn wir konnten im Vergleich zu 2004 einige wichtige Ertragsprobleme lösen.
Das uns belastende Geschäft im Leitungsbau wurde grösstenteils restrukturiert und befindet sich im Verkaufsprozess. Dies kostet uns 2005 noch einen kleineren Millionen-Betrag, was gegenüber den Abschreibungen von 75 Mio. USD im 2004 vergleichsweise gering ist.
Dann haben wir im Systemgeschäft aufgrund des guten Bestellungseingangs –im Hinblick auf die Marge und auf die betriebliche Auslastung – eine wesentlich bessere Situation als noch vor einem Jahr. Somit haben wir ein gutes Fundament für die 10% Marge, zumal der wichtige Produktbereich sehr erfolgreich wirtschaftet. Aber wir brauchen natürlich die unverändert gute Marktentwicklung, damit dieses Resultat zustande kommt. Daneben gibt es Risikofaktoren wie die Rohstoffpreise oder die Währungseinflüsse, deren Entwicklung wir nicht kennen.. Wenn sich etwa der Dollar gegenüber dem Euro weiter verschlechtert, ist das für uns nicht gut, denn wir haben nach wie vor einen grossen Teil der Wertschöpfung in Europa.

Das Produktivitätssteigerungsprogramm Step Change wurde Mitte letztes Jahr abgeschlossen, nachdem auf das Jahr umgerechnet Kosten von mehr 900 Mio. US-Dollar eingespart werden konnten. Wird es ein Nachfolgeprogramm geben oder ist man heute mit der Produktivität besser als die Konkurrenz?

Nein, es gibt kein ähnliches Nachfolgeprogramm. Der Grund liegt darin, dass Step Change eine nachhaltige Wirkung entfaltet hat. In der Zwischenzeit ist ABB stark gewachsen und wir haben keinen ausserordentlichen Restrukturierungsbedarf. Aber die Konzernkosten müssen wir angehen, denn wir wollen dieses Jahr von über 500 Mio. USD auf 450 Mio. runterkommen. Produktivität ist übrigens nur ein Massstab. Es gibt jedoch andere Faktoren, die die Rentabilität von ABB in den letzten Jahren negativ beeinflusst haben wie etwa Abschreibungen oder Projektkostenüberscheitungen. Ich glaube, dass wir bezüglich Produktivität im Vergleich zur Konkurrenz nicht schlecht dastehen.

Aber es besteht ein gewaltiger Kostendruck durch die Dynamisierung der Märkte und der Druck zur Verlagerung von Arbeitsplätzen z. B. nach Asien wird nicht nachlassen. Sehen Sie Chancen für Europa?

Als Märkte sind China und Indien vor allem eine riesige Chancen für uns. Unsere europäischen Werke profitieren derzeit in einem ganz erheblichen Masse von der positiven Entwicklung in Asien. Für die Schweizer ABB Operationen hat China beispielsweise gerade Deutschland den Rang als wichtigster Exportmarkt abgelaufen.
Aber Europa ist einem grossen und zunehmenden Wettebewerbsdruck aufgrund der sehr niedrigen Produktionskosten in Asien ausgesetzt. Für Europa bestehen Chancen bei denjenigen Produkten, die sich durch einen beträchtlichen Innovationsgrad auszeichnen und einen hohen Qualitätsanspruch erfüllen sowie für Produkte, die infolge hoher Automatisierung geringe Lohnkosten in der Herstellung erzeugen. Oder anders ausgedrückt: Produkte, bei denen im Zentrum der Wertschöpfung die vergleichsweise „einfache Arbeitskraft“ steht, sind einem starken Druck für eine Verlagerung nach Asien ausgesetzt.

Im November 2004 gab ABB eine 100 Mio. USD Investition in ein indisches Forschungszentrum sowie die geplante Aufstockung des Personals auf 500 bekannt. Ist das der Beginn der Verlagerung der Forschung in die Wachstumsmärkte?

Grundsätzlich gibt es auch im Bereich Forschung und Entwicklung Projekte, die in Indien oder China günstiger realisiert werden können. Auch verfügen diese Länder über ganz hervorragende Fachleute.
Aber die Forschungsstandorte von ABB in Europa sind gut aufgestellt. In der Forschung kann sich der Westen durchaus behaupten. Wenn Unternehmen wie wir kontinuierlich ihre Investitionen im Forschungsbereich in Europa tätigen, wird in diesen Ländern ein günstiges Umfeld erhalten, um längerfristig bestehen zu können. Dazu kommt aus meiner Sicht, dass Forschung nicht zwingend geografisch nahe beim Absatzmarkt sein muss. Selbstverständlich ist ein Aufrechterhalten des Forschungsstandortes nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche Entwicklung in Europa. Wichtig sind auch weitergehende Reformen im Arbeitsmarkt.

Junge Ingenieure frisch von der Universität winken beim Namen ABB ab. Ist ABB als Arbeitgeber nicht mehr attraktiv?

Das halte ich für eine falsche Darstellung der Situation. Wir erhalten viele sehr gute Bewerbungen und deren Anzahl übersteigt die Zahl der offenen Stellen. Gemäss einer Erhebung in der Schweiz ist beispielsweise ABB bei naturwissenschaftlich-technischen Hochschulabsolventen die Nummer 1 als Wunscharbeitgeber, noch vor sehr renommierten Unternehmen aus dem IT-Bereich. Wir bieten ja ein internationales Umfeld mit vielen Freiräumen und das spricht junge Leute an. Gerade für Ingenieure haben wir als weltgrösstes Unternehmen für Energietechnik und führendes Unternehmen in der Automation spannende Aufgaben.

In Deutschland gibt es noch eine Baustelle, nämlich die Gebäudetechnik. Wie weit ist man mit dem Verkauf?

Operativ hat die deutsche Gebäudetechnik im 4. Quartal den Break-Even erreicht und ist verkaufsbereit. Das Geschäft ist nun in ordentlicher Verfassung, aber das Umfeld der schlechten Baukonjunktur in Deutschland erleichtert den Verkauf nicht. Wir waren in Gesprächen mit Interessenten, bestehen nach der erfolgreichen Restrukturierung aber auf einen angemessenen Preis. Wir sind nicht unter Zugzwang, dieses Geschäft möglichst rasch zu verkaufen, sondern werden uns die notwendige Zeit nehmen, die Interessen aller Betroffenen zu wahren.

Sie haben ein drei Säulenprogramm, um ABB zu führen, das auf Strategie, Umsetzung und Menschen basiert. Bei welchen Säulen setzen Sie die Prioritäten und was heisst das für die Mitarbeiter?

Im Bereich Strategie sind wir heute richtig positioniert. In den Bereichen Umsetzung und Menschen hingegen besteht Handlungsbedarf. Da geht es um Disziplin, Ausführung, Kontrolle, Motivation und Kommunikation, kurz wie führe ich betrieblich das Geschäft. Das führt natürlicherweise auch zum Thema „Menschen“.
In der Vergangenheit wurde Priorität auf das Thema Wachstum gelegt. Dies müssen wir heute ergänzen und ABB stärker auf Effizienz und Effektivität trimmen. Die bisherige, grundsätzlich sehr wertvolle Wachstumskultur wird seit einiger Zeit stärker durch Kostenmanagement ergänzt. Das ist ein Prozess, der mehrere Jahre dauern wird und letztlich auch einen Kulturwandel bedeutet.

Jürgen Dormann hat den Turnaround geschafft. Fred Kindle muss das Wachstum in Gang bringen. Wie?

Ich glaube nicht, dass ich das Wachstum in Gang bringen muss, da wir bereits sehr gut in den Kerngeschäften wachsen. Aber wir müssen das Wachstum pflegen und dafür sorgen, dass wir aus dem bestehenden System mit mehr Effizienz bessere Nettoresultate erzeugen.

ABB wird vermutlich erst mittelfristig wieder extern wachsen, zum Beispiel durch Übernahmen oder Partnerschaften. Ihr Vorgänger Dormann hat entsprechende Absichten angekündigt. Ist der Wiedereinstieg in den Kraftwerksbau z.B. mit Alstom beziehungsweise Areva nach wie vor eine Option? Oder denken Sie an andere Möglichkeiten?

Wenn ABB soweit gerüstet ist, dass grössere Themen angepackt werden können, könnte auch die Energieerzeugung ein Thema sein. Das muss nicht notwendigerweise durch eine Übernahme geschehen. Auch Partnerschaften sind durchaus denkbar. Aber das sind Spekulationen, die sich heute nicht lohnen. ABB hat verschiedenste Ausbaumöglichkeiten. Ob die Energieerzeugung in Zukunft wieder einen stärkeren Stellenwert erhalten wird, ist heute völlig offen.

Könnte sich ABB finanziell eine Übernahme überhaupt leisten?
Nein, heute sicher nicht. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt wirtschaftlich nicht sinnvoll noch gibt es Veränderungen im Markt, die dies erforderlich machen. Die Hauptaufgabe bei ABB besteht darin, den erfolgreichen Turnaround zu verstetigen und die hervorragende Ausgangsposition, die wir in unseren Geschäften haben, durch operative Massnahmen in höheren Erfolg umzusetzen.

China ist nach den USA und Deutschland der drittgrösste Markt. Wie sehen sie die Entwicklung für die einzelnen Länder in den nächsten 5 Jahren für ABB?

Positiv für China, denn das Wachstum ist seit 15 Jahren ansehnlich hoch. Ich bin überzeugt, dass ABB in den nächsten Jahren vom kontinuierlichen Wachstum profitieren kann. In den amerikanischen Markt haben wir Zuversicht, da wir sehen, dass die Wirtschaft sich im Bereich Automatisierungstechnik gut entwickelt und ein riesiger Nachholbedarf für Investitionen in der Elektrizitätsübertragung besteht. Anders hingegen sehe ich leider die Situation in Deutschland, wo der Konjunkturmotor bereits wieder am Stottern ist.

Wie ist ABB in den grossen Märkten Amerika, Europa und China gegenüber der Konkurrenz positioniert?

In allen Märkten sind wir in der Energietechnik hervorragend platziert und in vielen Ländern Marktführer. Unser Automationsgeschäft hat ein breites Potfolio, dennoch gehören wir in den grossen Märkten in den meisten Geschäftsfeldern zu den drei führenden Unternehmen.

Gemäss einer Studie des World Energy Council rechnet man beim Stromsektor weltweit mit einem überdurchschnittlichen Wachstum. Allein für Deutschland sind bis zum Jahr 2020 mindestens 45 neue Kraftwerke sowie laufzeitverlängernde und leistungserhöhende Maßnahmen bei über 200 Kraftwerken notwendig. Geschätztes Investitionsvolumen: über 30 Mrd. €. Sind das nicht verlockende Aussichten für ABB?

Im Bereich Energieübertragung besteht tatsächlich ein grosser Nachholbedarf. In China wird dies konsequent angegangen. Das Problem besteht in Nordamerika und in Europa vor allem darin, dass aus regulatorischer Sicht zu wenig Klarheit besteht, welche Renditen ein Investor erwarten kann. Und solange diese Unklarheit besteht, werden vor allem in Nordamerika nur die nötigsten Investitionen getätigt. Dieses Problem wird aber sicherlich gelöst werden, weil die Investitionen letztlich unabdingbar sind.

Bei all dem geht es ausserdem – insbesondere in dem immer enger zusammenwachsenden Europa – um die Sicherung einer verlässlichen und effizienten Netzstruktur. Größere Stromausfälle in jüngerer Zeit in Nordamerika und in einigen Ländern Europas müssen als Warnung ernst genommen werden.
Ist es da nicht falsch, wenn man die Aktivitäten im Bereich Leitungsbau jetzt einstellt?

Nein, Leitungsbau ist vom Technologiegehalt ein vergleichsweise wenig anspruchvolles Geschäft und zudem vom Umsatz her völlig unbedeutend für ABB. Dieses Geschäft ist vor allem für lokale Unternehmen interessant. In einem derartigen Umfeld kann sich ein Grosskonzern nicht durch Vorteile auszeichnen. Unsere Stärke liegt in der anspruchsvollen Technik und im Systemgeschäft für Stromverteilung und Stromübertragung.


Moneycab Interviews Fred Kindle 
Der 1959 geborene Fred Kindle ist Liechtensteiner und Schweizer Staatsbürger. Nach seinem Maschineningenieurstudium (Dipl.-Ing.) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) arbeitete er zwei Jahre im Marketing bei Hilti. 1986 bis 1988 absolvierte er einen MBA-Kurs in Chicago. 1988 bis 1992 arbeitete er als Unternehmensberater bei McKinsey in Zürich und New York. 1992 bis 1999 leitete er Sulzer Chemtech, ab 1999 Sulzer Industries. Von 2001 bis 2004 war er CEO von Sulzer und seit 2003 bis zu seinem Übertritt zu ABB auch Mitglied des Verwaltungsrats von Sulzer. Ab September 2004 arbeitete er sich bei ABB ein, seit Januar 2005 amtet er als CEO von ABB.

ABB
ABB hat 2004 nach drei Jahren mit schweren Verlusten wieder die Gewinnzone erreicht. Mit einem Umsatz von 20.7 Milliarden USD weist ABB für 2004 einen Konzerngewinn von gut 200 Mio. USD aus. Der Konzern beschäftigt in rund 100 Ländern etwa 102000 Mitarbeitende.

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