Lidl-Angestellte erhalten Gesamtarbeitsvertrag

Zum ersten Mal erklärt sich in der Schweiz ein Discounter bereit, Arbeitsbedingungen in einem GAV zu regeln; für den deutschen Discounter Lidl ist es der erste GAV überhaupt. Zuvor hatten die Gewerkschaft und der Verband nach mehreren Monaten dauernden Verhandlungen am Dienstagmorgen in Bern mit Lidl den GAV unterzeichnet. 


Wöchentlich eine Stunde weniger arbeiten
Lidl kommt den Sozialpartnern bei der Wochenarbeitszeit und den Ferienansprüchen entgegen, wie Andreas Pohl, Geschäftsführer von Lidl Schweiz, in Bern vor den Medien sagte: Künftig müssen alle Lidl-Angestellten statt 42 noch 41 Stunden pro Woche arbeiten. Über 50-Jährige und Lernende erhalten neu sechs Wochen Ferien; für die restlichen Angestellten bleibt der Ferienanspruch bei fünf Wochen. Der GAV gilt für sämtliche Lidl-Angestellten mit Ausnahme der Kader. Auch dies sei ein Verhandlungserfolg, sagte Barbara Gisi von KV Schweiz. Etwa bei Coop oder Migros seien Angestellte im Stundenlohn mit kleinen Pensen unter 50% (Coop) respektive unter 20% (Migros) vom GAV ausgeschlossen.


Mindestlöhne bleiben gleich
Lidl-Angestellte, die auf mehr Lohn hofften, werden allerdings enttäuscht: Die Mindestlöhne bleiben gleich. So beträgt der Vollzeit-Referenzlohn für eine 20-jährige, ungelernte Arbeitskraft 3800 CHF. Mitarbeitende mit Berufserfahrung und zweijähriger Grundausbildung verdienen mindestens 3950 CHF, solche mit dreijähriger Grundausbildung 4100 CHF. Alle Löhne werden 13 Mal im Jahr ausbezahlt. Zudem finden künftig jedes Jahr Lohngespräche mit den Sozialpartnern statt. Ein Teuerungsausgleich für das Jahr 2011 ist nicht vorgesehen.


GAV vorerst nicht öffentlich
Zugeständnisse macht Lidl neu denjenigen Angestellten, die in der Nacht oder am Sonntag arbeiten. «Angestellte, die regelmässig in der Nacht arbeiten, erhalten 25% Lohnzuschlag», erklärte Silja Drack, GAV-Verhandlungsleiterin von Lidl. Bei regelmässiger Sonntagsarbeit erhalten die Mitarbeitenden 50% Lohnzuschlag. Details des GAV wurden am Dienstag nicht bekannt: «Lidl verzichtet vorerst darauf, den GAV öffentlich zu machen», sagte Drack. Das Unternehmen wolle nun zuerst einmal die Mitarbeitenden informieren.


«Vetrag von europäischer Dimension»
«Dieser Vertrag hat für uns auch eine europäische Dimension», sagte Geschäftsführer Pohl. Aufgrund der besonderen Bedingungen, die in der Schweiz herrschten, sei Lidl zum Schluss gekommen, dass ein GAV für die Schweiz «der richtige Weg» sei. Ob der Schweizer GAV für Lidl zum Exportschlager wird, bleibt indes offen: «Wir betrachten jeden Markt für sich», beantwortete Pohl eine entsprechende Frage.


Unia kritisiert GAV als Marketinginstrument
Derweil kritisiert die Gewerkschaft Unia den GAV für die Lidl-Angestellten scharf. Der deutsche Discounter benutze den Vertrag als Marketinginstrument, sagte Unia-Sprecher Hans Hartmann. Die grösste Gewerkschaft der Schweiz sei bewusst von den GAV-Verhandlungen ausgeschlossen worden. «Lidl wollte keinen echten Verhandlungspartner, der auf Missstände aufmerksam macht», zeigte sich Hartmann im Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA überzeugt. Deshalb habe der deutsche Discounter Unia nicht miteinbezogen. «Lidl zieht die handzahmen und machtlosen Arbeitnehmerverbände Syna und KV Schweiz vor», schreibt Unia in einer Stellungnahme. Die beiden Organisationen liessen sich als Feigenblätter benutzen. Der Lidl-GAV sei bei weitem nicht so viel wert, wie die Sozialpartner nun behaupteten, sagte Hartmann. Das Papier bringe bloss «minimale Verbesserungen».


«Personal unter Druck gesetzt»
Als Beispiel nannte der Unia-Sprecher die Wochenarbeitszeit: «Wer von der Reduktion der Wochenarbeitszeit von 42 auf 41 Stunden spricht, muss berücksichtigen, dass Lidl die Arbeitspensen systematisch auf 60% reduziert und umgekehrt das Personal unter Druck setzt, bei Bedarf Überstunden zu leisten.» «Immer wieder gelangen die Lidl-Mitarbeiter mit Klagen über ihren Arbeitgeber an die Unia», schreibt die Gewerkschaft weiter. Die Rede sei neben den Pensenreduktionen auch von Mobbing. Deshalb habe die Unia im Jahr 2009 einen Katalog mit Verbesserungsvorschlägen bei Lidl eingereicht.


«Geheimverhandlungen»
«Wir suchten damals das Gespräch mit dem Discounter und nicht die Öffentlichkeit», erinnert sich Hartmann. Wiederholt seien bereits vereinbarte Treffen von Lidl angeblich aus Termingründen abgesagt worden, zuletzt vor rund drei Wochen. «Stattdessen liefen offenbar die Geheimverhandlungen zwischen Lidl, KV Schweiz und Syna», sagte Hartmann. Während der Medienkonferenz am Dienstagmorgen bot Lidl der Unia an, den GAV ebenfalls zu unterzeichnen, wie Hartmann sagte. Die Unia habe den GAV angefordert und werde diesen prüfen. Nach dem Verhandlungs-Ausschluss fehle der Unia allerdings das Vertrauen in die Sozialpartner. (awp/mc/ps/16)

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