Kirchner Museum Davos: Miriam Cahn – überdachte Fluchtwege

Im Kirchner Museum wird in einem Raum das aktuelle Werk Cahns mit unterschiedlichen Bildgruppen wie beispielsweise der vielteiligen Serie meine juden vorgestellt. Die Werkgruppen (Gemälde und Zeichnungen) lassen die künstlerischen Anliegen Cahns anschaulich werden: Einerseits bewahren die differenziert gestalteten Gemälde ihre Autonomie als Kunstwerk, bestehen in einem eigenen ästhetischen Raum, losgelöst von jeder Bezugnahme auf die Realität. Sie können als handwerklich vollkommene Äquivalente zur Sichtbarkeit gesehen und «genossen» werden.


Mit den Augen von Camus «L’Etranger»
Andererseits findet die Künstlerin in ihren Darstellungen zu essentiellen Aussagen über die Befindlichkeit des Menschen in einer Welt, die diesem immer fremder wird. In den Architektur-, Landschafts-, Tier- und besonders Menschenbildern ? auf den ersten Blick einfache, auf den zweiten Blick äusserst durchdachte Kompositionen ? spiegelt und bricht Cahn unsere Weltsicht, die von Ängsten, Sehnsüchten und Vorurteilen geprägt ist. Hier trifft sich ihre Kunst mit jener Kirchners, für den das einzelne Werk ebenfalls immer ein Mittel war, um über Ausserkünstlerisches, Allgemeinmenschliches zu diskutieren oder die Diskussion darüber anzuregen.


Ein Panorama entfaltet sich
Mit ihren Eingriffen in die Präsentation der «ständigen Ausstellung» (und damit in das eigentliche Museum) wird Miriam Cahn hingegen das kreative Denken, die Transformation von Wirklichkeit in Kunst, auf assoziative Art und Weise vergegenwärtigen. Ausgehend von einem Raum, in dem erstmals alle 160 im Kirchner Museum bewahrten Skizzenbücher Kirchner in Kombination mit digitalen Fotoausdrucken nach Negativen des Künstlers und einzelnen Zeichnungen gezeigt werden, entfaltet Cahn ein Panorama künstlerischen Tuns, das von der ersten Idee über die Skizze bis zum vollendeten Werk reicht.


Durch die Weltaneignung blättern
Nachvollziehbar wird der künstlerische Gestaltungsweg (Kirchners, aber auch der Künstler im Allgemeinen) für den Betrachter in der Wandelhalle des Museums, in der die auf insgesamt 9 Tischen ausliegenden fotokopierten Skizzenbücher dazu einladen, sich durch die Kirchner?sche Weltaneignung zu «blättern». In zwei Räumen des Museums wird eine dichte Hängung der Gemälde Kirchners zum einen die flammende Intensität bzw. Expressivität und Vielgestaltigkeit dessen Kunst visualisieren, zum anderen wird Kirchners in eigenen Hängungen (Winterthur 1923; Bern 1933) verfolgtes Konzept des «All-Over», der Überwältigung der Sinne, reflektiert.


Das eigenständige Künstlerbuch
Das Künstlerbuch Miriam Cahns begleitet die Ausstellung, ist aber gleichzeitig autonomer Bestandteil, da mit den Texten der Künstlerin ihr eigenes Schaffen historisch und emotional kontextualisiert wird, in einen Bezug zur Alltagswelt gesetzt wird, welche bewusst oder unbewusst in die Kunst, in jegliche Kunst, einfliesst ? damit definiert die Künstlerin den Begriff der «art engagé» neu, jenseits ideologisch-politischer Scheuklappen als Kunst, die sowohl künstlerisch als auch menschlich Stellung bezieht, einen entschlossenen Standpunkt einnimmt. (kmd/mc/th)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert