Jean-Daniel Gerber, Direktor des Seco: «Der Höhepunkt im Konjunkturzyklus ist erreicht»

Von Alexander Saheb


Moneycab: Wo steht die Schweiz heute wirtschaftlich?


Die Wirtschaftslage der Schweiz ist tatsächlich sehr gut. Sie kann auf vier Faktoren zurückgeführt werden: Erstens die weltweite Konjunkturlage, die im Allgemeinen gut ist. Zweitens haben sich viele Schweizer Firmen in den vergangenen Jahren erfolgreich restrukturiert. Drittens hat die Personenfreizügigkeit einen rechten Wachstumsschub ausgelöst. Als vierten Faktor möchte ich den Schweizer Franken anführen, dessen Aussenwert zwar gemäss Nationalbank nicht unbedingt seinem wahren Wert entspricht, von dem aber die Exportindustrie stark profitieren konnte.



«Allerdings bleibt Wachstum absolut notwendig. In den vergangenen 20 bis 25 Jahren lag das Durchschnittswachstum der Schweizer Wirtschaft zwischen 1 und 1,5 Prozent.Das ist eindeutig zu wenig» Jean-Daniel Gerber, Direktor des Seco


Welcher Einfluss bestimmt die heutige Situation am stärksten?


Welcher Faktor für die heutige Situation determinierend ist, wird sich erst in einer Rezessionsphase zeigen, die im Rahmen normaler marktwirtschaftlicher Zyklen sicher kommen wird. Wenn eine solche Rezessionsbewegung die Schweizer Wirtschaft überproportional treffen sollte, dann war der heute treibende Faktor die weltweit gute Konjunktur. Sollte die Schweiz unterproportional betroffen sein, geht es heute wegen der gut restrukturierten Firmen aufwärts.


Wo stehen wir nach Ihrer Meinung heute im Konjunkturzyklus?


Der Höhepunkt ist erreicht. Wir gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum weltweit und auch in der Schweiz im kommenden Jahr verlangsamen wird. Wenn es so weiter ginge wie bisher, könnte es in gewissen Branchen zu Überhitzungserscheinungen kommen. Deshalb ist eine Rückbesinnung auf ein normales Niveau nicht schlecht. Für die Schweiz rechnen wir 2008 mit einem BIP-Wachstum von 1,7 Prozent.


Allerdings bleibt Wachstum absolut notwendig. In den vergangenen 20 bis 25 Jahren lag das Durchschnittswachstum der Schweizer Wirtschaft zwischen 1 und 1,5 Prozent. Das ist eindeutig zu wenig, wenn wir das demographische Defizit, das die Schweiz in einiger Zeit aufweisen wird, kompensieren wollen. Dafür bräuchten wir ein Trendwachstum von idealerweise 2,2 Prozent. Dann könnten wir die Sozialwerke ohne Reformen finanzieren. Doch das ist unwahrscheinlich und ich rechne mit einem tieferen Trendwachstum.


In guten Konjunkturphasen wie der jetzigen hinkt die Kostenentwicklung in den Unternehmen der Ertragslage oft hinterher. Kommt da nicht noch ein Erfolgsdämpfer auf die Wirtschaft zu?


Das ist korrekt. Nicht klar ist, ob sich die Schweizer Unternehmen genug restrukturiert haben oder ob der Exportsektor künstlich vom vergleichsweise tiefen Schweizer Franken stimuliert wurde. Ausserdem wurden die erzielten Wirtschaftswachstumsraten vom Finanzsektor und dem Höhenflug der Börsen überproportional beeinflusst.


Könnte aus all diesen Faktoren nicht eine unerwartet starke Wachstumsverlangsamung resultieren?


Doch, das ist möglich.


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Welche Branchen werden in Zukunft Chancen haben, welche weniger?


Wir haben uns in den vergangenen 100 Jahren zu einer Wissensgesellschaft gewandelt. Bill Gates gehören keine Ländereien und Industrien. Er hat ein spezielles Knowledge und ist damit der reichste Mann der Welt geworden. Ich sehe Trends hin zur Biotechnologie, neuen Materialien, Lösungen für unsere Energieprobleme, Informatik, als chancenreiche Gebiete. Hätte man mich aber 1990 gefragt, was in zehn Jahren kommen werde, ich hätte kein Wort von Biotech und neuen Materialien gesagt. Diese Entwicklungen entscheiden der Markt und die Unternehmen, nicht die Beamten.



«Dank der Personenfreizügigkeit findet ein Braindrain zugunsten der Schweiz statt.»


Aktuelles Stichwort Klimaschutz: Setzen Sie darauf dass Unternehmen und marktwirtschaftliche Kräfte die Situation regulieren oder werden Sie der Wirtschaft diesbezügliche Leitplanken setzen?


Wir haben derzeit noch keine Berechnungen zu den wirtschaftlichen Folgen der Klimaveränderung für die Schweiz angestellt. Hingegen prüfen wir bereits jetzt alle Regulierungen und Massnahmen auf ihre Auswirkungen auf Mensch und Natur.


Wie wird sich der Zuzug zahlreicher EU-Ausländer angesichts der Personenfreizügigkeit in den kommenden Jahren entwickeln und welche Branchen werden vorrangig von diesen ausländischen Fachkräften Gebrauch machen?


Dank der Personenfreizügigkeit findet ein Braindrain zugunsten der Schweiz statt. Die Schweiz braucht vor allem in den technischen Wissenschaften Fachkräfte, an denen gegenwärtig ein grosser Mangel besteht. Hätten wir in der aktuellen guten Konjunkturlage nicht die Personenfreizügigkeit, wir kämen in einen richtigen Flaschenhals hinein, was das Wachstum hemmen würde.


Was wird geschehen wenn die Konjunkur nachlässt, die Firmen Personal abbauen und die eingewanderten Arbeitskräfte als Arbeitslose die Sozialsysteme belasten?


Natürlich wird in einer Rezession die Arbeitslosenkasse verstärkt beansprucht. Aber diese Personen haben auch eingezahlt und damit ein Recht auf die Unterstützung. Derzeit sehen wir aber kein Problem, weil es sich bei den Zugewanderten um hoch qualifizierte Arbeitskräfte handelt. Diese haben auch in Rezessionszeiten weniger  Mühe, eine Stelle zu finden. Die meisten Menschen, die ausgesteuert werden, sind in der Regel Personen mit wenig Qualifikationen oder über 50-jährige..


Und aus den östlichen EU-Staaten kommen nicht in nennenswertem Umfang unqualifizierte Arbeitskräfte ins Land?


Das ist vorderhand nicht der Fall.


Vielen Dank für das Gespräch!



Der Gesprächspartner:
Staatssekretär Jean-Daniel Gerber ist seit April 2004 Direktor des SECO. Zuvor war er seit 1998 Direktor des Bundesamts für Flüchtlinge. Von 1993 bis 1997 amtete er als Exekutivdirektor und Dean (1997) des Rates der Weltbankgruppe. 1973 erfolgte sein Eintritt in die Bundesdienste. Der 1946 geborene Gerber schloss sein Studium der Volkswirtschaft an der Universität Bern mit dem lic. rer. pol. ab. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sein persönliches Motto lautet «Ut Melius Fiat» (Auf dass es besser werde).


Das Seco:
Das SECO ist das Kompetenzzentrum des Bundes für alle Kernfragen der Wirtschaftspolitik. Sein Ziel ist es, für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sorgen. Dafür schafft es die nötigen ordnungs- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Innenpolitisch wirkt das SECO als Schnittstelle zwischen Unternehmen, Sozialpartnern und Politik. Es unterstützt die regional und strukturell ausgewogene Entwicklung der Wirtschaft und gewährleistet den Arbeitnehmerschutz.  Aussenpolitisch arbeitet es aktiv an der Gestaltung effizienter, fairer und transparenter Regeln für die Weltwirtschaft mit. Zur Verminderung der Armut engagiert sich das SECO in der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit.

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