Jürg Bucher, CEO PostFinance: «Partnerschaft ist für uns nicht bloss ein Lippenbekenntnis»

Moneycab: Herr Bucher, PostFinance hat mit 159 Millionen Franken das Betriebsergebnis vom Vorjahreshalbjahr (133 Mio.) übertroffen. Wo liegen die Gründe für diesen Erfolg?


Jürg Bucher: Dieses Ergebnis ist eine Teamleistung der Mitarbeitenden von PostFinance; ich bin stolz, dass das PostFinance-Schiff auf Erfolg segelt. Die Ergebnisverbesserung basiert auf der Einführung des neuen Preismodells per Mitte 2004 und einer Verbesserung des Erfolgs aus dem Zinsgeschäft. Dazu beigetragen haben auch der Neugeldzufluss von über 2 Milliarden Franken sowie eine weitergeführte Kostenbeschränkung.

«PostFinance macht den Einkauf mit dem Handy im Laden möglich. Wir präsentieren als erstes Finanzinstitut eine Zahlungslösung, die online auf ein Konto zugreifen kann. Man kann daher erstmals auch grosse Beträge mobil bezahlen.» Jürg Bucher, CEO PostFinance


Der Neugeldzufluss betrug in den ersten sechs Monaten 2,04 Milliarden Franken gegenüber 1,8 Milliarden in der Vorjahresperiode. Woraus leitet sich diese Zunahme ab?

Trotz der tiefen Zinsen ist es uns gelungen, mehr Kundengelder zu akquirieren als in der Vorjahresperiode. Wir werten diese Zunahme einerseits als Vertrauensbeweis gegenüber PostFinance. Andererseits haben wir aber auch interessante Produkte, wie Anlagen für Geschäftskunden oder das elektronische geführte Deposito-Konto. Auf diesem Konto bezahlen wir einen im Vergleich zu den Mitbewerbern höheren Zins. Damit sind wir besonders für Kunden interessant, die konventionell sparen möchten.


Seit Juni 2004 bietet PostFinance in Kooperation mit der UBS Kreditprodukte für Gemeinden und KMU an. Ende Juni betrugen die Ausleihungen rund 1,4 Milliarden Franken. Wie beurteilen Sie den Start dieses Angebots nach einem Jahr?

Das Kreditgeschäft bei den Geschäftskunden von PostFinance entwickelt sich gut. Mit vielen Gemeinden besteht seit vielen Jahren eine gute Zusammenarbeit. Die Kunden schätzen, dass sie nun alle Finanzprodukte, auch die Fremdfinanzierung, aus einer Hand beziehen können.

Bei den KMU wächst das Interesse an unseren Produkten. Bei den Abschlüssen müssen wir uns noch verbessern. Das Kreditgeschäft ist stark von längeren Geschäftsbeziehungen und Vertrauen geprägt. Es ist unser Ziel, die potentiellen Kunden noch besser kennen zu lernen. Und wir wollen bei den KMU auch unsere Bekanntheit als Finanzinstitut erhöhen. Deshalb werden wir in nächster Zeit entsprechend aktiv am Markt auftreten.


PostFinance etabliert sich seit zwei Jahren auch auf dem Schweizer Hypothekarmarkt. In dieser Zeit haben Sie Wohneigentum in der Grössenordnung von einer Milliarde Franken finanziert. Mitte dieses Jahres betrug die Zahl der privaten Hypothekarkredite 3´337. Sind Sie zufrieden mit dieser Entwicklung und wo liegen Ihre Ziele?

Wir sind stolz, dass wir als Neuling mit erst zweijähriger Marktpräsenz bereits Wohneigentum im Wert von über einer Milliarde finanziert haben. Der Markt ist hart umkämpft und oft ist der Preis das entscheidende Kriterium. Deshalb hat PostFinance im Oktober 2004 die Aktion «6 Monate gratis wohnen» lanciert. Die Nachfrage und die Abschlüsse haben sich seither vervielfacht. Diesen Schwung wollen wir ausnützen.

Einer Umfrage des Internet-Vergleichdienstes comparis.ch zufolge sind die Schweizer wenig wählerisch, wenn es um Hypotheken geht; die meisten wickeln Hypothekargeschäfte gleich über ihre Hausbank ab. Bei 2,93 Millionen Kundenkonten muss das für Sie eine verlockende Aussicht sein. Warum lohnt es sich besonders, Wohneigentum mit PostFinance zu finanzieren?

Unser breiter Kundenstamm ist tatsächlich ein grosser Trumpf. Zudem bietet PostFinance mit der oben erwähnten Aktion «6 Monate gratis wohnen» sehr attraktive Konditionen an. Ein weiterer Vorteil ist die Nähe zu unseren Kunden: Heute gibt es neben den 2´500 Poststellen in der ganzen Schweiz 28 PostFinance Beratungscenter. Finanzspezialisten beraten dort die Kundschaft über unsere Produkte. Auch hier gehen wir innovative Wege: auf Wunsch besuchen unsere Berater die Kunden auch zu Hause oder an einem vom Kunden gewünschten Ort. Und wir haben im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern auch am Samstag geöffnet.


Im abgelaufenen Halbjahr hat PostFinance im Bereich Vertrieb und Informatik 98 Vollzeitstellen geschaffen; bis Ende Jahr sollen weitere 38 Stellen dazukommen. Welche Entwicklungen bedingen diesen zusätzlichen Bedarf?

Ich bin stolz, dass PostFinance in den letzten sieben Jahren über 700 neue und qualifizierte Vollzeitstellen geschaffen hat. Dies steht im Zusammenhang mit unserer Weiterentwicklung. Seit Mitte der 90er Jahren haben wir laufend Finanzprodukte eingeführt, so dass wir unseren Kunden heute die gleiche Produktpalette wie eine Retailbank anbieten können. Die gesetzlichen Vorschriften zur Umsetzung der Geldwäschereibekämpfung nehmen mehr Ressourcen in Anspruch. Deshalb schaffen wir neue Stellen zurzeit vor allem im Vertrieb, in der Informatik und in der Compliance.


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PostFinance zählte Ende Juni 624´000 Online-Benutzer. Was unternimmt PostFinance, um im Schweizer E-Banking weiterhin Nummer eins zu bleiben?

Das wichtigste Standbein von PostFinance ist der Zahlungsverkehr, das E-Banking ist ein Teil davon. Damit wir in diesem Bereich auch in Zukunft die Nase vorn haben, prägen wir die technische Entwicklung an vorderster Front mit. Mit yellownet zählten wir zu den ersten Anbietern einer E-Banking-Lösung in der Schweiz. Mit yellowbill hat PostFinance als erste Unternehmung ein Angebot zur elektronischen Rechnungsstellung und -bezahlung lanciert. Auch in der mobilen Kommunikation ist PostFinance präsent: Handykunden können Prepaid-Karten am Postomaten aufladen; der Betrag wird direkt dem Postkonto belastet. Besonders freut es mich, dass PostFinance als weltweit erstes Finanzinstitut bis Ende Jahr das Einkaufen mit dem Handy testet.


E-Banking bietet auch Gefahren. Anfangs Juni wurden Online-Kunden von PostFinance von «Phishern» heimgesucht, die mit gefälschten E-Mails den Kontoinhabern vertrauliche Daten entlocken wollten. PostFinance ist – ohne dazu verpflichtet zu sein – für die entstandenen Schäden bei den Online-Benutzern aufgekommen. Dürfen unvorsichtige Online-Kunden auch künftig mit der Ihrer Grosszügigkeit rechnen?

Wir haben nach der Phishing-Attacke allen unseren yellownet-Kunden einen Brief nach Hause geschickt, in dem wir sie auf die Gefahren aufmerksam gemacht haben. Auch auf dem Internet haben wir zusätzliche Warnungen aufgeschaltet. Bei der Attacke Anfangs Juni haben einige wenige Kunden ihre Sicherheitsdaten weitergegeben, worauf Betrüger Geld von deren Konten abgehoben haben. PostFinance hat die Schäden der betroffenen Kunden übernommen, obwohl wir rechtlich dazu nicht verpflichtet gewesen wären. Partnerschaft ist für uns nicht bloss ein Lippenbekenntnis, wir handeln auch entsprechend.


Haben Sie unterdessen die Urheber dieser Datenklau-Attacke ausfindig machen können?

Die Urheber konnten nicht ausfindig gemacht werden. Die weltweite elektronische Vernetzung von Informatiksystemen kann grosse Vorteile bieten. Bei der Phishing-Attacke war dies für uns jedoch ein Nachteil: die wahren Urheber können sich möglicherweise örtlich ganz woanders befinden, als man denkt.


Faktisch ist PostFinance längst eine Bank. Die Erlangung einer Bankenlizenz bleibt trotz des negativen Bundesratsentscheids von 2001 erklärtes Ziel von Postchef Ulrich Gygi. Was könnte eine Postbank AG, das PostFinance verwehrt bleibt?

PostFinance ist das fünftgrösste Finanzinstitut der Schweiz. Es ist an der Zeit, dass wir gleich lange Spiesse wie unsere Mitbewerber erhalten. Dies gilt sowohl für das Produktangebot als auch die branchenübliche Aufsicht.

Der Wettbewerb in der Finanzbranche wird härter. Um konkurrenzfähig, flexibel und preisgünstig zu bleiben, muss PostFinance die Geschäftstätigkeit erweitern können. Wir wollen Produkte und Dienstleistungen auch in Eigenregie und auf eigenes Risiko anbieten können. Dadurch kann der Erfolg von PostFinance breiter abgestützt werden. Die Kundengelder sollte PostFinance in der Schweiz im Kreditmarkt platzieren können anstatt mehrheitlich in ausländische Anlagen zu investieren wie es heute zunehmend geschieht. Gleichzeitig wird eine branchenübliche Aufsicht angestrebt, was zur Erhöhung der Transparenz im Schweizer Finanzmarkt beiträgt.


Von Dezember 2004 bis April 2005 hat PostFinance mit der Kudelski-Gruppe ein Pilot-Projekt für elektronische Tickets durchgeführt. Die Tester, deren Postcard mit einem zusätzlichen Chip ausgerüstet wurde, konnten im Internet Zutritts- oder Nutzungsberechtigungen auf ihre Postcard laden. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Pilot-Versuch ziehen?

Sehr positive! PostFinance und die Kudelski-Gruppe haben auf Grund der guten Erfahrungen des Versuchs entschieden, dass die Postcard definitiv zur elektronischen Eintrittskarte wird. Ab Sommer 2006 können sich Postkontoinhaber den Zugang zu Veranstaltungen, die bei Ticketcorner im Vertrieb sind, auf eine Postcard mit einem zusätzlichen Chip laden. In einer ersten Phase wird dies vor allem auf Sportveranstaltungen (z.B. Eishockeyspiele) und grössere Events zutreffen. Für den Veranstaltungsbesucher bringt dies Vorteile: er kann sich den Zutritt bequem zu Hause im Internet auf die Postcard laden. Die Bezahlung ist auch gleich erledigt: sie erfolgt automatisch mit der Belastung des Postkontos.


Seit Juli testet PostFinance in Bern auch ein neues Mobile-Payment-System. Wo liegt der Unterschied zu den bereits bestehenden Systemen anderer Anbieter?

PostFinance macht den Einkauf mit dem Handy im Laden möglich. Wir präsentieren als erstes Finanzinstitut eine Zahlungslösung, die online auf ein Konto zugreifen kann. Man kann daher erstmals auch grosse Beträge mobil bezahlen. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Lösung für alle Mobilfunknetzbetreiber eignet. Zudem ist sie offen konzipiert, damit auch andere Finanzinstitute an die mobile Payment-Plattform angeschlossen werden könnten.


Auf diesem Herbst werden Sie ihr Mandat im Stiftungsrat der Pensionskasse der Post niederlegen, nachdem die Zustimmung der Pensionskasse zum Doppelmandat bei Nestlé zu einer Kontroverse um Ihre Funktion geführt hat. Hat Sie der plötzlich entstandene Medien-Hype um Ihre Person überrascht?

Ich durfte als Mitglied des Stiftungsrates und Präsident des Anlagenausschusses den Aufbau der Pensionskasse Post mitgestalten. Ich freue mich über die grossen Fortschritte und die überdurchschnittlich gute Performance unserer Anlagen in den letzten zweieinhalb Jahren. Deshalb kann ich mit dem temporären Wirbel um meine Person leben.


Im Rahmen ihrer verschiedenen partnerschaftlichen Engagements ist PostFinance auch im Eishockey tätig, unter anderem mit dem Topscorer-Konzept. Nachdem der NHL-Lockout dem Schweizer Eishockey in der letzten Saison zu zusätzlicher Attraktivität verholfen hat, trauern Sie der nun erzielten Einigung in Übersee nach?

Nein, überhaupt nicht. Es ist im Interesse aller Sportfans, dass in der NHL gespielt wird. Jeder Spieler will auf einem möglichst hohen Niveau spielen und die weltbesten Spieler treffen sich dort. Ich bin stolz, dass sich auch Schweizer Spieler in der NHL durchsetzen. In der letzten Saison wurde in der Schweiz hochklassiges Eishockey gespielt, ganz im Interesse der Eishockeyfreunde. Doch nicht nur Ausländer spielen gut. Die Resultate der Schweizer Nationalmannschaft zeigen, dass auch wir etwas davon verstehen. Ich freue mich auf eine spannende Saison in der Schweiz.


Herr Bucher, wir danken Ihnen für dieses Interview. (stö)







Jürg Bucher
CEO PostFinance, Mitglied der Konzernleitung Post

Geboren am 2.8.1947
Zivilstand: verheiratet, ein Sohn
Wohnort: Wichtrach-Bern

Jürg Bucher hat an der Uni Bern Betriebs- und Volkswirtschaft, Finanzen und Journalismus studiert (lic.rer.pol.) und Zusatzausbildungen in Management, Controlling und Corporate Finance absolviert.
1976 trat er in die damaligen PTT-Betriebe ein und war von 1985 bis 1993 stellvertretender Finanzdirektor und von 1989 bis 1993 Leiter des unternehmensweiten Controllings.
Im Sommer 1996 wechselte Jürg Bucher zu PostFinance als stellvertretender Leiter und bis 2001 als Marketingverantwortlicher.
Seit 1.1.2003 steht er PostFinance als Leiter vor und ist Mitglied der Konzernleitung Post. Als Verwaltungsrat ist er Mitbegründer des Gründerzentrums Bern, der ersten schweizerischen Unternehmung zur Förderung von Jungunternehmen.


PostFinance
PostFinance ist ein ertragsstarker Geschäftsbereich der Schweizerischen Post. Als eigenständiges, umfassendes und konkurrenzfähiges Finanzinstitut entwickeln wir Lösungen für nahezu alle Geldangelegenheiten.

Kennzahlen PostFinance 2004:
Geschäftsertrag (Mio. CHF) 986 
Betriebsergebnis (Mio. CHF) 287 
Personalbestand (Personaleinheiten) 2’246 
Bilanzsumme (Mio. CHF) 44’166

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